Falscher Klitschko - Giffey nach Fake-Anruf: "Wir werden misstrauischer"
Einen Cyber-Angriff auf das Berliner Landesnetz hat es wohl nicht gegeben, als die Regierende Bürgermeisterin mit einem gefakten Vitali Klitschko sprach. Doch der Fall wirft weiter viele Fragen auf. Von Tobias Schmutzler
"Wir werden misstrauischer." Das ist Franziska Giffeys Fazit aus dem manipulierten Video-Anruf, den sie am vergangenen Freitag mit einem gefälschten Vitali Klitschko geführt hatte. "Wir werden in Zukunft noch genauer checken, ob solche Anfragen echt sind", sagte die Berliner Regierende Bürgermeisterin (SPD) am Dienstag in der Senatspressekonferenz.
"Seit Freitag ist klar, dass zur politischen Kommunikation nicht nur Fake-News, sondern auch Fake-Kommunikation gehört", sagte IT-Staatssekretär Ralf Kleindiek (SPD). Wahrscheinlich habe es parallel zu dem Betrug aber keinen Cyber-Angriff auf das Berliner Landesnetz gegeben.
Landeskriminalamt ermittelt, um Motivation zu klären
In Bezug auf den betrügerischen Videoanruf ermittelt jetzt der polizeiliche Staatsschutz des Berliner Landeskriminalamtes zusammen mit der Zentralstelle Cyber-Crime. Sie sollen zunächst die Frage klären, welche Motivation hinter dem Betrug gelegen habe: Ging es um Spionage oder nur Diskreditierung? Strafbar sei die Manipulation nach aktuellem Stand nur insofern, als ein Identitätsdiebstahl zulasten Vitali Klitschkos vorliege.
Im aktuellen Fall habe es keine Anhaltspunkte für einen Fake gegeben, so Giffey. Das Gespräch sei von der Senatskanzlei ganz normal vorbereitet worden. Inhaltlich sollte der Fokus auf Hilfeleistungen für die Geflüchteten aus der Ukraine liegen. Zu Beginn des Gespräches habe der Fake-Klitschko erklärt, Russisch sprechen zu wollen, weil manche Verwaltungsmitarbeiter nur diese Sprache verstehen würden. Auch die E-Mail-Adresse des Gesprächspartners sei nicht verdächtig gewesen.
Giffey: Gestik und Lippenbewegungen sahen täuschend echt aus
In der Videoschalte habe Giffey zunächst die Hilfe Berlins beschrieben, wofür sich der Gesprächspartner bedankt habe. Dabei hätten die Gestik und Mimik, auch die Lippenbewegungen, genau dem entsprochen, was das Gegenüber gesagt habe. Giffey sagte, der Gesprächspartner habe sich völlig normal verhalten – auch Zwischenfragen seien problemlos möglich gewesen.
Dann allerdings hätten Giffey und ihr mit anwesendes Team etwa bei der Hälfte des Gesprächs Zweifel gehabt, was die Fragen des Gegenübers anging. Dabei ging es zum einen um eine Frage des manipulierten Klitschkos, ob ukrainische Geflüchtete sich in Berlin Sozialleistungen erschleichen wollten. Die zweite zweifelhafte Frage sei gewesen, ob die ukrainische Polizei helfen solle, geflüchtete Männer zurückzuholen, damit sie im Krieg kämpfen könnten.
Zuletzt habe dann der Wunsch des Fake-Klitschkos Verwunderung ausgelöst, Berlin solle Kiew bei der Ausrichtung einer Gay-Parade für homosexuelle Menschen helfen. An diesem Punkt seien Giffey und ihr Team "sehr irritiert" gewesen und hätten sich stummgeschaltet untereinander besprochen. Daraufhin sei das Gespräch abgebrochen.
Ukrainischer Botschafter nicht erstaunt über den Betrug
Anschließend habe die Senatskanzlei Kontakt zur ukrainischen Botschaft aufgenommen, die in Kiew nachgefragt habe, woraufhin sich herausstellt habe, dass das Gespräch ein Betrug gewesen sei. Zu Giffeys Überraschung habe der ukrainische Botschafter in Deutschland nicht erstaunt auf den Fake reagiert. Er habe erklärt, dass solche Fakes dazu dienen würden, das Vertrauen zwischen Deutschland und der Ukraine zu erschüttern.
Giffey sagt, es sei im Nachhinein wichtig gewesen, transparent mit dem Vorfall umzugehen. "Wir haben damit einen Stein ins Rollen gebracht", so Giffey. Andere europäische Städte seien ebenfalls von solchen betrügerischen Videoschalten betroffen gewesen. Hier zeige sich eine "systematische Vorgehensweise", so die Regierende Bürgermeisterin. Alle Städte hätten Anfang Juni Einladungs-E-Mails erhalten.
Automatische Erkennung solcher Fakes bisher nicht möglich
Giffey wollte sich nicht festlegen, ob es sich um einen sogenannten Deep-Fake oder eine andere Form der Fälschung handelte. "Was wir aber mit Sicherheit sagen können: dass es eine Manipulation war." Entscheidend sei festzustellen, dass es sich hier um Fake-Kommunikation handele, und dass diese nur durch den Inhalt aufgefallen sei, nicht durch das optisch Gesehene. Denn die Machart sei nicht als Betrug zu erkennen gewesen.
IT-Staatssekretär Kleindiek sagte dazu, eine automatische Erkennung von Fake-Anrufen sei aktuell noch nicht möglich, da technische Lösungen dafür noch nicht fertig erforscht und entwickelt seien.
Auch wenn es parallel zum Videobetrug keine Attacke auf das Berliner Landesnetz gegeben habe, seien Cyberangriffe im Allgemeinen alltäglich. Das im April eröffnete Cyber Defence Center wehre im Monat 1,26 Millionen versuchte Übergriffe auf das Berliner Landesnetz ab, das seien 40.000 Angriffe am Tag. Zusätzlich gebe es 500.000 Spam-E-Mails pro Monat, darin 3.000 Computerviren. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine habe es aber keine erfolgreichen Angriffe auf das Landesnetz gegeben, so IT-Staatssekretär Kleindiek.
Bis Mitte Juli Videoschalte mit echtem Klitschko geplant
Es gebe keine Aufzeichnung der Videoschalte, was eine Untersuchung im Nachhinein schwierig mache, sagte Staatssekretär Kleindiek weiter. Senatssprecherin Lisa Frerichs verteidigte diesen Umstand damit, dass es sich um ein als vertraulich anberaumtes Gespräch gehandelt habe, von denen grundsätzlich keine Mitschnitte angefertigt würden. Mehr als Standbilder könnten daher im Nachhinein nicht zur Verfügung gestellt werden.
Jetzt plane die Senatskanzlei, bis Mitte Juli mit dem echten Vitali Klitschko zu sprechen. Die Terminsuche für eine Videoschalte mit dem Kiewer Bürgermeister laufe bereits. Diese solle dann in deutscher Sprache geführt werden, so Giffey. Zuvor solle es eine Abstimmung mit der ukrainischen Botschaft und einen Test auf die Echtheit des Gegenübers geben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 28.06.2022, 15:50 Uhr