Diskussion um Beschulung Geflüchteter - Deutschunterricht in Willkommensklassen oder Lernen nach ukrainischem Lehrplan?
Für Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine sollen am Montag die ersten Willkommensklassen an Berliner Schulen starten. Dort werden sie vor allem Deutsch lernen. Allerdings gibt es auch Kritik an diesem Weg. Von Kirsten Buchmann
Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka fand in ihrer Rede vor der Kultusministerkonferenz vergangene Woche deutliche Worte. Sie forderte: "Die ukrainischen Kinder, die sich zwischenzeitlich hier aufhalten, sollen ihre Beschulung nach dem ukrainischen System und deren Lehrplänen weiter fortsetzen." Das allein werde ihnen eine "barrierefreie und schmerzfreie Rückkehr in die Ukraine ermöglichen".
Ihre Forderung verband sie mit Kritik an den deutschen Lehrplänen. Dort fehle die ukrainische Geschichte fast völlig, es dominiere nach wie vor Russland.
Alle hofften, dass der Schrecken des Krieges nicht zu lange dauere, betonte die Generalkonsulin. Für die nach Deutschland geflüchteten Kinder gehe es nicht darum, eine vollständige Integration in die deutsche Gesellschaft herzustellen. Die nationale Identität müsse aufrechterhalten werden. Es sei wichtig, dass die Kinder weiter ihre Sprache, Geschichte und Kultur lernen könnten.
Sie forderte daher, die Schüler nicht in "Integrationsklassen", sondern ein bis drei Jahre lang in "kleineren Bildungseinheiten" zu unterrichten. Dabei verweist sie auf erfolgreiche Erfahrungen in Deutschland mit internationalen sowie bilingualen Schulen. Darin sieht sie ein Argument, "dass eine temporäre Beschulung nach dem ukrainischen Bildungssystem für einen begrenzten Zeitraum funktionieren kann".
Erste neue Willkommensklassen ab Montag
In Berlin sind die ersten neuen Willkommensklassen allerdings inzwischen schon eingerichtet. Die ersten sollen ab Montag starten, heißt es aus der Bildungsverwaltung. Es werde sichergestellt, dass die aus der Ukraine nach Berlin geflüchteten Kinder und Jugendlichen möglichst bald einen Schulplatz erhalten.
An mehreren Schulen konnten sie laut der Bildungsverwaltung auch bereits in Regelklassen integriert werden. Ziel ist es laut einem Sprecher der Bildungsverwaltung, "dass die ukrainischen Schülerinnen und Schüler möglichst zügig Deutsch lernen, um sich hier im Alltag zurechtzufinden – und auch, um sich angesichts der unklaren Lage in der Ukraine perspektivisch integrieren zu können."
Gleichzeitig arbeite die Bildungsverwaltung daran, muttersprachlichen Herkunftsunterricht in die Angebote einzubeziehen und anstehende ukrainische Schulabschlüsse zu beachten. Es hätten sich auch bereits viele ukrainischstämmige Menschen gemeldet, um hier als Pädagoginnen und Pädagogen tätig zu sein.
Keine Extra-Insel
Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Marcel Hopp, findet den Weg richtig, ukrainische Schülerinnen und Schüler in Willkommensklassen an den Berliner Schulen zu beschulen, "und nicht, wie der Vorschlag von Generalkonsulin Tybinka ist, nach ukrainischen pädagogischen und schulrechtlichen Vorgaben." Denn die Kinder und Jugendlichen, die herkommen, hätten das Recht, hier unterrichtet zu werden.
"Aber auch im Sinne der Schulpflicht wird hier keine Extra-Insel aufgebaut." Es gehe darum, die bestmögliche Bildung zu gewährleisten, auch vor dem Hintergrund, dass der Krieg vielleicht länger andauere.
Die Hoffnung der Generalkonsulin, dass es sich um einen vorübergehenden Aufenthalt der Kinder in Deutschland handelt, könne er nachvollziehen, sagt Hopp. Auch er hoffe, dass es schnell zu einem Frieden im Sinne der Ukraine komme. "Aber in unserem Krisenmanagement gehen wir davon aus, dass es eben kein vorübergehender Aufenthalt ist. Wir haben die Arbeitsthese, dass die, die hier sind, erst mal hierbleiben werden."
Wunsch nach Räumen und Personal
Die bildungspolitische Sprecherin der oppositionellen CDU-Fraktion Katharina Günther-Wünsch kann der Generalkonsulin insofern zustimmen, dass es nicht das Mittel der Wahl sei, die Kinder möglichst schnell in das Regelschulsystem zu bringen. "Sondern diese Kinder sind traumatisiert, entwurzelt und brauchen zunächst einen geschützten Raum." Am besten sei eine "Ankommenssituation" mit Muttersprachlern und vertrauten Menschen um sie herum.
Sie habe zugleich schon einige Male erlebt, dass Geflüchtete darum baten, ihnen digitale Geräte zur Verfügung zu stellen. Denn ihre Kinder würden aus der Ukraine heraus einen voll digitalisierten Unterricht erhalten, zumindest für die Klassen fünf bis elf. Man könne prüfen, wie man dem nachkommen und das mit Räumen und digitalen Geräten umsetzen könne. Das sieht Günther-Wünsch als eine Option für dieses Schuljahr.
Aber auch andere Wünsche kommen bei der CDU-Abgeordneten an: Gerade manche privat Untergekommene wollten ihre Kinder mit denen ihrer Gastfamilien zur Schule gehen lassen. Sie fordert daher Räume, Personal, Therapeuten und Schulpsychologen sowie Geld, um den Unterricht für sie zu finanzieren.
Sendung: Abendschau, 17.03.2022, 19:30 Uhr