Braunkohle in Brandenburg - Kommt der Ausstieg vom Kohleausstieg 2030?

Di 01.03.22 | 06:12 Uhr | Von Hanno Christ
Wasserdampf steigt zum Sonnenuntergang aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG). (Quelle: Patrick Pleul/dpa)
Video: Brandenburg aktuell | 01.03.2022 | H. Christ/R. Herkner | Gespräch mit Rainer Haseloff | Bild: Quelle: Patrick Pleul/dpa

Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine fordern die Ministerpräsidenten der Braunkohle-Länder, den Ausstieg 2030 zu überdenken. Ganze vorne mit dabei: Brandenburgs Ministerpräsident Woidke. Wackelt der Kohleausstieg? Von Hanno Christ

In den Reihen der Bündnisgrünen im Brandenburger Landtag dürften vergangene Woche den Mitgliedern der Fraktion die Kinnladen runtergefallen sein: Emotional sichtlich angefasst hatte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) Russlands Überfall verurteilt – und nebenbei den vorgezogenen Kohleausstieg bis 2030 in Frage gestellt.

Dabei hatte er den doch im Ampel-Koalitionsvertrag mit verhandelt. Vor dem Hintergrund steigender Energiepreise müsse man sich Gedanken machen, "ob die Zeitschiene 2030 real ist", sagte Woidke dem rbb. Noch in diesem Jahr müsse dazu eine Entscheidung fallen.

Noch schneller war CDU-Fraktionschef Jan Redmann: Der hatte nicht nur Ähnliches gefordert, sondern zusätzlich dafür geworben, die Laufzeit von Atomkraftwerken zu verlängern. Wähnten sich die Grünen eben noch halbwegs einig mit ihren Partnern in der Kohle-Ausstiegsdebatte, stehen sie plötzlich alleine da.

Ängste vor einem Blackout und kalten Wohnungen

In Fragen von Energiewende und Klimawandel mögen alle Brandenburger Koalitionäre an einem Strang gezogen haben. Die Frage der Zugkraft legte aber offenbar jeder unterschiedlich aus. Während die Grünen den schnelleren Ausstieg bis 2030 als Kernprojekt ihrer Koalitionsarbeit anpeilen, hatte Woidke stets klargemacht, dass für ihn Versorgungssicherheit oberste Priorität hat, bevor weitere Braunkohlekraftwerke ausgeknipst werden. Wenn nicht 2030, dann eben zu einem anderen Zeitpunkt.

In einem historisch sensiblen Moment aber hat er nun nachgelegt. Der Krieg in der Ukraine hat bereits vorhandene Ängste vor einem Blackout und kalten Wohnungen in der Mark neu entfacht. Der Ruf nach fossilen Energieträgern mutet für die einen in der Koalition wie ein Foulspiel an. Die Länder, die auf der Braunkohle sitzen aber bringt er wieder neu ins Spiel um politischen Einfluss und Strukturhilfen. Diesen Moment hat nicht nur Woidke genutzt, sondern auch seine Amtskollegen aus Sachsen und Sachsen-Anhalt. Mittlerweile hat sich auch Nordrhein-Westfalen gemeldet und eine Überprüfung des Kohleausstiegs angemahnt.

Brandenburgs Energiestrategie rechts überholt?

Die Zeitenwende von der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht, gilt auch für die Zukunft der Energieversorgung. Der Krieg mit Russland zerstört und schmiedet Allianzen im Eiltempo. Ob Russland weiterhin verlässlich Gas, Kohle und Öl liefern wird, ist fraglich. Planten Regierungen bis vor wenigen Tagen noch in großzügigen Zeitfenstern mehrerer Jahrzehnte, muss es jetzt plötzlich ganz schnell gehen.

Doch während die einen von alten Energieträgern wie Braun- und Steinkohle oder sogar Atomkraft nicht lassen wollen, sehen die anderen den Jetzt-erst-recht-Effekt, der einen Innovations- und Umsetzungsschub erst möglich macht. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) adelt die erneuerbaren Energien bereits zu "Freiheitsenergien".

