Interview | Deutsche Unternehmen in der Ukraine - "Die Mitarbeiter und ihre Familien brauchen Geld für die kommenden Wochen"
Landwirtschaft, erneuerbare Energien, Autoindustrie - die Kooperationen deutscher Unternehmen mit der Ukraine sind vielfältig. Derzeit bangen viele um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter, sagt Michael Harms vom Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft.
rbb|24: Herr Harms, wie war es um die Wirtschaftbeziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine zuletzt bestellt?
Michael Harms: Lassen Sie mich bitte zuerst sagen: Es geht jetzt in erster Linie um die Menschen in der Ukraine, darunter viele Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher Unternehmen und deren Familien, deren Leben in Gefahr ist. Das ist jetzt wichtiger als alle wirtschaftlichen Fragen.
Mit der Ukraine arbeiten deutsche Unternehmen in vielen Branchen eng zusammen: von der Agrarwirtschaft über die Lebensmittelproduktion und Automobilindustrie bis hin zum IT-Sektor. Wir haben erst vor knapp einem Jahr eine Digitalisierungspartnerschaft mit der Ukraine vereinbart. Auch im Bereich erneuerbare Energien und Wasserstoff ist in den vergangenen Jahren viel in Bewegung gekommen, nicht zuletzt im Rahmen der deutsch-ukrainischen Energiepartnerschaft von August 2020.
Nach dem Einbruch infolge der Krim-Annexion und des Krieges in der Ostukraine hatten sich auch unsere Außenhandelszahlen fortlaufend positiv entwickelt. Allein im vergangenen Jahr ist der deutsch-ukrainische Handel um fast ein Fünftel gestiegen. All diese Kooperationen sind jetzt massiv gefährdet. Aber es ist zu früh, da jetzt schon eine Bewertung abzugeben und es ist, wie gesagt, im Moment auch nachrangig.
Wie viele deutsche Firmen sind in der Ukraine aktiv?
Insgesamt gehen wir davon aus, dass etwa 2.000 deutsche Firmen oder Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der Ukraine aktiv sind. Es gibt einige große Konzerne, besonders in der Agrarwirtschaft, die dort zum Teil Wertschöpfungsketten aufgebaut haben. In der Autozuliefererindustrie gibt es auch eine große Anzahl von kleineren oder mittelständischen deutschen Unternehmen.
Mit welchen Fragen kommen Unternehmen gerade zu Ihnen?
Die Themen, die auf dem Tisch liegen, sind vor allem ganz elementare: Wie bekomme ich meine Mitarbeiter in Sicherheit, gerade in den Städten und Regionen, wo unmittelbar gekämpft wird? Wie kann man da vielleicht finanziell und logistisch unterstützen?
Im Hinterkopf haben viele sicher auch die Frage, was mit ihrer Investition, ihrem Bauprojekt, ihrem Markt oder Werk passiert. Gibt es das morgen noch? Wird es zerstört? Es werden sich aber viele sicher auch fragen, was aus ihren Investitionen in Belarus oder Russland wird. Viele Unternehmen sind ja in allen Ländern der Region aktiv. Aber aktuell gibt es wirklich drängendere Fragen, nämlich nach der Sicherheit der Beschäftigten.
Was können Sie Firmen derzeit überhaupt raten?
Das ist schwierig, weil die Situation so hoch dynamisch ist. Es gab ja schon seit Wochen Reisewarnungen. Das heißt, die meisten deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nicht mehr in der Ukraine. Jedes Unternehmen hat einen eigenen Krisenvorsorgeplan erarbeitet, und nun werden die entsprechenden Abläufe umgesetzt. Das ist angesichts der sich ständig ändernden Situation und dem Fehlen bekannter Ansprechpartner natürlich nicht einfach.
Wie kann deutschen Firmen geholfen werden, die in der Ukraine bislang Geschäfte gemacht haben? Die werden ja nun mit großen Ausfällen zu kämpfen haben.
Da müssen wir abwarten, bis wir die Schäden wirklich absehen können. Sicher muss auch mit der Bundesregierung der Dialog über Unterstützung gesucht werden. Ich glaube aber nicht, dass dafür jemand einen Fonds in der Tasche hat, aus dem jetzt kurzfristig Entschädigungszahlungen fließen können. Viele Unternehmen haben ihre Investitionen in der Ukraine natürlich versichert. Im Zweifel kann zumindest ein Teil der Ausfälle damit abgefangen werden.
Was können Firmen denn machen, um ihre Mitarbeiter vor Ort zu unterstützen?
Es geht momentan vor allem um Schutz und Liquiditätshilfen. Der Durchschnittslohn ist in der Ukraine nicht besonders hoch, nun drohen vielen auch noch die regelmäßigen Einnahmen wegzubrechen. Die Mitarbeiter und ihre Familien brauchen Geld und liquide Mittel für die kommenden Wochen. So hat zum Beispiel der Hamburger Hafen angekündigt, seinen Beschäftigten im Hafen von Odessa einen zusätzlichen Monatslohn auszuzahlen. Die Unternehmen nehmen ihre Verantwortung war und kümmern sich um ihre Beschäftigten.
Das Interview führte Oliver Noffke für rbb|24.