#Wiegehtesuns? | Projekt "Voices of Ukraine" - "Als Ukrainerin ist es meine Aufgabe, Wege zu zeigen, wie man helfen kann"

So 15.05.22 | 13:28 Uhr
Julia Singh (Quelle: Lana Oryshchyn)
Bild: Lana Oryshchyn

Seit 14 Jahren wohnt Julia in Berlin. Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, war ihr sofort klar, dass sie alles ihr Mögliche tun muss, damit Stimmen aus ihrer ukrainischen Heimat in Europa gehört werden. Ein Gesprächsprotokoll.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, was sie gerade beschäftigt – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Julia Singh kommt aus Kyjiw, seit 14 Jahren wohnt sie in Deutschland. Die heute 36-Jährige hat in Berlin studiert und im Vertrieb gearbeitet. Dann brach der Krieg in der Ukraine aus. Julia hat das Online-Projekt “Voices of Ukraine” gegründet. Auf dem Instagram-Kanal veröffentlicht sie Videos über die Situation in der Ukraine.

Zuerst wollte ich mit diesem Projekt, nicht nur den Westen erreichen, sondern auch russische Jugendliche, damit sie das, was die Medien in Russland zeigen, kritisch sehen. Aber sehr schnell habe ich verstanden, dass es unmöglich ist, dieses Ziel zu erreichen.

Deswegen ist “Voices of Ukraine” inzwischen auf Deutschland und die ganze Welt ausgerichtet. Unsere Videos sind fast alle auf Deutsch und Englisch. In einem Video erzählt zum Beispiel Sasha, ein Arzt aus Kyjiw, über seine Spendenaktion. Er sammelt das Geld, um 10 Helme für seine Kollegen zu kaufen, damit sie in Sicherheit medizinische Hilfe leisten können.

Wir wollen alle ermutigen, mehr für die Ukraine zu tun - und als Ukrainerin ist es meine Aufgabe, Wege zu zeigen, wie man helfen kann. Mit “Voices of Ukraine” wollen wir, dass Menschen Druck auf Politiker ausüben, weil im Prinzip nur diese die Macht haben, wichtige Entscheidungen über Waffenlieferungen, ein Ölembargo und weitere Sanktionen zu treffen.

Ich fühle mich überfordert, aber hoffnungsvoll. Ich habe viele Freunde nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern. Wir hatten Gespräche über den Krieg - und ich war erstaunt. Sie machen ganz viel, um zu helfen, ohne darüber zu reden. Ich war auch überrascht, wie hilfsbereit meine deutschen Freunde sind. Manche bieten Geflüchteten eine Unterkunft, andere haben eine Spendenaktion organisiert, wo sie tausende Euros für die Ukraine gesammelt haben.

Ich habe am 2. Mai auch eine internationale Wohltätigkeitsveranstaltung mit Ber4UA, eine Initiative von Berliner und internationalen Unterstützern moderiert. Unser Ziel war es, 5.000 Euro zu sammeln. Am Ende wurden 40.000 Euro gesammelt. Die Solidarität ist immens und wir werden mehr Veranstaltungen wie diese organisieren. Es ist immer wichtig, ein positives Beispiel zu geben und Menschen zu motivieren, auch etwas Kleines zu tun, weil alles zählt.

Mein Vater ist in Kyjiw geblieben. Er könnte ausreisen, aber er will das nicht. Er hat sich dafür entschieden, dort zu bleiben und wenn es sein muss, mit seinem Leben seine Heimatstadt zu verteidigen. Ich bleibe auch im Kontakt mit meinen Verwandten und Freunden, die auch dort mit ihren Familien geblieben sind.

Ich habe aber auch schon den Kontakt zu einer ukrainischen Freundin verloren. Sie wohnt seit sieben Jahren in Deutschland. Ihre Familie war pro-russisch, hat immer russische TV-Kanäle geguckt und sie hat immer eine russische Fahne in ihrer Wohnung. Kürzlich hat sie mir ein Video einer politischen Talkshow mit Propaganda und Fehlinformationen über den Krieg in der Ukraine gesendet. Da wusste ich genau, dass unsere Freundschaft zu Ende ist. Wir können nicht mehr ohne Streit reden.

Ich erinnere mich an den Moment, als mehr als 100.000 Menschen in Berlin für Frieden in der Ukraine demonstriert haben. Ich war absolut begeistert, aber auch enttäuscht, dass eigentlich keine ukrainische Organisation an diesem Protest beteiligt war. Es ist immer wichtig zusammenzukommen und zu zeigen, dass wir Unterstützung für die Ukraine wollen. “Voices of Ukraine” arbeitet mit anderen ukrainischen Organisationen wie “Vitsche“ zusammen, und wir organisieren auch Versammlungen für ukrainische Jugendliche, die helfen wollen.

Ich bitte alle Menschen, weiterhin mit der Ukraine zu stehen und für Frieden zu kämpfen. Es kann auch eine kleine Geste der Solidarität sein, wenn z.B. eine ukrainische Fahne an einem Gebäude hängt. Wir müssen auch sehr kritisch gegenüber dem sein, was unsere Politiker sagen und prüfen, was sie tatsächlich tun.

Ich will mein Projekt “Voices of Ukraine” weiterentwickeln und mehr Demos, Hilfsangebote und Spendenaktionen organisieren, solange der Krieg andauert. Das ist ein Krieg für unseren eigenen Frieden und wir müssen der Ukraine helfen, ihn zu stoppen.

Gesprächsprotokoll: Lana Oryshchyn

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