Brandenburg gehört schon jetzt zu den Bundesländern mit den meisten Windkraftanlagen, liegt bei der Ökostromerzeugung in der Spitzengruppe, pokert nun aber erneut mit der Brückentechnologie Braunkohle. Eine Strategie, die von den Planungen des Bundeswirtschaftsministeriums überholt werden könnte: Das Haus von Robert Habeck (Grüne) macht Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren und veröffentlichte am Montag einen Katalog von Maßnahmen, der Deutschland schon in knapp 13 Jahren eine hundertprozentige Ökostromversorgung sichern soll.

Die Planungen lassen das Brandenburger Wirtschaftsministerium alt aussehen, das bislang noch an einer vergleichsweise gemütlichen Energiestrategie arbeitete. Zum Unmut von Umweltverbänden und dem bündnisgrünen Koalitionspartner peilte das Land Klimaneutralität und eine vollständige Ökostromversorgung nicht vor 2045 an. Die Energiestrategie für morgen ist seit diesen Tagen womöglich von gestern, reich an Variablen. Welche Folgen die aktuellen Ereignisse hätten sei noch nicht absehbar, heißt es aus dem Ministerium.

Der Krieg als Energiewende-Booster

Dabei sind die Warnungen des Weltklimarates einmal mehr eindeutig: Wenn nicht bis Ende des Jahrzehnts Entscheidendes passiere, sei es zu spät, um die Erwärmung auszubremsen. Die Risiken seien größer als gedacht. Nun führt möglicherweise nicht die Arbeit Tausender Wissenschaftler zu einem Booster der Energiewende, sondern ein Krieg. Das Drohszenario einer Energiekrise wirkt stärker als die schleichenden Effekte der Erderwärmung. Die Forderungen von Woidke und anderen Ministerpräsidenten nach einer Gnadenfrist für die Braunkohle mögen aus deren Sicht realpolitisch motiviert sein, wirken nun aber erneut aus der Zeit gefallen.

Nebenbei zeigen sie, dass die Verantwortlichen offenbar selbst nicht an die zügige Umsetzung von Energiewende und Strukturwandel glauben. Der steht - kaum angelaufen - in der Kritik, dass die versprochenen finanziellen Mittel nicht dorthin fließen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Die Zeit um den Ausgleich schwindender industrieller Arbeitsplätze läuft, die Landesregierung ist unter Druck. Eine Verzögerung des Ausstieges würde ihn mildern.

Renaissance der Kohle

Mit jeder Tonne Braunkohle, die aus der Erde geholt und verfeuert wird, verschlechtern sich die Lebensbedingungen auf der Erde. Braunkohle aber gehört noch immer zu einem der wesentlichen und planbarsten Energieträgern Deutschlands, wohingegen viele Fragen bei der Erzeugung und Nutzung erneuerbarer Energien noch ungeklärt sind. Die Politik zögert noch, diese Sicherheiten aufzugeben.

Und: Die Unsicherheit auf dem Energiemarkt könnte Braunkohle wieder begehrter und rentabler machen. Schon vor dem Angriff auf die Ukraine stieg weltweit der Anteil der Braunkohle-Stromerzeugung 2021 um nrun Prozent, berichtete "Die Zeit". Weltweit steigen die Kraftwerkskapazitäten. Deutschland gehört noch immer zu den größten Nutznießern beim Braunkohleverbrauch, liegt aber weit hinter Ländern wie China, Indien oder den USA. Der Kohle-Ausstieg in Deutschland ist damit ein Ausstieg gegen den Trend. Die Äußerungen der jüngsten Zeit zeigen: Die Versuchung, dem Trend nachzugeben, ist offenbar auch in Brandenburg noch immer groß.

Sendung: Radioeins, 01.03.2022, 07:40 Uhr

Beitrag von Hanno Christ

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