Animal Care Point in Berlin-Tegel - "Tiere sind oft der letzte Halt für die ukrainischen Geflüchteten"
Das geliebte Haustier zurücklassen – unvorstellbar für viele Menschen, die aus der Ukraine nach Berlin fliehen. Doch wie geht es weiter, wenn sie es bis hierher geschafft haben? Zu den ersten Anlaufstellen zählt der Animal Care Point in Tegel. Von Jana Herrmann
Eine offizielle Zahl, wie viele Tiere aus der Ukraine bisher in Berlin eingetroffen sind, gibt es nicht. Allein am Hauptbahnhof waren es gerade zu Beginn des Krieges ungefähr 100 Hunde und Katzen pro Tag – das schätzen die ehrenamtlichen Helfer der Initiative "Irina", die sich dort zunächst um die Tiere kümmern.
"Viele kommen an und haben die Katze einfach auf dem Arm", berichtet auch Annette Rost vom Tierschutzverein für Berlin (TVB). Damit es den Vierbeinern trotzdem an möglichst nichts fehlt, gibt es nun im Ankunftszentrum Tegel den Animal Care Point – ein gemeinsames Projekt der Berliner Landestierschutzbeauftragten Kathrin Herrmann, der Berliner Tiertafel und des TVB.
Wo in dem ehemaligen Flughafengebäude früher die Polizei stationiert war, lagern jetzt Katzenklos, Leinen, Transportboxen, Futternäpfe, Decken und vieles mehr. Es sind vor allem Sachspenden von Privatpersonen, außerdem unterstützt die Welttierschutzgesellschaft den Animal Care Point finanziell. Grundsätzlich sei die Hilfsbereitschaft der tierlieben Berlinerinnen und Berliner riesengroß, viele würden sich auch als Pflegestelle anbieten oder Geflüchtete gemeinsam mit ihren Haustieren aufnehmen, berichtet der TVB.
Der erste Gang zum Tierarzt
Neben der Erstausstattung für die Vierbeiner, bietet der Animal Care Point aber auch medizinische Versorgung an. In einem der Räume ist eine Behelfs-Tierarztpraxis eingerichtet.
Täglich werden dort momentan bis zu 20 Tieren untersucht, beim Veterinäramt registriert, erhalten einen Mikrochip und einen EU-Heimtierausweis – letzterer ist verpflichtend für alle Hunde, Katzen und Frettchen, die innerhalb der Europäischen Union reisen wollen. Seit 2011 brauchen diese Tiere außerdem einen Mikrochip, damit man sie eindeutig identifizieren kann.
Eine zentrale Anmeldestelle für die Haustiere von Geflüchteten gibt es in Berlin nicht. Wenn sie beim Animal Care Point in Tegel landen, erfolgt die notwendige Registrierung über das Bezirksamt Reinickendorf. Dass die Tiere nach ihrer Ankunft ärztlich untersucht werden, sei aber in jedem Fall sehr wichtig, heißt es auch von der Tierschutzbeauftragten Kathrin Herrmann.
Berlin macht sich locker
Denn auch das Thema Impfen spielt eine wichtige Rolle – allerdings geht es hier ausnahmsweise nicht um Corona, sondern um die Tollwut. Eine Viruserkrankung, die für Menschen und Tiere fast immer tödlich verläuft. Weil die Ukraine offiziell ein nicht gelistetes Drittland in der Tollwutbekämpfung ist, gelten eigentlich strenge Regeln für die Einfuhr von Haustieren in die EU.
"Normalerweise müssten die Tiere nach ihrer Ankunft für eine dreiwöchige Quarantäne ins Tierheim – aber dann wären wir hier sehr schnell handlungsunfähig gewesen", berichtet Annette Rost. Stattdessen wurden die Regeln für Berlin gelockert: Aktuell reichen 21 Tage Beobachtung im häuslichen Umfeld aus. Viele weitere Bundesländer haben ähnlich reagiert.
Von einer wirklichen Gefahr durch die Tollwut geht man aber vorerst nicht aus. "Schließlich sind es Haustiere, keine Streuner", betont Annette Rost. Die Hunde und Katzen aus der Ukraine hätten zwar häufig einen weniger guten Impfstatus, wären aber überwiegend sehr gepflegt, häufig handele es sich sogar um Rassetiere. Was auffällt: Es sind vor allem kleine Hunde, oft nicht größer als ein Chihuahua, die hier mit ihren Besitzern eintreffen.
