Debatte auf Kleinem Parteitag - Berliner Grüne unterstützen Waffenlieferungen - Aufrüstung eher nicht

Do 03.03.22 | 10:35 Uhr | Von Franziska Hoppen
Symbolbild: Soldaten warten am 14.12.2021 auf dem Appellplatz hinter Maschinengewehren vom Typ MG5 auf eine Rede von Christine Lambrecht (SPD). (Quelle: dpa/Kay Nietfeld)
Audio: Inforadio | 03.03.2022 | Franziska Hoppen | Bild: dpa/Kay Nietfeld

Es ist eine Kehrtwende um 180 Grad: Die Bundesregierung will nun doch Waffen an die Ukraine liefern. Und nicht nur das: Über einen Sondertopf soll die Bundeswehr 100 Milliarden Euro bekommen. Nach erster Funkstille reagieren jetzt die Grünen. Von Franziska Hoppen

Viele Grüne hatten sich in den vergangenen Wochen gegen Waffenlieferung an die Ukraine ausgesprochen. Doch beim Kleinen, rein digitalen Parteitag der Berliner Grünen am Samstag klang das nun anders: Die Redner sprachen sich überwiegend für Waffenlieferungen aus.

Und manche waren dabei von sich selbst überrascht. So wie der ehemalige Landeschef Werner Graf. Er hätte es nicht für möglich gehalten, so etwas einmal zu unterstützen, sagte er, "da hat sich bei mir eine riesige Veränderung getan".

Archivbild: Werner Graf, Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Berlin, spricht am 06.12.2021 bei einer Pressekonferenz der Berliner Grünen. (Quelle: dpa/Christoph Soeder)
Werner Graf, ehemaliger Landesvorsitzender der Grünen Berlin | Bild: dpa/Christoph Soeder

Denn - das betonen die Grünen an diesem Abend immer wieder: Putins Angriffskrieg auf die Ukraine sei eine solche Zäsur, dass sich der Blickwinkel geändert habe. Die EU-Abgeordnete Hannah Neumann findet deutliche Worte: Putin habe die militärische Antwort provoziert, weil er sich von Dialog und Diplomatie verabschiedet habe. Deutschland habe sich eine militärische Antwort auf seinen Angriffskrieg nicht ausgesucht - es sei dazu gezwungen worden.

Man könne mit Wirtschaftsminister Robert Habeck mitgehen, sagte Lisa Pramann vom Landesausschuss. Dieser hatte am Wochenende erklärt: Die Entscheidung, Waffen an die Ukraine zu liefern sei richtig - aber ob sie gut ist, das wisse heute keiner.

Kritik an Aufrüstung

Kritischer sehen die Grünen allerdings die Finanzspritze für die Bundeswehr, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt hat: 100 Milliarden Euro - das sei eine gigantische Summe, findet Britta Kallmann, Bezirksverordnete für Friedrichshain-Kreuzberg. Und sie fügt in einem Seitenhieb hinzu: Zur Bekämpfung der Klimakrise sei diese Summe samt Verschuldung bisher unverstellbar gewesen.

Scholz spricht in diesen Tagen von einer Zeitenwende, um die neue Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung zu erklären - und meint den Ukraine-Krieg. Für Grüne gilt aber auch der Klimawandel als Teil der Zeitenwende, sagt der Bundestagsabgeordnete Andreas Audretsch. Er findet deshalb, Scholz mache es sich zu einfach, auf diese Zeitenwende lediglich mit Aufrüstung zu reagieren. Das sei unterkomplex.

Denn, betont Audretsch: egal ob bei Kohle, Erdöl oder Erdgas - Deutschland sei von Russland abhängig. Milliarden an Investitionen seien notwendig, um Alternativen zu finden. Und um den Menschen zu helfen, die die steigenden Gas- und Öl-Preise nicht mehr zahlen können. Audretschs Fazit: "Natürlich kann man dem, was Scholz vorgeschlagen hat, nicht zustimmen."

Immerhin, sagen einige Grüne an diesem Abend, nun sei auch bei der Opposition das Bewusstsein für die Notwendigkeit der erneuerbaren Energien größer.

Kritik auch aus der Berliner SPD

Kritik an der Aufrüstung der Bundeswehr kommt aber auch aus Scholz' eigenen Reihen, zum Beispiel von Melanie Kühnemann-Grunow. Sie ist Abgeordnete der Berliner SPD-Fraktion und Europa-Sprecherin: Ihr bereite die Situation Bauchschmerzen, sagt sie auf rbb-Nachfrage. "Ich glaube schon, dass wir etwas machen müssen, um die Bundeswehr zu ertüchtigen", aber vor allem für humanitäre Hilfe. Dass Deutschland sich für die Landesverteidigung rüsten müsste, hält sie für unwahrscheinlich. Vor dem Hintergrund seien 100 Milliarden Euro ein immenses Vermögen, das die öffentlichen Haushalte nachhaltig belasten werde – zumal die noch mit den Folgen der Corona-Krise kämpfen.

Juso-Landesvorsitzende Sinem Taşan-Funke gibt außerdem zu bedenken: Vielleicht sei gar nicht das mangelnde Geld das Problem der Bundeswehr, sondern eher ihr schlechtes Management. "Wir glauben nicht", sagt Taşan-Funke, "dass es funktionieren wird, 100 Milliarden in einen nicht funktionierenden Beschaffungsapparat reinzublasen. Das wird die strukturellen Probleme nicht lösen."

Standpunkte im Wandel

Ihre Meinung zu den angekündigten Waffenlieferungen wollen die Berliner Jusos noch nicht verkünden. Melanie-Kühnemann-Grunow hält von solchen Lieferungen in Krisengebiete zwar grundsätzlich wenig, weil sie Krieg verschärfen könnten. Sie sagt aber auch: Dieser Angriffskrieg führe dazu, dass die SPD vieles, an dem sie bisher festgehalten habe, neu überdenken muss. So auch sie. "Wahrscheinlich kann man die Ukrainer an dieser Stelle auch nicht allein lassen und muss sie unterstützen.

So wird Scholz’ historische Zeitenwende bei den Berliner Grünen und der SPD zwar durchaus kritisch gesehen. Doch einige Standpunkte scheinen im Wandel.

Sendung: Inforadio, 03.03.2022

Beitrag von Franziska Hoppen

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