"Tubman Network" in Berlin - Initiative für nicht-weiße Geflüchtete aus der Ukraine ist selbst ohne Heimat
Seit Februar versucht das "Tubman Network" in Berlin, nicht-weißen Geflüchteten aus der Ukraine eine Bleibeperspektive zu ermöglichen. Jetzt sucht die Initiative selbst einen festen Standort - aus ihrem letzten Quartier in Kreuzberg musste sie ausziehen. Von Karim Hartel und Bernadette Huber
Der Standort war nicht ideal: Die Halle ist kalt, die Einrichtung spärlich und in einem Zimmer der Adlerhalle am Kreuzberger Mehringdamm fehlen Teile der Decke. Topfpflanzen unter undichten Stellen im Dach fangen bei schlechtem Wetter den Regen auf. Dennoch konnte die Initiative "Tubman Network" hier BIPoC-Geflüchteten aus der Ukraine Hilfe anbieten - also Schwarzen, Indigenen und People of Color.
Jetzt aber steht Kahbit Ebob-Enow, Mitbegründerin der Initiative, gemeinsam mit Helfern in der Halle, und holt einen dekorativen Wandteppich aus afrikanischen Tüchern von der Decke. "Careful!", sagt Kahbit zu ihren Helfern, und "Can you hold this?" Sie versucht, den riesigen Wandteppich intakt zu halten. Er soll wieder aufgehängt werden. Irgendwo anders. Aber wo?
"Ich weiß, wie es ist, wenn Unterstützung da ist"
"Es ist für uns der fünfte Umzug, dieses Mal vorerst ins Nirgendwo", sagt Fred, einer der Helfer, während er das Küchen-Equipment in braune Umzugskartons packt. Fast täglich hat er hier für die Menschen gekocht. Geholfen haben er und die anderen Ehrenamtlichen aber mit mehr als einer warmen Mahlzeit. "Es sind die sozialen Netzwerke, die jetzt für die Menschen wegfallen", sagt Kahbit Ebob-Enow. Die sanierungsbedürftige Halle war nach ihren Angaben für das Netzwerk ein "Familienzentrum".
Ebob-Enow ist selbst als Kind eines Asylsuchenden von Kamerun nach Deutschland gekommen. Auch sie war schon von Abschiebung bedroht. "Ich weiß also, wie es ist, wenn Unterstützung da ist oder eben nicht", sagt sie. "Ich freue mich zu beobachten, wie die Entwicklung von Menschen ist, wenn sie irgendwo ankommen, wo sie sehr viel Unterstützung bekommen. Nicht wie in dem häufigen Fall, bei dem eine Person, die Krieg erfährt, erst mal in einem Camp leben muss, abgegrenzt vom Rest der Gesellschaft."
In Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Ebob-Enow daher im Februar gemeinsam mit anderen das "Tubman Network" in Berlin gegründet. Benannt ist es nach Harriet Tubman, einer Afroamerikanerin, die im vorletzten Jahrhundert ehemalige Sklaven auf ihrer Flucht aus den Südstaaten unterstützte.
Unterstützung für Geflüchtete aus Drittstaaten
Die Initiative machte sich zur Aufgabe, Geflüchteten aus der Ukraine zu helfen - vor allem jenen, die vor Jahren oder Jahrzehnten aus afrikanischen und asiatischen Ländern in die Ukraine gekommen waren, um dort zu studieren oder zu arbeiten.
Diese mehrheitlich nicht-weißen Menschen benötigten auf der Flucht besondere Hilfe, ist Kahbit Ebob-Enow überzeugt. Es habe so viele Berichte von Diskriminierungen nicht-weißer Menschen an der Grenze gegeben, sagt sie. Vielen sei die Ausreise zunächst verweigert worden. Außer Landes hätten viele nicht-weiße Geflüchtete dann erklären müssen, dass sie wirklich aus der Ukraine gekommen seien. Die Berliner BIPoC-Community habe reagieren wollen: "Die Frage war, wollen wir zuschauen - oder glauben wir, dass wir etwas verändern können? Die Antwort war ganz klar: Wir werden helfen und zwar sofort."
In der Kreuzberger Halle sammelt das Tubman Network Kleiderspenden. Hier befindet sich auch eine erste Anlaufstelle für Hilfesuchende: Hier bekommen sie eine Mahlzeit und auch Beratung und Hilfe mit den Papieren.
Sprachzertifikat ist immens wichtig
50 Ehrenamtliche helfen beim Tubman Network. Vor allem die Sprachkurse des Netzwerkes seien essenziell, um ein Bleiberecht in Deutschland zu bekommen, sagt Kahbit Ebob-Enow. Denn vielen nicht-weißen Geflüchteten drohe nach dem Auslaufen der Visa-Drittstaatenregelung die Abschiebung in die Herkunftsländer, die sie teils vor Jahren oder Jahrzehnten verlassen hätten.
In Deutschland hatten Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine, deren Herkunftsländer als Drittstaaten außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums liegen, zunächst durch eine Übergangsregelung sechs Monate lang visafreien Aufenthalt. Jetzt müssen sie individuell darlegen, warum sie nicht in ihre Herkunftsländer zurückreisen können.
