Wegen Angriffskrieg Russlands - Initiatoren des "Zukunftszentrums" fordern neues Konzept
Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine ist eine neue Debatte um das "Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation" entstanden. Einige der Initiatoren fordern ein neues Konzept. Von Hanno Christ
Es ist noch nicht gebaut, aber schon jetzt wird am geistigen Fundament des geplanten sogenannten Zukunftszentrums gerüttelt - auch von dessen Initiatoren.
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges fordern die Diktatur-Beauftragte Brandenburgs, Maria Nooke, und der Historiker Ilko Sascha-Kowalczuk zusammen mit mehreren Dutzenden weiteren Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens in einem offenen Brief eine Abkehr vom ursprünglichen Konzept des Zukunftszentrums.
Man begrüße es weiterhin, wenn Ostdeutschlands Geschichte einen Schwerpunkt bilde, stellt aber die Gründungsidee in Frage, Ostdeutschland in den Fokus zu rücken: "Der Angriffskrieg Russlands gegen die freie und souveräne Ukraine müsste nun endgültig alle überzeugen, dass nationale Selbstbetrachtungen unangebracht sind und zu kurz greifen", heißt es in dem Brief. Eine Beschränkung auf die Zeit nach 1989 greife ebenso zu kurz wie die Idee, Deutschland alleine ins Zentrum zu rücken.
"Die bisherigen Konzepte waren zum Teil zu stark davon geprägt, den russischen Staat miteinzubeziehen." Eine Zusammenarbeit mit Russland aber hält Maria Nooke so schnell nicht mehr für möglich. Stattdessen fordert sie eine kritischere Sicht auf autokratische Regierungen in Europa und eine stärkere Betonung demokratischer Freiheitswerte. "Ich beobachte mit Staunen und Beunruhigung wie unkritisch Putins Politik teilweise im Osten wahrgenommen wird", sagt Nooke rbb|24.
Platzecks Herzensprojekt
Der Brief legt einen Streit um die grundsätzliche Ausrichtung des Zukunftszentrums offen. Es ist auch eine Auseinandersetzung zwischen jenen, die Putins Autokratie seit jeher skeptisch gegenüberstanden und jenen, die ihm die Hand ausstreckten. Das Projekt mit dem ellenlangen Titel "Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation" ist ein Projekt, angeschoben unter der Regierung Angela Merkels (CDU), übernommen von der Ampel-Regierung, festgehalten auf Seite 130 des Koalitionsvertrages.
Manchen, wie dem ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten und ehemaligen Vorsitzenden der Einheitskommission Matthias Platzeck (SPD), ist es ein Herzensprojekt, das Großes verspricht: Platzeck hatte von einem "Dom" gesprochen, architektonisch vergleichbar mit einem Guggenheim des Ostens. 200 Millionen Euro Bundesgeld seien für den Bau veranschlagt, ein Jahresetat von 43 Millionen Euro, Platz für etwa 180 Mitarbeiter.
Als Vorbild gesehen wird das Zentrum Solidarnosc in Danzig, ein monumentaler Bau aus Stein und Stahl auf dem dortigen Werftgelände. Das Zentrum dort ist eine Huldigung an die Polen, die die politische Wende in Europa einleiteten. Eine ähnliche Verbeugung sollte nun auch in Deutschland passieren – nur diesmal vor der Lebensleistung der Ostdeutschen. In dieser Denkschmiede sollten aus den teils schmerzvollen gesellschaftlichen Umbrüchen nach 1989 Konzepte für andere Gesellschaften geformt werden - in Europa, vielleicht auch darüber hinaus. So die Idee, die nun aber nicht mehr alle so gut finden.
Mehr europäische Geschichte, weniger ostdeutsche
Matthias Platzeck wollte sich auf rbb-Anfrage nicht zu der Diskussion äußern. Er gehört nicht zu den Unterzeichnern des offenen Briefes. Platzeck steht als ehemaliger Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums für seine Haltung gegenüber Russland in der Kritik. Den Vorsitz hat er niedergelegt. Seitdem ist es still um ihn geworden.
Gerade das veränderte Verhältnis zu Russland müsse nach Ansicht der Verfasser des offenen Briefes auch im Konzept des Zukunftszentrums seine Spuren hinterlassen. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine überdenkt Brandenburgs Diktaturbeauftragte nicht nur das Zukunftszentrum, sondern auch teils ihre eigene Haltung. "Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal so deutlich für Waffenlieferungen ausspreche", meint Maria Nooke. "Das Entscheidende wird sein, dass wir uns damit auseinandersetzen, welche Bedeutung Freiheit für uns hat." Die europäische Idee müsse stärker in den Vordergrund gerückt werden, nicht die deutsche Geschichte.
Frankfurt (Oder) will Standort werden
Fraglich ist, ob der Streit um das Zentrum den Zeitplan dafür ins Wanken bringen wird. Koordinator des Projektes ist derzeit der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD). Der kündigte auf Nachfrage des rbb an, die Anregungen und Vorschläge der Initiative würden in die weitere Ausgestaltung "einfließen können, um das Konzept zu konkretisieren". Wichtig sei es, nun schnellstmöglich mit dem Standortwettbewerb zu starten. Für eine Debatte im Bundestag noch im Juni wird die Zeit knapp. Mehrere ostdeutsche Städte haben sich in einem Wettbewerb beworben, darunter Leipzig, Plauen und Frankfurt (Oder).
Für den Standort in der Grenzstadt machen sich Brandenburg und Berlin gemeinsam stark. Frankfurt hat bereits Grundstücke ausfindig gemacht und sieht sich unter den Anwärtern weit vorne. Die Stadt verspricht sich von dem Bau eine enorme wissenschaftliche, gesellschaftspolitische und architektonische Aufwertung. Ursprünglich sollte der Bau bis 2027 vollendet sein. Der Streit um dessen geistiges Fundament verschafft ihm nun neue Aufmerksamkeit. Und der hat einen Standort ja noch nicht nötig.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 21.04.2022, 19:30 Uhr