Brandenburger stirbt im Krieg in der Ukraine - "Es gab keine Chance, ihn davon abzubringen"
Björn C. soll vor rund drei Monaten in Oranienburg aufgebrochen sein, um an der Seite von Ukrainern gegen die Russen zu kämpfen. Bei Gefechten im Osten des Landes kam er ums Leben. Ismahan Alboga hat die Familie des freiwilligen Kämpfers getroffen.
Das Treffen mit Björn Benjamin C.s Großmutter findet in Potsdam statt. Sie lebt eigentlich in Berlin. Zwei Verwandte aus Potsdam begleiten sie. Alle drei wollen anonym bleiben. Es ist vor allem die Großmutter, die spricht. Sie trauert um ihren mit 39 Jahren verstorbenen Enkelsohn, dem sie sich sehr verbunden fühlt. "Wir weinen sehr viel", erzählt sie.
Anfang März sei er aus Oranienburg aufgebrochen, um in der Ukraine zu kämpfen. C. soll militärisch ohne jede Erfahrung gewesen sein, erst in der Ukraine wurde er wohl ausgebildet. "Er musste sogar russische Vokabeln fürs Kämpfen lernen", erzählt die Oma.
"Ich habe eine neue Freundin mit mehr Wumms bekommen", schreibt er seiner Oma am 21. Mai 2022. Damit meinte er sein Gewehr. Die Großmutter stand regelmäßig mit ihrem Enkel in Kontakt. Am 28. Mai bekam sie die letzte Nachricht von ihm: "Alles in Ordnung, melde mich, wenn es wieder möglich ist". Seither habe sie nichts mehr von ihm gehört.
39-Jähriger starb bei einem Artillerieangriff
Inzwischen ist klar, dass C. tot ist. Über die Umstände seines Todes teilt die Berliner Polizei auf rbb-Nachfrage mit: "Er verstarb am 31. Mai 2022 bei einem Artillerieangriff in der Nähe von Charkiw." Die "Bild"-Zeitung hatte zuerst über seinen Tod berichtet.
Wer aber war Björn Benjamin C.? Warum wollte er unbedingt freiwillig in der Ukraine kämpfen? Geboren sei er in Berlin-Wedding, berichtet C.s Großmutter. Einen Teil seiner Kindheit habe er mit seinem Vater im Harz verbracht, weil sich die Eltern früh getrennt hätten.
Später lebte er auch bei seinen Großeltern in Berlin, wie sie weiter erzählt. Erst habe er das Gymnasium besucht, sei dann auf eine Hauptschule gewechselt, habe dort seinen Abschluss gemacht. Anschließend habe er eine Ausbildung bei einer Berliner-Security-Firma gemacht, so die Großmutter. Zuletzt habe er in Oranienburg eine kleine Spedition gehabt, Klaviere transportiert.
Er habe eine Freundin gehabt, die in Berlin lebe. Björn Benjamin C. soll aber in Oranienburg gewohnt haben.
Die Oma wollte ihn davon abbringen
Aus ihrer Handtasche holt die Großmutter ihr Handy, sie sucht nach Bildern ihres Enkels, findet ein Gruppenfoto aus der Ukraine. Zu sehen ist er in Uniform mit 21 weiteren freiwilligen Kämpfern. Auf dem Foto lächelt er. Für die Oma sieht er "stolz" aus. "Endlich war er glücklich", sagt sie. Einen großen Gerechtigkeitssinn soll er gehabt haben. Seine Oma glaubt, dass er "für Frieden kämpfen und die Ukraine verteidigen" wollte. Er sei stolz gewesen, das Richtige zu tun.
Doch ein unbeschriebenes Blatt war Björn C. nicht. Die Berliner Polizei teilt auf rbb- Nachfrage mit, dass "der Verstorbene bereits wegen Sachbeschädigungen und Betrugsdelikten kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten ist". Die Großmutter sagt dazu, es sei eine Jugendsünde gewesen, er habe nicht ins Gefängnis gemusst. Er habe vor etwa 20 Jahren die Strafe mit Sozialstunden abgegolten.
Die Oma wollte, dass ihr Enkel in Deutschland bleibt. Sie habe alles versucht, um ihn zu umzustimmen, aber es gab "keine Chance, ihn davon abzubringen". Über Verbindungen in die Ukraine ist nichts Konkretes bekannt. Seine Verwandten beschreiben Björn Benjamin C. als humorvoll, hilfsbereit und loyal.
Keine deutsche Statistik zählt die Freiwilligen
In den ersten Tagen nach dem russischen Angriff hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Gründung einer "Internationalen Legion" angekündigt und Ausländer mit Kampferfahrung eingeladen, sich zu beteiligen. Wie viele deutsche Staatsbürger diesem Ruf gefolgt sind, ist nicht bekannt. Über Freiwillige wie Björn Benjamin C. führen Behörden keine Statistik.