Politische Verfolgung oder Krieg in der Heimat wären solche Gründe - und auch wer einen Studien- oder Ausbildungsplatz nachweisen kann, muss nicht sofort zurück. Aber Ausbildungs- oder Studienplätze gibt es nur mit Sprachzertifikat - und das müssen junge Drittstaatler:innen in Berlin jetzt bis Ende des Winters erreichen, so hat es der Berliner Senat bestimmt.
Adlerhalle war nur eine Übergangslösung
3.500 Geflüchtete hätten in den vergangenen Monaten das Angebot des Tubman Networks genutzt, sagt Ebob-Enow. Wie viele Menschen es in der Zukunft nutzen können, sei jedoch ungewiss. Momentan ist das Netzwerk ohne festen Standort: Aus der Halle in Berlin-Kreuzberg, wo es seit Juli seinen Sitz hatte, musste das Netzwerk jetzt ausziehen.
Bislang unterstützte das Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) die Initiative und stellte die Halle zur Verfügung. Der Immobiliendienstleister verwaltet mehr als 5.000 landeseigene Immobilien und wurde im März von einer Partnerorganisation des Tubman Networks um Hilfe gebeten, weil für die Erstversorgung von Geflüchteten mehr Platz benötigt wurde. Die Frist für eine temporäre, kostenlose Nutzung der Halle hatte das BIM zwei Mal verlängert: Erst sollte die Initiative Ende August ausziehen, dann Ende September. Ende Oktober war es dann schließlich soweit. Es sei "der letztmögliche Tag bis zum Beginn der notwendigen Sanierungsarbeiten", so das BIM auf Anfrage von rbb|24.
Land Berlin erwägt Bezuschussung
Eine dauerhafte Nutzung der Halle sei nicht möglich, hieß es zur Begründung von der BIM. Ab November soll der Raum für ein Stadtentwicklungs-Modellprojekt saniert werden. Laut dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg sei das ein von vielen Initiativen entwickeltes Konzept mit einer "fest eingeplanten Finanzierung". Außerdem solle die Halle von verschiedenen stadtpolitischen Initiativen genutzt werden, so das Bezirksamt auf Anfrage von rbb|24.
Alternative Räume bietet das BIM dem Tubman Network momentan nicht. Auf Anfrage des rbb antwortet der Immobiliendienstleister: "Leider können wir aktuell trotz intensiver Suche keine anderen Flächen anbieten, die kurzfristig verfügbar wären und die nötigen Voraussetzungen haben." Das Bezirksamt konkretisiert auf Anfrage: Alle leerstehenden Gebäude seien ohne Strom-, Wasser- und Heizungsversorgung. "Es bräuchte einen Bauantrag und weitere, ergänzende Baumaßnahmen in den leerstehenden Gebäuden."
Lager-Möglichkeit auf dem Dragonerareal
Allerdings stellen Bezirk und BIM seit November einen Teil einer Lagerhalle auf dem Dragonerareal zur Verfügung. Außerdem gebe es aktive Bemühungen, neue Räumlichkeiten zu finden, "verschiedene Eigentümer wurden bereits angesprochen", so das Bezirksamt. Es gibt auch einen Beschluss der BVV, der den Bezirk und den Senat auffordert, das Tubman Netzwerk bei der Raumsuche zu unterstützen.
In konkrete Verhandlungen über einen neuen Standort ist die Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales nach eigenen Angaben nicht eingebunden. Allerdings führe man "Gespräche mit der Initiative zu Möglichkeiten der kurzfristigen Förderung über das Partizipations- und Integrationsprogramm des Landes Berlin", heißt es von der Senatsverwaltung. Personal-, Sach- und Verwaltungskosten könnten dann möglicherweise bis zu einer Höhe von 10.000 Euro bezuschusst werden.
Die Suche nach neuen Räumlichkeiten - Ausgang ungewiss
"Mein Wunsch wäre, einen bezahlbaren Ort zu haben, an dem wir wieder alles an einer Stelle haben können, sogar die Sprachschule-", sagt Ebob-Enow. Vorerst müsse das Netzwerk aber verstreut über die Stadt agieren. "Wir haben verschiedene Angebote von anderen Initiativen in ganz unterschiedlichen Bezirken, deren Räume mitzunutzen." Sie plane jetzt so, dass die Helfenden des Netzwerkes - wenn auch an unterschiedlichen Orten - zumindest an festen Wochentagen persönlich für Hilfesuchende da sein können. Beratung und Begleitung bei Behördenterminen und Jobsuche will die Initiative auch online beziehungsweise ohne Standort weiter anbieten.
Sie habe auch noch Hoffnung, dass Gespräche mit der Senatsverwaltung zu einer baldigen Lösung führen könnten, sagt Ebob-Enow. Der Wandteppich, zusammen mit den anderen Habseligkeiten des Tubman Network, liegt jedoch erstmal auf unbestimmte Zeit in der Lagerhalle auf dem Dragonerareal.
Sendung: radioeins, 12.10.2022, 9:35 Uhr