Interview | Tanzverbot an Karfreitag - "Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir die letzten Reste gemeinsamer Trauer abräumen"
Die ukrainische Flagge solidarisch mit dem Land im Krieg zeigen - richtig und wichtig findet das der Berliner Superintendent Höcker. Denn Karfreitag sei genau dafür da, um mitzutrauern. Fürs Tanzen an diesem Tag zeigt er kein Verständnis.
rbb|24: Herr Höcker, erhoffen Sie sich, dass angesichts von Krieg und Pandemie mehr Berliner und Brandenburger den Karfreitag begehen als das sonst der Fall ist?
Superintendent Bertold Höcker: Ich hoffe, dass ein vertieftes Bewusstsein für den Karfreitag aufkommt. Wir machen ja immer eine große Karfreitagsprozession durch die Berliner Innenstadt. Dabei erinnern wir in diesem Jahr an die Leidenden im Krieg und an Menschen, die unter Einsamkeit leiden. Karfreitag ist wirklich der Tag, an dem man sich solidarisch mit den Leidenden zeigt, am Beispiel des Leidens Christi. Ich hoffe, dass sich dieses Jahr viele Leute unserer Prozession anschließen und so ein Zeichen setzen - so wie das schon viele bei anderen in Demonstrationen getan haben.
Wie soll man sich aus Ihrer Sicht am Karfreitag solidarisch mit den Leidenden zeigen?
Die Solidarität mit den Leidenden kann man dadurch ausdrücken, dass man sich der Karfreitagsprozession anschließt. Das ist eine Schweigeprozession. Dabei tragen wir ein großes grünes Kreuz durch die Berliner Innenstadt. An verschiedenen Stationen erinnern wir an diejenigen, die jetzt in der Ukraine und in der ganzen Welt unter Krieg leiden.
Seit Beginn des Krieges gibt es Menschen, die mit den Ukrainern mitleiden, also dies schon seit Wochen tun. Warum braucht es einen Karfreitag, um sich solidarisch mit den Leidenden zu zeigen – und wann ist es Zeit, aus der Trauerphase wieder herauszukommen?
Alles hat seine Zeit, das steht schon in der Bibel. Aber wir stecken ja noch gar nicht richtig drin in der Trauerphase. Uns betrifft bislang, dass die Geflüchtete bei uns Schutz suchen und wir von den schrecklichen Nachrichten hören. Aber ich bin sicher, es werden noch viel mehr Geflüchtete kommen, und wir haben noch gar nicht richtig damit angefangen, über die vielen Toten und über die Verbrechen zu trauern.
Wir versuchen, solidarisch untereinander zu sein und ein Zeichen zu setzen. Aber in ihrem Kern hat die Trauer die Gesellschaft noch nicht erreicht. Das wird sicher noch eine lange Zeit dauern. Der Karfreitag ist der Tag im christlichen Jahr, an dem man solidarisch mit den Leidenden zeigt, also der ideale Tag dafür.
Nun ist in Deutschland für den Karfreitag ein Tanzverbot festgeschrieben, an das sich aber besonders die Berliner kaum halten. Haben Sie Verständnis dafür?
Ich habe dafür keinerlei Verständnis. Weil aus meiner Sicht das Tanzverbot am Karfreitag und der Karfreitag als Feiertag der letzte gesamtgesellschaftliche Konsens ist, wenigstens an einem Tag im Jahr inne zu halten. Für den Sonntag gilt das nicht mehr und auch für keinen anderen Feiertag. Ich glaube, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir die letzten Reste gemeinsamer Trauer abräumen – zugunsten von: Es hält halt jeder, wie er will - und wenn man Karfreitag eben tanzen will, will man tanzen. Lass‘ die anderen ruhig trauern. Wir geben ein gesellschaftliches Trauerkollektiv damit auf. Das bedaure ich.
Durch die Pandemie hat gab es ein monatelanges Tanzverbot. Bleiben Sie angesichtsdessen bei Ihrer Position?
Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Bei den coronabedingten Einschränkungen ging es um den Schutz innerhalb der Gesellschaft. Es war ein Gebot der Nächstenliebe, das Infektionsrisiko durch das eigene Verhalten nicht zu erhöhen. Am Karfreitag ist es aber so, dass wir bisher einen gesamtgesellschafltlichen Konsens hatten, an einem Tag im Jahr gemeinschaftlich der Leidenden in der Welt zu gedenken. Und der soll jetzt aufgegeben werden.
Wem machen Sie da den Vorwurf – der Politik, den Clubs, den Leuten, die tanzend feiern?
Mit Schuld-Zuschreibungen kommt man da nicht weiter. Ich glaube, es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass die Individualisierung einen immer höheren Stellenwert hat. Wir haben es auch kirchlich nicht geschafft haben, der Gesamtgesellschaft deutlich zu machen, wie wichtig kollektive Gedenktage sind und dass es eines gesellschaftlichen Zusammenhaltes bedarf, der durch solche Gedenktage hergestellt wird. Denn was hält denn heute noch eine Gesellschaft zusammen?
Das ist die Frage, die dahintersteht. Da bringt es nichts zu sagen, uns stört das, wir wollen nicht dazu gezwungen werden, am Karfreitag nichts tun zu dürfen. Wenn man die Frage so stellt, ist die Debatte im Grunde schon am Ende.
Ich würde immer fragen: Ist es dir wichtig, dass wir noch einen Konsens haben, einmal im Jahr der Leiden Christi zu gedenkenund das gegenwärtig zu setzen mit den Leidenden in aller Welt? Oder ist dir deine Individualität so wichtig, dass du auch diesen Tag aufgeben willst?
Hat der Karfreitag für Sie in diesem Jahr eine besondere Bedeutung, oder macht das von Jahr zu Jahr keinen großen Unterschied?
In diesem Jahr ist uns der Karfreitag besonders wichtig, weil wir mit der Prozession offensiv unser Mit-Leiden zeigen können. Natürlich beschäftigen wir uns intensiv mit der Flüchtlingsbetreuung - jedenfalls wir in der Kirche. Und es ist auch ein Zeichen der Solidarität, ukrainische Flaggen rauszuhängen. Aber mit einer Prozession zu verdeutlichen, wir trauern mit euch, wir leiden mit euch, das hat eine andere Dimension.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Vanessa Klüber
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