Ukraine - UN-Experten untersuchen, ob Schwarze und Araber an Flucht gehindert werden
Hundertausende Menschen fliehen vor dem Krieg in der Ukraine. Bei der Ausreise sollen Nicht-Weiße jedoch erheblich gehindert worden sein - um Platz für weiße Ukrainer zu machen. Es sind schwere Vorwürfe, die sich schwer abstreiten lassen. Von Hasan Gökkaya
Mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht, Dutzende bereits tot: Die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erreichen eine immer größere Dimension. Schutzsuchende flüchten in die Nachbarländer - nicht alle von ihnen sind ukrainische Staatsangehörige.
Tausende Menschen, etwa aus Afrika, die sich zum Studium im Land aufhalten, fliehen ebenfalls. Viele von ihnen seien jedoch bei ihrer Ausreise gehindert worden, heißt es in etlichen Postings, die in sozialen Medien derzeit viral gehen. Darin wird dem polnischen und ukrainischen Grenzschutz, zum Teil aber auch ukrainischen Ausreisenden, vorgeworfen, schwarze und arabische Menschen abzuweisen, um Platz für weiße Ukrainer zu machen. Stimmen die Vorwürfe?
"Sie verprügelten die Menschen mit Stöcken"
Unter Hashtags wie #AfricansinUkraine und #BlackInUkraine werden zahlreiche Bilder und Videos geteilt, die zeigen, wie Schwarze offenbar von Soldaten und weißen Fahrgästen aus Zügen und Bussen gedrängt werden. Die Aufnahmen lassen sich kaum verifizieren. Allerdings haben mehrere Betroffene ihre Erfahrungen inzwischen auch gegenüber Journalisten geschildert. "Um Afrikaner kümmern wir uns nicht" - das soll etwa ein ukrainischer Beamter dem Schutzsuchenden Nigerianer Isaac gesagt haben, der mit der BBC sprach (bbc.com).
Eine 28-Jährige, auch aus Nigeria, berichtete dem Berliner Journalisten Malcolm Ohanwe, dass sie beim Einsteigen in den Zug von Kiew nach Lwiw rausgeschubst wurde. "Ich habe gesehen, wie auch viele andere Schwarze Personen aus Zügen geschubst wurden. Bei Weißen habe ich das nicht gesehen", so die junge Frau (Zeit.de). Später, in einer ukrainischen Notunterkunft sei sie jedoch gut behandelt worden.
UN-Flüchtlingshilfswerk: "Weder bestätigen noch dementieren"
Eine andere Nigerianerin erzählte der New York Times, dass die ukrainischen Grenzsoldaten Schwarzen die Ausreise erheblich erschwert hätten. "Sie verprügelten die Menschen mit Stöcken" (nytimes.com), wird die Frau von der Zeitung zitiert. Ihnen seien die Jacken vom Leib gerissen worden, bis sie schließlich ans Ende der Schlange gebracht wurden. "Es war furchtbar", so die 24-jährige Chineye Mbagwu.
Die Berichte über Diskriminierung an der polnisch-ukrainischen Grenze nahm der Präsident Nigerias zum Anlass, um auf die UN-Flüchtlingskonvention hinzuweisen. “Alle, die vor einem Konflikt flüchten, haben gemäß der UN-Konvention dasselbe Recht auf eine sichere Durchreise. Die Farbe des Passes oder ihrer Haut sollte keinen Unterschied machen”, erklärte die nigerianische Präsidentschaft auf Twitter.
Polen, ein EU-Mitgliedstaat, das sich in der Vergangenheit bei der Aufnahme arabischer Schutzsuchender größtenteils sperrte, wies den Vorwurf entschieden zurück, Menschen aus rassistischen Gründen an der polnischen Grenze zurückgewiesen zu haben. Zudem gibt es auch Berichte von ausgereisten Schwarzen, die angeben, den Grenzübertritt problemlos geschafft zu haben.
Die verschiedenen Schilderungen von Betroffenen legen aber auch nahe, dass es Diskriminierung an den Grenzübertritten gegeben hat. Die Frage, ob Nicht-Weiße systematisch ungleich behandelt werden, lässt sich jedoch zumindest durch offizielle und zivilgesellschaftliche Stellen nicht bestätigen. Das ergaben Nachfragen von rbb|24 zum Beispiel bei ProAsyl, Amnesty International oder dem UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR).
Den Berichten werde nachgegangen, bisher könnten sie aber weder bestätigt noch dementiert werden, heißt es. Das UN-Flüchtlingshilfswerk formuliert es so: "Wir kennen diese Vorwürfe und wir gehen ihnen bereits seit Tagen nach. Und natürlich sind wir beunruhigt. Wir haben mit etwa 20 Flüchtlingen gesprochen, die die Staatsbürgerschaft afrikanischer Länder haben. Bislang können wir die Vorwürfe aber weder bestätigen noch dementieren."
Die Asylrechts-Expertin bei Amnesty International Deutschland, Franziska Vilmar, erklärte rbb|24 bezüglich der Berichte aber: "Allerdings erscheinen sie allzu plausibel vor dem Hintergrund der gewaltsamen Pushbacks, wie wir sie an der polnisch-belarussischen Grenze zuvor monatelang beobachten mussten."
Mission Lifeline: "Struktureller Rassismus" durch Regelungslücken
Der Vorwurf Geflüchtete aufgrund ihrer Wurzeln zu diskriminieren, wiegt gleich doppelt schwer. Denn er spielt dem Narrativ des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin zu, der den Angriffskrieg gegen die Ukraine auch damit begründete, dass eine "Entnazifizierung" der ukrainischen Gebiete nötig sei. Nach rbb|24-Informationen schließt eine Stelle sogar nicht aus, dass die Berichte über Rassismus in den sozialen Medien durch Russland gezielt gefördert wurden. Man wolle deshalb vorsichtig sein, da es Hinweise in diese Richtung gebe, heißt es.
Der Hilfsverein Mission Lifeline hat inzwischen über Medienkanäle Augenzeugenberichte geteilt. Der Verein erwartet nun von der Bundesregierung, schnellstens "Menschen mit ukrainischem Aufenthaltstitel den Ukrainerinnen gleichzustellen". Grund sei die völlig unklare rechtliche Lage jener Menschen, die einen Aufenthaltstitel für die Ukraine haben, sich nun aber in Polen oder Deutschland befinden. Es sei derzeit nicht bekannt, ob beispielsweise Menschen aus Afrika, die in der Ukraine zum Studieren waren, nun problemlos hier bleiben könnten - so wie ukrainisch Staatsbürger, sagt Sprecher Axel Steier.
Hintergrund ist unter anderem auch eine für Donnerstag erwartete Entscheidung auf EU-Ebene. Eine neue Regelung soll Ukrainern den Aufenthalt durch einen Sonderstatus vereinfachen - von einer Regelung für jene Gruppen, die sich bisher etwa zum Studium in der Ukraine aufhielten, sei nichts bekannt, so Steier. Sollte es dabei bleiben, würden diese Menschen nun auch noch mit "strukturellem Rassismus" konfrontiert werden. Wenn Menschen, die bis vor Kurzem noch in Kiew studierten, nun in Brandenburg oder Berlin ein Asylverfahren starten müssten, sei dies eine völlig unpassende Regelung, so Steier.
Sendung: Abendschau, 02.03.2022, 19:30 Uhr