Rhythmische Sportgymnastik - Wie sich der Krieg gegen die Ukraine auf einen Sportverein auswirkt
Ein Sportverein unter Anspannung: Beim 1. VfL Fortuna Marzahn trainieren in der Rhythmischen Sportgymnastik viele Kinder, deren Familien aus der Ukraine oder Russland kommen. Die ukrainische Trainerin konnte ihre Familie vor ein paar Tagen nach Berlin holen. Von Lynn Kraemer
Wenn sie in ihre violetten Trainingsanzüge schlüpfen, sollen sie sich ganz auf das Training fokussieren. In zwei Wochen sind die Berliner Meisterschaften. Doch den Bärlinchen, die Nachwuchsgymnastinnen des 1. VfL Fortuna Marzahn, fällt das momentan schwer. In der Turntalentschule trainieren Mädchen, deren Familien unter anderem aus der Ukraine, Russland, Lettland und Deutschland kommen.
Überforderung bei den Kindern und im Trainerteam
"Man merkt, dass es knistert", berichtet die Vereinsvorsitzende Nicole Greßner: "Wir reden viel mit den Kindern. Wir fragen nach den Familien und dann erzählen uns die Kinder davon und man merkt, dass sie alle auch Angst haben." Sie habe viele Tränen gesehen, aber auch wie sich die Mädchen untereinander trösten.
Der Verein will die Kinder und ihre Familien nicht alleine lassen. Greßner hat vor ein paar Tagen Kontakt zum Kinderschutzbund Berlin aufgenommen: "Ich habe gefragt, wie wir jetzt psychologisch und pädagogisch mit den Kindern arbeiten können." Wie reagiere sie am besten, wenn plötzlich eines der Kinder weine? Der Verein hat nun direkte Kontaktmöglichkeiten, um betroffene Familien weiterzuvermitteln und ihnen zu helfen. Doch nicht nur den Kindern geht die Situation sehr nah.
"Nur der Mond hat geholfen, den Weg zu finden."
Auch hinter Frau im schwarzen Trainingsanzug, die zwischen den Mädchen umhergeht und Anweisungen gibt, liegt eine emotionale Woche. Nathalya Jacobs ist ehemalige ukrainische Meisterin in der Rhythmischen Sportgymnastik und hat sich dafür eingesetzt, dass ihre Familie aus der Ukraine flieht. "Sie wollten nicht sofort nach Deutschland kommen, weil sie immer gedacht haben, dass es am nächsten Tag zu Ende ist. Aber es gab kein Ende." Am Dienstag konnte sie mit Hilfe von Fortuna Marzahn einen Teil ihrer Verwandten schließlich in Warschau abholen.
In den Tagen vor der Flucht habe sie wenig geschlafen, erzählt Oksana, die Schwester von Nathalya. "Es waren immer Sirenen zu hören und wir haben uns im Keller versteckt." Auf dem Weg zum Bahnhof habe sie dann die Zerstörung gesehen. Die Familie fand noch Platz im überfüllten Zug nach Warschau. "Der Zug ist ganz langsam gefahren, weil wir ohne Licht gefahren sind. Nur der Mond hat geholfen, den Weg zu finden." Immer wieder habe sie Explosionen gehört.
Fortuna Marzahn ist vorbereitet
Doch die Familie ist noch nicht vollständig. "Ich fühle mich sicherer, will aber dass Papa auch herkommt", sagt Artem, der Neffe von Nathalya. Sein Vater und älterer Bruder sind in der Ukraine geblieben und haben sich der Armee angeschlossen. Neben Oksana und Artem konnte Nathalya auch ihre Eltern nach Berlin holen. "Sie haben in den Betten geschlafen und wir schlafen auf dem Boden. Aber jetzt kann ich schlafen", sagt Nathalya und lächelt. Inzwischen wohnt ihre Familie bei ihren Schwiegereltern in Stendal, weil es dort etwas ruhiger ist. Der Verein hat Kleidung und andere Produkte organisiert.
Und es soll auch noch weiter gesammelt werden. Nicole Geßner rechnet damit, dass der Verein noch mehr Familien von Vereinsmitgliedern unterstützen wird: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass noch Familien auf uns zukommen. Wir haben ein Shuttle-Auto und können dann auch losfahren." Fortuna Marzahn will so gut wie möglich vorbereitet sein.
Sendung: rbb UM6, 05.03.2022, 18 Uhr