Uni-Angebote für geflüchtete Ukrainer - "Wir wollen Stabilität in eine unstabile Lage bringen"
Berliner Universitäten wollen geflüchteten ukrainischen Studierenden und Wissenschaftler:innen eine Perspektive bieten. Dafür sind die Unis selbst auf Spenden angewiesen. Denn der Andrang ist groß. Von Elena Deutscher
Noch Anfang des Jahres lebte Nina in Kiew, studierte Biologie und hatte eine Katze. Nach Kriegsausbruch floh die 22-Jährige mit ihrer Familie in einen Vorort der Stadt. Als es dort zu gefährlich wurde, ging es weiter nach Lwiw. Eltern, Großeltern und Katze sind noch in der Ukraine – Nina ist mittlerweile in Berlin angekommen.
"Wenn du in ein anderes Land kommst – du weißt nichts, du kennst niemanden", erklärt die Studentin. Studieren zu können bedeute auch, sich wohler zu fühlen, sagt sie weiter, "weil man mehr Kontrolle im Leben hat".
Seit Mitte Mai ist sie an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) immatrikuliert. Schon davor hat sie dort Kurse besucht, um so wenig wie möglich zu verpassen. Dass Nina Deutsch schon während ihrer Schulzeit gelernt hat, hat ihr den Einstieg an der HU etwas erleichtert. Trotzdem entschied sie sich jetzt, Mathematik zu studieren: "Es wäre sehr schwer, Biologie in einer anderen Sprache zu studieren." Außerdem gefalle ihr die Logik in der Mathematik.
Einige ihrer Leistungspunkte aus ihren vorherigen Kursen konnte sich die Ukrainerin anrechnen lassen, sodass sie ihr Studium nicht wieder ganz von vorne starten musste. Der Weg bis zu ihrem Studentinnen-Status war allerdings kompliziert: "Ich musste so viel machen, viele E-Mails schreiben, ich musste mich um die Krankenversicherung kümmern. Und ich musste zum Sozialamt gehen und einen Antrag für die Immatrikulation stellen."
Die Nachfrage nach Studienplätzen ist groß
Laut der Berlin University Alliance – der Vereinigung der drei großen Berliner Universitäten und der Charité - studieren aktuell etwa 130 ukrainische Geflüchtete an HU, Technischer Universität und Freier Universität oder besuchen dort Sprachkurse.
Das Interesse ist allerdings noch größer, erklärt Yoan Vilain, Präsidiumsbeauftragter für Internationales und Europa an der Humboldt-Universität. "Wir haben über 800 Anfragen bekommen von Personen, die in der Ukraine sind, die noch in der Schule sind und von Drittstaatsangehörigen", erklärt er. "Das erste was wir tun konnten, war beraten, beraten, beraten. Das war eine riesige Herausforderung für uns", so Vilain.
Für 25 Studierende hat die HU für das Sommersemester eine kurzfristige Lösung gefunden. An weiteren Lösungen fürs kommende Wintersemester wird noch gearbeitet.
Nicht alle der 800 Anfragenden kann die Humboldt-Universität aufnehmen. Vorerst konzentriert sie sich auf Geflüchtete, die schon in Berlin sind. Außerdem bietet die Universität manche der gefragten Studiengänge wie Ingenieurwissenschaften gar nicht an.
"Stabilität in einer instabilen Lage"
Doch nicht nur Studierende aus der Ukraine, sondern auch Wissenschaftler:innen kommen auf die Berliner Universitäten zu. Aktuell arbeiten zwölf geflüchtete Forschende an der Humboldt-Universität, weitere 42 an anderen Universitäten.
"Viele wollen nur einen Anschluss haben, etwas Normalität in einer traumatisierenden Situation", erklärt Neda Soltani, Referentin für gefährdete Forschende in der Abteilung Internationales an der HU Berlin. Sie und ihre Kolleg:innen haben viele Überstunden und schlaflose Nächte damit verbracht, nach Lösungen für die Geflüchteten zu suchen.
Mithilfe von Spenden und Stiftungsgeldern soll eine Brückenfinanzierung ermöglicht werden, bis die Forschenden in reguläre Nothilfeprogramme von Fördereinrichtungen aufgenommen werden können. "Was wir wollen, ist Stabilität in eine instabile Lage bringen. Die Studierenden sollen Anschluss im Studium und im akademischen Leben finden", sagt Yoan Vilain.
Ein Stipendium, um auf eigenen Beinen zu stehen
Studentin Nina aus Kiew hat mittlerweile etwas Anschluss gefunden und sich mit vier Mitstudierenden angefreundet. Aktuell lebt sie bei einer Freundin ihrer Mutter. Dafür ist sie sehr dankbar, möchte aber so schnell wie möglich auf eigenen Beinen stehen. "Ich möchte nicht so lange in einer Situation sein, wo ich von anderen Leuten abhängig bin. Ich möchte das Leben für sie nicht kompliziert machen", erzählt Nina. Sie hofft auf ein Stipendium, nach der Ungewissheit seit Kriegsbeginn würde das finanzielle Sicherheit bedeuten. Außerdem könnte sich Nina dann ein WG-Zimmer leisten und auch hoffentlich ihre Katze zu sich holen.
Die Studentin findet das deutsche Universitätssystem gut und möchte zunächst in Deutschland weiterstudieren, vielleicht auch ihren Master hier machen. Ob sie irgendwann in die Ukraine zurückgeht, weiß Nina noch nicht: "Das hängt von einer Frage ab: Wo kann ich das Leiden in der Welt besser reduzieren? Im Moment denke ich, das wird nicht in der Ukraine sein. Denn wenn ich nicht am Leben bin, dann kann ich Dinge nicht ändern."
Sendung: rbb24 Inforadio, 25.05.2022, 10:30 Uhr