Offenener Brief von Freiwilligen - Ehrenamtliche Helfer fühlen sich nach wie vor vom Berliner Senat im Stich gelassen

Do 17.03.22 | 13:06 Uhr
Eine ehrenamtliche Helferin am Berliner Hauptbahnhof (Bild: dpa/Vladimir Menck)
Bild: dpa/Vladimir Menck

Seit vielen Tagen verteilen Dutzende ehrenamtliche Helfer am Berliner Hauptbahnhof Essen und Getränke an ankommende Geflüchtete. Routine ist dabei noch nicht eingetreten - ganz im Gegenteil, wie aus einem offenen Brief an den Senat hervorgeht.

Freiwillige Helfer der privat organisierten Essensstation für Kriegsgeflüchtete am Berliner Hauptbahnhof üben deutliche Kritik am politischen Krisenmanagement des Senats. Zugleich fordern sie in einem offenen Brief an die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) konkrete Schritte, um die Lage der ankommenden Menschen zu verbessern.

Der Brief liegt dem rbb vor und wurde am Mittwoch (16. März) geschrieben. Mitverfasst hat den Brief die US-Schauspielerin Tara Brenninkmeyer, die mit zahlreichen anderen freiwilligen Helfern auf Privat-Initiative seit vielen Tagen im Hauptbahnhof eine Essensstation für ankommende Geflüchtete betreut.

Helfer sehen falsche politische Strategie

Zwar übernehme der Senat inzwischen mehr Aufgaben zur Hilfe der Ankommenden, räumen die Verfasser ein. Trotzdem fehlten nach wie vor "Kommunikationsstrukturen, über welche wir unsere Informationen weitergeben können, sodass ankommende Geflüchtete adäquat versorgt werden können", heißt es in dem Brief.

Die von der Politik ergriffenen Maßnahmen orientierten sich zu sehr daran, "Menschen so schnell wie möglich weiterzuleiten. Dies entspricht aber nicht der tatsächlichen Situation vor Ort. Viele Geflüchtete bleiben für mehrere Stunden bis Tage am Hauptbahnhof" - beispielsweise weil sie auf Folgezüge warten müssten oder nicht wüssten, wohin sie sollen. Dafür gebe es jedoch vor Ort keine ausreichende Infrastruktur, kritisieren die Ehrenamtlichen.

Zur Verbesserung der Situation haben die Verfasser des Briefs acht Punkte angeführt, die nun dringend umgesetzt werden müssten. So müssten u.a. die Verpflegungsstation "rund um die Uhr mit mindestens zehn bezahlten Arbeiter*innen besetzt werden, von denen mindestens zwei Personen ukrainisch und/oder russisch sprechen müssen".

"Mehr medizinische Versorgung - durchgängig warmes Essen"

Zu jeder Zeit müsse eiweißreiches warmes Essen - auch halal - verteilt werden, es müsse auch Kaffee - und nicht wie bisher nur Tee - verteilt werden. Im Hauptbahnhof selbst müssten adäquate warme Schlafmöglichkeiten geschaffen werden, denn "jede Nacht schlafen mehrere hundert Menschen im Bahnhof, unter ihnen auch Kinder", heißt es in dem offenen Brief.

Zudem müsse die medizinische und psychologische Versorgung im Hauptbahnhof sowie die Corona-Vorbeugung unbedingt verstärkt werden: "Die allermeisten Geflüchteten sind durch die Reise geschwächt, sie verbringen viel Zeit im kalten Bahnhof und es gibt kaum Ruhemöglichkeiten. Dadurch gehören sie zu vulnerablen Gruppen und müssen explizit vor Corona geschützt werden", schreiben die ehrenamtlichen Helfer. Es würden dringend Menschen gebraucht, um Masken zu verteilen und auf ukrainisch oder russisch über die Corona-Regeln in Berlin zu informieren.

Der Senat müsse endlich handeln - es sei "nicht die Zeit für sich ständig wiederholende Gespräche", so der Brief. Und weiter: "Wenn der Senat dies nicht tun möchte und weiterhin lediglich eine unzureichende Versorgung bereitstellt, sind wir jeder Zeit bereit wieder in Aktion zu treten. Die Menschen in Berlin sind bereit und voller Energie zu helfen."

"Moabit hilft": Schilderungen werden "marginalisiert"

Die Hilfsorganisation "Moabit hilft" hat bereits am vergangenen Samstag einen ähnlichen Forderungskatalog [moabit-hilft.com] an den Senat gestellt. Darin wurde u.a. auch bemängelt, am Berliner Hauptbahnhof werde zu wenig für die Sicherheit der ankommenden Frauen und Kinder getan. "Wir unterstützen ausdrücklich den offenen Brief der Food-Station", sagte die "Moabit hilft"-Vorsitzende Diana Henniges am Donnerstag im Gespräch mit rbb|24. Man könne jeden darin angesprochenen Punkt unterschreiben.

Auf das eigene Schreiben habe die Senatskanzlei "marginalisierend" reagiert, so Henniges. "Unsere Situationsbeschreibung wurde negiert und als übertrieben betrachtet. Vielmehr wurde uns gesagt, es sei alles gut." Man fühle sich nicht ernstgenommen und respektiert, so die Aktivistin: "Uns wird das Gefühl vermittelt, wir schaffen das auch ohne euch Ehrenamtlichen. Gleichzeitig erreichen wir die Zuständigen auf Landesebene häufig nicht, weil sie mit der Situation überfordert ist", kritisiert Henniges.

Die Regierende Bürgermeisterin Giffey und auch Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) hatten zuletzt eingeräumt, dass Berlin bei der Unterbringung und Betreuung der Geflüchteten an die Grenzen des Leistbaren komme. Am Donnerstag wolle sich Giffey bei der Ministerpräsidentenkoferenz für mehr Unterstützung durch andere Bundesländer und den Bund einsetzen, kündigte sie im Inforadio des rbb an.

Sendung: Abendschau, 17. März 2022, 19:30 Uhr

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