Das kritisiert der Militärexperte Ralph D. Thiele, Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft Berlin. Der Oberst a.D. war als Militär im Planungsstab des Verteidigungsministeriums und an der Führungsakademie der Bundeswehr tätig.
Wer von hier aus freiwillig in die Ukraine gehe, sollte dokumentiert werden, sagt Thiele. Aktuell geht er von knapp 1.000 freiwilligen Kämpfern aus Deutschland aus. Er verweist auf die Auseinandersetzung mit der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Damals ließen sich 3.000 Kämpfer aus Deutschland vom IS anwerben. Er schätzt das Mobilisierungspotential der Ukraine viel höher ein. Langfristig könnten also noch weitere Menschen als Freiwillige aus Deutschland in die Ukraine gehen. Dann könnten es mehr als 3.000 Kämpfende sein, prognostiziert er.
"Er ist der erste, von dem wir wissen"
Generell lässt sich laut Thiele kein homogenes Bild zeichnen, wer sich freiwillig der ukrainischen Seite anschließt und aus welcher Motivation heraus. Er sagt, er vermute, dass Björn Benjamin C. möglicherweise über das Internet entsprechende Kontakte in die Ukraine geknüpft haben könnte. Die Kampfausbildung, die C. dann in der Ukraine genossen habe, schätzt Thiele als unseriös ein. Im Wesentlichen müsse es sich um einen Schnellkurs gehandelt haben, sagt er. "Ich gehe davon aus, dass die Ausbildung nur ein paar Wochen gedauert haben könnte." Das sei viel zu kurz.
Die russische Armee sei eine brutale Streitmacht, wer als Freiwilliger ohne militärische Erfahrung in die Ukraine gehe, dem drohe der Tod, sagt Thiele weiter. Menschen wie Björn C. und andere Freiwillige würden am Ende nur als "Kanonenfutter" enden. Zudem glaube er, dass Björn C. vermutlich nicht der erste tote Kämpfer aus Deutschland sei. "Er ist der erste, von dem wir wissen", sagt der Militärexperte.
Keine "staatsschutzrelevanten Erkenntnisse" über Björn C.
Auch Rechtsextremisten machen sich auf den Weg in die Ukraine. Auf rbb-Nachfrage teilt das Bundesamt für Verfassungsschutz mit, dass Erkenntnisse zu Reiseabsichten von 46 Personen mit extremistischen Bezügen beziehungsweise Bezügen zur politisch motivierten Kriminalität vorliegen (Stand 13.06.). Bislang seien 25 Ausreisen von Personen aus Deutschland in die Ukraine bekannt, die einen Extremismus-Bezug oder einen Bezug zur politisch motivierten Kriminalität aufweisen. Sieben dieser Personen seien wahrscheinlich derzeit noch in der Ukraine.
Dass Björn C. einen Bezug zu Extremisten gehabt haben könnte, darüber ist der Berliner Polizei nichts bekannt, wie es von dort heißt. "Staatsschutzrelevante Erkenntnisse liegen zu ihm nicht vor". Das Bundeskriminalamt erteilt dem rbb aus "datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft zu personenbezogenen Daten." Aus dem Brandenburger Innenministerium heißt es: "Eine Wohnanschrift des Herrn C. ist im Land Brandenburg laut Einwohnermeldeamt nicht registriert. Zur Person können von hier keine weiteren Angaben gemacht werden".
In der "Bild am Sonntag" wird ein Kamerad zitiert: "Wir waren im Osten von Kharkiv stationiert." Der Mann, der ebenfalls ein europäischer Freiwilliger sein soll, beschrieb die Lage so: "Am 31. Mai hatten wir dort unseren Beobachterposten bezogen. Ich hatte die erste Schicht, machte Pause, dann war Björn dran."
Rückführung der Leiche unklar
Am 4. Juni 2022 teilte die Internationale Verteidigungslegion der Ukraine (ILDU) auf ihrer Homepage mit, dass vier Freiwillige der Internationalen Legion der Territorialverteidigung in der Ukraine getötet worden seien. Die Freiwilligen-Organisation machte aber keine Angaben dazu, wann, wo und unter welchen Umständen sie gestorben seien. Die Namen der vier Männer werden dort genannt, auch der Name von Björn Benjamin C. ist dabei.
Bei dem Treffen in Potsdam wartet die Familie noch auf eine offizielle Benachrichtigung, auch die Rückführung der sterblichen Überreste aus der Ukraine ist unklar. "Wir müssen uns selbst Trost spenden. Ich bin glücklich, dass er glücklich war", sagt die Großmutter. Und macht sich mit ihrer Familie wieder auf den Weg nach Hause.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 16.06.2022, 19:30 Uhr
Hinweis: Der Militärexperte Ralph D. Thiele hat seine Schätzungen nach Veröffentlichung des Textes nach unten korrigiert. Wir haben die Zahlen im Text unter der Zwischenüberschrift "Keine deutsche Statistik zählt die Freiwilligen" entsprechend geändert.