Drohung des Kreml - Wenn Putin den Gashahn zudreht

Sa 26.03.22 | 07:58 Uhr | Von Sebastian Schöbel und Juan F. Álvarez Moreno
Hochfackel bei einer Anlage. (Quelle: dpa/Christoph Hardt)
Audio: Antenne Brandenburg | 25.03.2022 | Uwe Feiler | Bild: dpa-Symbolbild/Christoph Hardt

Russisches Gas soll ab kommender Woche nur noch in Rubel bezahlt werden können. Ein Vertragsbruch, der Deutschland vor besondere Herausforderungen stellt. Notfallpläne liegen zwar bereit, doch es wird teuer. Von S. Schöbel und J. Álvarez Moreno

Die Ankündigung der russischen Regierung, Gaslieferungen künftig nur noch gegen die Zahlung von Rubel leisten zu wollen, hat die Bundesregierung in Zugzwang gebracht. Die russischen Gasimporte machten zuletzt etwas mehr als 50 Prozent des deutschen Gasverbrauchs aus.

Diese Menge kurzfristig zu ersetzen, sei kaum möglich, sagt Anke Tuschek, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Zwar könne kurzfristig die verbliebene Gas-Menge neu verteilt werden, auch mit Hilfe des europäischen Netzes, so Tuschek im Interview mit rbb|24. "Es wäre aber auch jetzt schon eine ziemliche Herausforderung, weil 40 Prozent des Gases, das wir in Deutschland verbrauchen, für Gewerbe und Industrie genutzt wird, völlig unabhängig von einer Heizperiode."

Gasverbrauch hoch, auch wenn Heizung kalt bleibt

Unter anderem werde Erdgas in der Düngemittel-Produktion und auch zur Stromerzeugung benötigt. Maßnahmen, um schnell Gas einzusparen, etwa durch den Wechsel auf andere Energieträger seien laut einer aktuellen BDEW-Analyse nur begrenzt wirksam. "Kurzfristig könnte man bis ungefähr 20 Prozent des Gasbedarfs einschränken, aber alles andere wird zumindest kurzfristig mit merkbaren Einschränkungen begleitet sein."

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte bereits nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Schritte eingeleitet, um Deutschlands Abhängigkeit von russischen Energie-Importen zu verringern. "Bis Mitte 2024" wolle man "weitgehend unabhängig" sein von russischem Gas, etwa durch den beschleunigten Ausbau von Kapazitäten für Flüssig-Erdgas. Allerdings dauert das deutlich länger als etwa bei der Reduzierung von Öl- oder Steinkohle-Importen aus Russland: Hier wolle man noch in diesem Jahr so gut wie unabhängig werden, kündigte Habeck an.

Haushalte gelten als "geschützte Kunden"

Russisches Gas werde aktuell über die Leitungen Nordstream 1, Jamal und Transgas nach Europa transportiert, so Tuschek. In den Leitungen der Netzbetreiber vermischt es sich mit Gas aus anderen Pipelines - speziell "russisches Gas" gebe es damit für Endkunden nicht, so Tuschek. Die Versorger würden vielmehr aus der Gesamtmenge ihren Anteil abnehmen, den sie zuvor von Händlern oder an der Energiebörse gekauft haben.

Es gebe langfristige und kurzfristige Verträge, erklärt Tuschek. Eines aber hätten sie alle gemeinsam: Bezahlt wird in Euro oder Dollar. "Dass direkt Rubel vereinbart sind, ist uns nicht bekannt." Was der Kreml nun angedroht hat, sei damit eine einseitige Vertragsänderung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bereits angekündigt, das nicht zu akzeptieren.

Sollte die russische Seite ernst machen und die Lieferungen einstellen, tritt ein mehrstufiger Notfallplan in Kraft. "Im Falle einer überregionalen Mangel-Lage an Erdgas würde die Bundesnetzagentur zum Bundeslastverteiler ernannt", teilte das Brandenburger Wirtschaftsministerium auf Nachfrage von rbb|24 mit. "Die Bundesnetzagentur sorgt dann dafür, dass zusammen mit den Netzbetreibern das Gas an den wichtigen Stellen ankommt", sagt Energieexpertin Tuschek vom BDEW. Europaweit gebe es dafür den Begriff der "geschützten Kunden", so Tuschek. "In der Heizperiode sind das Heizungskunden, soziale Dienste, Krankenhäuser und so weiter."

