Junge Ukraine-Flüchtlinge in Berlin - "Ich hatte Kinder, die zeitweise betreuungsfrei waren"
Hilfsorganisationen in Berlin kritisieren die Wohnbedingungen für Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in Berlin. Der Vorwurf: Einige Träger der Einrichtungen hätten für Inobhutnahmen junger Geflüchteter gar keine Betriebserlaubnis. Von Roberto Jurkschat
Hilfsorganisationen in Berlin haben Kritik an den Zuständen bei der Unterbringung junger Flüchtlinge aus der Ukraine geübt.
Einige Einrichtungen erfüllten nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststandards für eine vorläufige Inobhutnahme, erklärte Daniel Jasch, Projektkoordinator des Berliner Beratungs- und Betreuungszentrums (BBZ) in Berlin-Moabit.
Helfer kritisiert mangelnde Betreuung
Minderjährige, die nach ihrer Ankunft in Berlin zur Beratung in die Sprechstunden des BBZ kämen, hätten von schlechten Wohnbedingungen, Problemen bei der medizinischen Versorgung und fehlenden Betreuern in den Einrichtungen berichtet.
Ein Jugendlicher habe erzählt, dass er nicht die notwendigen medizinischen Leistungen erhielt und es zum Teil kaum Personal gebe, das sich für die Minderjährigen zuständig fühle. "Ich hatte Kinder, die zeitweise betreuungsfrei waren", so Jasch.
Deutlicher mehr unbegleitete Minderjährige in Berlin
Die Berliner Verwaltung musste seit Ausbruch des Ukraine Krieges deutlich mehr ankommende Kinder und Jugendliche unterbringen als sonst. Insgesamt befinden sich in Berlin derzeit 346 Minderjährige in der Obhut der Senatsjugendverwaltung, in diesem Jahr wurden bereits mehr als halb so viele Minderjährige in der Hauptstadt registriert, wie im gesamten Jahr 2021.
Die Kapazitäten zur Unterbringung junger Flüchtlinge wurden seit dem Angriff auf die Ukrine deutlich erhöht, von 80 Plätzen im August 2021 auf 400 Plätze im April. "In den Jahren zuvor wurden bereits Plätze in landeseigenen Immobilien geschaffen, um auf ein plötzliches Ansteigen der Zahlen reagieren zu können", teilte ein Sprecher der Senatsverwaltung dem rbb mit. "Allerdings waren die Kapazitäten nicht darauf ausgelegt, vollständig die Folgen eines überraschenden Angriffskriegs in Europa mit einer entsprechend massiven Fluchtbewegung abzudecken."
Besondere Voraussetzungen für Träger
Das Gesetz schreibt der Senatsjugendverwaltung eigentlich vor, nur Träger mit der Inobhutnahme zu beauftragen, die für die speziellen Bedürfnisse geflüchteter Kinder und Jugendlicher die festgeschriebenen Mindestanforderungen erfüllen - und über eine Betriebserlaubnis für vorläufige Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen verfügen. Den Minderjährigen stehen unter anderem bestimmte Betreuungsschlüssel, Wohnflächen, eine angemessene medizinische Versorgung und Taschengeld zu.
Die Hilfsorganisationen BBZ, der Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und der Berliner Flüchtlingsrat werfen der Senatsverwaltung für Jugend vor, rechtliche Vorgaben zu missachten - denn einige Träger, die die Verwaltung beauftrage, verfügten nicht über die notwendige Betriebserlaubnis.
Senatsverwaltung weist Vorwürfe zurück
Ein Sprecher der Senatsverwaltung für Jugend wies diesen Vorwürfe zurück: Die sozialpädagogische Betreuung in den Unterkünften sei rund um die Uhr gesichert, auch habe jeder Träger eine Betriebserlaubnis.
Allerdings gelten für die Inobhutnahme minderjähriger Geflüchteter spezielle Regeln. Die Anforderungen sind deutlich höher, als bei anderen Angeboten, wie Projektkoordinatorin Helen Sundermeyer vom BumF sagt. "Wenn ich solche sensiblen Aufgaben wahrnehmen will, brauche ich natürlich auch eine Betriebserlaubnis für die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und nicht nur für die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe", sagt Sundermeyer. "Ich habe Zweifel, ob die Einrichtungen alle die gesetzlichen Anforderungen erfüllen."
Rechnungshof stellte 2017 "erhebliche Rechtsbrüche" fest
Tatsächlich hat der Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht 2017 bereits "erhebliche Rechtsbrüche" bei der vorläufigen Unterbringung geflüchteter Kinder und Jugendlicher in Berlin festgestellt. "Die ambulante sozialpädagogische Betreuung in diesen Unterkünften liegt weit unter dem gesetzlichen Standard für Inobhutnahmen", hieß es. "Die Senatsverwaltung hat bei der vertraglichen Einbindung von freien Trägern der Jugendhilfe systematisch vertragsrechtliche Grundsätze genauso unbeachtet gelassen wie die Vorschriften der Landeshaushaltsordnung." Auch der Rechnungshof kritisierte damals, dass die Senatsverwaltung für Jugend Minderjährige in Einrichtungen verteilt habe, deren Träger für die Inobhutnahme keine Betriebserlaubnis hätten.
Nach Aussage Jaschs sollen Mitarbeiter der Jugendverwaltung nach dem Bericht des Rechnungshofes gegenüber Hilfsorganisationen einen Notfallplan angekündigt haben, mit dem kurzfristig größere Kapazitäten für junge Geflüchtete aufgebaut werden können. "Davon war irgendwann aber keine Rede mehr. Jetzt stehen wir wieder vor demselben Problem."
Sendung: Inforadio, 05.07.2022, 9:00 Uhr