Geflüchtete berichten, dass sie größere Hunde nicht mit in den Zug nehmen durften, weil schlichtweg der Platz fehlte. An den Bahnhöfen in der Ukraine sollen sich deswegen nun viele Tiere sammeln - dort versuchen Hilfsorganisationen, sich um die zurückgelassenen Vierbeiner zu kümmern.
Ein wichtiger Appell
Eine Sache liegt Anette Rost vom TVB besonders am Herzen: "Die Geflüchteten dürfen hier nicht von ihren Tieren getrennt werden. Sie kommen hier an, sind stark traumatisiert – und dann sollen sie ihr Tier abgeben. Das ist an Unmenschlichkeit nicht zu überbieten. Sie müssen die Chance bekommen, gemeinsam untergebracht zu werden. Denn oft sind die Tiere ihr letzter Halt – und das dürfen wir den Menschen nicht antun, ihnen diesen auch noch zu nehmen."
Auch Kathrin Herrmann sieht das ähnlich: "Wir haben uns dahingehend entwickelt, dass Haustiere, insbesondere Hunde und Katzen, nun als Teil der Gesellschaft zu sehen sind. Sie sind durch diesen Krieg genauso Flüchtlinge geworden wie die Menschen."
Diese Auffassung würden zum Glück auch viele Betreiber von Flüchtlingsunterkünften teilen. Und dort, wo das Verständnis für eine enge Mensch-Tier-Bindung noch nicht vorhanden sei, müsse der Staat informieren und zum Umdenken bewegen.
Gleichzeitig wünscht sich die Tierschutzbeauftragte mehr finanzielle Unterstützung vom Staat, denn das Impfen gegen Tollwut stelle nur den ersten Schritt dar, um die seuchenrechtlichen Vorgaben zu erfüllen. Die Tiere bräuchten aber auch weitere Impfungen und Behandlungen gegen Infektionskrankheiten.
Und diese Kosten könnten nicht allein von den Tierschutzorganisationen und durch private Spenden gedeckt werden. "Hier muss ein neues Selbstverständnis her, dass Tiere ebenso wie Menschen in Katastrophensituationen versorgt werden müssen", sagt Kathrin Herrmann.
Friedliches Miteinander
In Berlin funktioniert das in den meisten Fällen sehr gut. Anders sieht es teilweise in Brandenburg aus. Traurige Szenen haben sich beispielsweise schon im Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt abgespielt, weil eine gemeinsame Unterbringung nicht möglich war.
Im Ankunftszentrum Tegel - und auch in vielen anderen Unterkünften in der Hauptstadt - funktioniert das hingegen problemlos. "Menschen und Tiere leben dort friedlich zusammen, uns ist bisher kein einziger negativer Zwischenfall bekannt", bestätigt Annette Rost. "Momentan sieht es so aus, als ob die meisten Unterkünfte die Tierhaltung erlauben."
Es sind übrigens nicht nur Hunde und Katzen, die ihre Menschen auf der Flucht begleiten, sondern auch Meerschweinchen, Kaninchen oder Frettchen. Im Tierheim Berlin ist eine Rattenfamilie untergekommen, eine andere ukrainische Familie hat sich dort eine Voliere für ihren Papagei abgeholt. Auch von einem Hamster und einer Katze, die sich in Tegel ganz entspannt ein Zimmer teilten, kann Annette Rost berichten.
Happy End für Sami
Ein kleiner Lichtblick in schweren Zeiten ist auch die Geschichte von Sami. Die fünfjährige Katze war mit ihrer Besitzerin im Ankunftszentrum Tegel untergebracht, konnte dort aber entwischen – und blieb auch verschwunden, als die geflüchtete Ukrainerin in ein anderes Bundesland gebracht wurde. Die ehrenamtlichen Helfer vom Animal Care Point hielten weiterhin die Augen offen, fanden auch immer wieder Spuren von Katzenurin – Sami musste also noch irgendwo im Flughafengebäude sein.
Auf eigene Faust kam die Besitzerin dann noch einmal nach Tegel zurück, um nach der Katze zu suchen. Und siehe da: Gemeinsam mit einer Ehrenamtlichen, die passenderweise auch Katzenpsychologin ist, konnte sie Sami aufspüren und wieder einfangen. Ein bisschen erschöpft war die Katze, aber fit. Nun sind die beiden gemeinsam auf dem Weg in ihr neues Zuhause.