Massive Auswirkung auf Industrie

Die Industrie allerdings müsse dann zurückstehen – was zu massiven Einschränkungen führen könne, warnt Tuschek. So teilte etwa der BASF-Konzern auf rbb-Nachfrage mit, dass die Energiekosten bereits merklich gestiegen seien: Für die europäischen BASF-Standorte beliefen sich die Mehrkosten durch höhere Erdgas-Preise im Jahr 2021 auf rund 1,5 Milliarden Euro. Davon entfielen 0,8 Milliarden Euro allein auf das vierte Quartal. Eine Verknappung der Liefermenge insgesamt könne weitreichende Folgen auch für den Standort Schwarzheide in Brandenburg haben."Es würde auf Allokations-Szenarien hinauslaufen, auf die wir uns durch Zurückfahren des Gesamt-Verbrauchs, also durch Kürzung der Produktion einstellen müssten."

CDU sieht Brandenburg unvorbereitet, Linke fordern Besonnenheit

Der Brandenburger Bundestagsabgeordnete Uwe Feiler (CDU) sieht Brandenburg nicht vorbereitet auf den Fall, dass Russland kein Gas mehr nach Europa exportiert. Die Ankündigung Putins bewertete er als einen "Gegenangriff", wie Feiler dem rbb sagte. Ein Energie-Embargo würde den Raum Berlin-Brandenburg voraussichtlich "stark treffen".

Die Ausrufung des Gas-Notfalls sieht Simona Koß, sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete aus Märkisch-Oderland, aktuell aber noch nicht als notwendig. "Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet", so Koß. Trotzdem bemühe sich der Bundestag darum, dass Menschen in Deutschland wegen der steigenden Energiepreise entlastet werden können.

Der linke Bundestagsabgeordnete Christian Görke aus Cottbus warnte im Gespräch mit dem rbb vor den Konsequenzen einer Eskalation. "Ich hoffe, dass Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck besonnen reagieren. Putins Provokation darf nicht zu einem Gas-Embargo führen. Wenn der Gashahn zugedreht wird, droht uns hier eine fette Wirtschaftskrise mit Firmenpleiten, Massenarbeitslosigkeit und Preisschüben", sagte Görke.

So seien Brandenburger und Lausitzer Betriebe stärker betroffen als der Bundesdurchschnitt. Acht von zehn Unternehmen spüren direkte oder indirekte Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland, wie Görke sagte.

Ampel-Koalition reagiert mit Energiepaket

Dass die Gaspreise durch den Konflikt mit Russland weiter steigen, erwartet auch Michael Kellner, Brandenburger Grünen-Politiker im Bundestag. "Ich befürchte, dass wir mit höheren Gaspreisen in den nächsten Monaten werden leben müssen", so Kellner auf rbb-Nachfrage. Die Ampelkoalition habe deswegen am Mittwoch ihr Entlastungspaket beschlossen, um diese Härten abzumildern.

Kellner, der auch Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium ist, wies zudem darauf hin, dass die Gasspeicher in Deutschland vor dem nächsten Winter gefüllt werden müssen [tagesschau.de]. Das sei bisher nicht der Fall gewesen. So sei etwa der größte Gasspeicher Deutschlands im niedersächsischen Rehden vor dem vergangenen Winter noch leer gewesen. Nun sollen die Speicher gefüllt werden - auch durch den Ankauf von Flüssiggas aus den USA oder Katar.

Trend geht zum LNG

In Deutschland allerdings gebe es bislang für Flüssiggas noch nicht die geeigneten Terminals und Speicher, so BDEW-Vorstand Tuschek. Zwar sollen die nun gebaut werden, doch das werde mindestens zwei Jahre dauern. Europaweit seien die LNG-Terminals allerdings zahlreich vorhanden. "Und da steht dann zum Beispiel eine Leitung über die Pyrenäen zwischen Spanien und Frankreich ganz oben auf der Prioritätenliste", sagt Tuschek, "weil viele der LNG-Terminals in Spanien liegen".

Kurzfristig würde ein Gas-Lieferstopp des Kreml also Europas Verbrauchern und Industrien schaden - langfristig aber dürfte Russland der europäische Abschied vom russischen Gas wirtschaftlich härter treffen. Zumal es auch jetzt gar nicht so leicht sei, den Gashahn einfach zuzudrehen, sagt Tuschek. Denn in diesem Fall müssten auch Russlands Ölfelder den Output herunterfahren - was alles andere als trivial sei. "Wenn man so eine Gasblase einmal angestochen hat, kann man diesen Ausfluss zwar reduzieren, aber man kann ihn nicht komplett stoppen. Das könnte zu irreversiblen Schäden führen."

Sendung: Antenne Brandenburg, 25.03.2022, 17:30 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel und Juan F. Álvarez Moreno

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