#Wiegehtesuns? | Helferin für Kriegsflüchtlinge - "Es macht mich sprachlos, dass niemand Offizielles da ist"

Mi 09.03.22 | 14:38 Uhr
Alexandra mit der von ihr aufgenommenen ukrainischen Familie im März 2022 am Berliner Hauptbahnhof. (Quelle: privat)
privat
Video: rbb spezial | 08.03.2022 | Bild: privat

Täglich treffen tausende Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland ein. Auch am Berliner Hauptbahnhof, wo Ehrenamtliche sie in Empfang nehmen. Eine von ihnen ist die 41-jährige Alexandra. Sie hat zwei Familien bei sich aufgenommen. Ein Gesprächsprotokoll.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, was sie gerade beschäftigt – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Hunderttausende Menschen haben die Ukraine bislang verlassen. Auf der Flucht vor dem Krieg geht es meist zu Fuß, per Bus und per Bahn zunächst Richtung Westen. Auch in Deutschland suchen die Menschen Zuflucht. Hauptankunftsort ist unter anderem der Hauptbahnhof in Berlin. Hier sind seit Tagen freiwillige Helfer:innen im Einsatz. Alexandra (41) ist eine von ihnen. Sie hat Geflüchtete bei sich in Brandenburg aufgenommen. Und rät allen dazu, das Gleiche zu tun.

Meine Familie und ich haben zwei Mal geflüchtete Familien aus der Ukraine bei uns aufgenommen. Es war nur jeweils für eine Nacht. Die Familien haben auf einem Schlafsofa und auf Matratzen bei uns im Wohnzimmer in Zepernick (Barnim) geschlafen.

Geplant war das nicht. Wir haben täglich nicht nur die Berichte über den Krieg sondern auch die über die ankommenden Geflüchteten gesehen. Darüber und über Soziale Medien habe ich mitbekommen, dass am Berliner Hauptbahnhof viele Menschen aus der Ukraine ankommen und da stranden.

Ich bin voll berufstätig, mein Mann auch und wir haben drei Kinder. Deswegen habe ich mir erst am Wochenende gesagt: Jetzt fahre ich zum Hauptbahnhof. Ich bin mit dem Rad zur S-Bahn gefahren, habe mich in den Zug gesetzt, in 40 Minuten war ich da.

Es ist rührend, die Ehrenamtlichen am Bahnhof zu sehen. Sie nehmen die Leute, die da ankommen, in Empfang. Es gibt etwas zu essen, etwas zu trinken und etwas zu spielen für die Kinder und dann wird geguckt: Fahren die Menschen weiter oder bleiben sie Berlin. Brauchen sie eine Unterkunft, wenn ja, für wie lange. Und dann wird das eben ehrenamtlich koordiniert.

Aber ich bin total sprachlos, dass ich nie jemanden von offizieller Seite am Bahnhof gesehen habe. Ich war morgens und abends zwischen 19 und 20 Uhr da und da waren nur Privatleute. Tagsüber weiß ich es nicht. Aber die Züge kommen ja auch nach 17 Uhr und damit nach Büroschluss an. Ich verstehe das nicht. Der Krieg tobt nicht erst seit zwei Tagen. Es war klar, dass die Menschen fliehen und irgendwann auch in Brandenburg und in Berlin eintreffen werden. Warum hat es die Berliner Verwaltung nicht geschafft, innerhalb einer Woche Erstaufnahmelager und -kapazitäten in Turnhallen und in der Messe bereitzustellen?

Es ist natürlich toll, dass so viele Privatpersonen helfen. Aber es birgt auch Gefahren. Da müssen dann von offizieller Seite Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen - oder von mir aus auch Freiwillige - und sagen: Hier kommt ein Zug an, die Ankommenden setzen wir in einen Bus und dieser Bus bringt die Menschen dann in eine Unterkunft. Aber dass ohne die private Initiative die Erstaufnahme von den Geflüchteten überhaupt nicht funktionieren würde, das macht mich echt fassungslos. Man muss sich das mal vorstellen: In unserer Flüchtlingsunterkunft in Zepernick stehen 30 Betten bereit. Und es ist gerade mal eine Familie (sechs Menschen) dort untergebracht worden. Und das liegt an der schlechten Koordination der Behörden.

Ich wollte am Bahnhof irgendwie helfen und hätte auch Brote geschmiert oder Kartons gepackt. Aber es war dann irgendwie die naheliegendste Sache, eine Familie aufzunehmen. Da standen ein Vater, eine Mutter, die Oma und zwei vierjährige Zwillingsmädchen. Und als gefragt wurde, ob sie jemand für eine Nacht aufnehmen könne, habe ich "hier" gerufen.

Ich habe dann vom Bahnhof aus meinen Mann kurz angerufen und ihm gesagt: "Bereite mal bitte das Wohnzimmer vor. Da übernachten heute Leute." Und dann bin ich mit der ukrainischen Familie in die S-Bahn gestiegen. Es war auch noch Schienenersatzverkehr auf dem Rückweg, in Buch habe ich dann versucht, ein Großraumtaxi zu organisieren, das war nicht zu bekommen. Mein Mann konnte unsere drei Kinder nicht alleine lassen und deshalb hat er noch über Kontakte Bekannte mit Autos organisiert. So sind wir dann über Umwege angekommen.

Ich möchte allen in Berlin und Brandenburg sagen: Für eine Nacht Geflüchtete aufzunehmen, das ist total unproblematisch. Die Menschen aus der Ukraine wollen nach drei, vier, fünf Tagen auf der Flucht duschen, vielleicht einmal die Sachen in die Waschmaschine und in den Trockner stecken, etwas Warmes essen und trinken und schlafen. Kommuniziert haben wir ein ganz bisschen auf Englisch und sonst mit Hilfe von Google Translate. Für einfache Dinge reicht das. Wir haben bislang zwei Mal Menschen über Nacht bei uns aufgenommen. Die zweite Nacht war ebenfalls eine Familie bei uns, Eltern mit vier Kindern. Nun sind sie in einer Flüchtlingsunterkunft.

Die erste Familie habe ich nach der Nacht bei uns am nächsten Tag wieder zum Bahnhof gefahren. Sie wollten weiter über Mannheim und Paris nach Barcelona zu Verwandten oder Bekannten. Beim Einsteigen in den Zug sind wir dann auf eine Frau gestoßen, die gut Ukrainisch sprach. Ich habe dann über sie ausrichten lassen, dass ich der Familie alles, alles gute Wünsche. Wir haben uns umarmt, und die Mutter hat dann angefangen ganz herzzerreißend zu weinen.

Ich glaube, während sie hier bei uns war, hat sie einfach nur funktioniert und sich um ihre Kinder gekümmert. Und ich glaube, als dann klar war, die erste Etappe der Flucht ist geschafft, wir sitzen jetzt im Zug Richtung Spanien, da ist eine Last von ihr abgefallen. Das hat man richtig gemerkt.

Gesprächsprotokoll: Kira Pieper

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Sendung: Abendschau, 09.03.2022, 19.30 Uhr

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