Berliner Landesverband im Dilemma - Die AfD in der Russland-Falle
Seit dem Angriff Putins auf die Ukraine steckt die AfD im Dilemma. Ihre pro-russische Haltung hat ihr besonders nach der Annexion der Krim Stimmen gebracht, auch in Berlin. Doch ein Freund Putins will die Partei nun nicht mehr sein. Von Agnes Sundermeyer
Der AfD-Abgeordnete Gunnar Lindemann hat sein Mandat wohl auch dem Kreml-Chef zu verdanken. Zweimal hintereinander holte Lindemann in Marzahn ein Direktmandat in Berlin für die AfD, vermutlich auch mit den Stimmen vieler Putin-freundlicher Russlanddeutscher. 30.000 von ihnen leben in Marzahn. Damit ist Lindemann ein Erfolg für die AfD, in manchen AfD-Kreisen auch ein Aushängeschild. Bei einer Parteiaktion vor einem russischen Supermarkt beschwor der 52-Jährige das "freundschaftliche" Verhältnis zum russischen Präsidenten, auch wenn man sich "leider persönlich noch nie getroffen habe".
Putin-Freund als Aushängeschild
Dafür hat sich Lindemann mit Vertretern der pro-russischen "Separatistenregierungen" in den besetzten Gebieten der Ost-Ukraine getroffen. Er reiste auf die Krim und als Wahlbeobachter nach Donezk - und hatte dort nichts zu beanstanden. Die Wahlen in den Separatistengebieten gelten als völkerrechtswidrig, Lindemann unternahm seine Reisen als Berliner Abgeordneter und Vertreter des Parlamentes.
Nur wenige Tage vor der Invasion Russlands verbreitet der Russlandfreund via Youtube russische Propaganda. Dabei erklärte er in einem Video, dass die Kriegstreiber in diesem ganzen Spiel "auf jeden Fall die Nato, die USA und vor allem teilweise auch der ukrainische Staat" seien. In Flyern, die er aktuell in seinem Wahlkreis in Marzahn verteilt, ist nicht von "Krieg" die Rede - sondern lediglich von einem "bewaffnetem Konflikt".
Russland-Frage wirbelt Landesverband durcheinander
Doch Lindemann ist nicht der Einzige in der AfD, der mit einer demonstrativen Nähe zur russischen Führung der AfD Stimmen beschert. Auch bundesweit verzeichnete die AfD nach der Annexion der Krim mit einem prorussischen Kurs ordentliche Stimmzuwächse in den neuen Bundesländern.
Doch nach der russischen Invasion stellt sich die Frage, wie die Partei mit den Putin-Freunden in den eigenen Reihen umgehen soll, ohne Wähler zu vergraulen. Die AfD sitzt in der Russlandfalle. Sie muss befürchten, dass die Stimmung auch unter ihren Parteianhängern kippt. Den Berliner Landesverband hat das Thema durcheinandergewirbelt. Offen spricht Landes- und Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker davon nicht, aber Vertreter des Landesvorstandes erzählen von harten Diskussionen seit der Invasion Putins.
Wie sensibel jede Silbe abgewogen wird, zeigt sich am Tag der Invasion im Abgeordnetenhaus. Brinker spricht in der aktuellen Debatte gleich zu Anfang der Sitzung zum Ukraine-Krieg. Sie verurteilt den Krieg, spricht von ihren Erfahrungen als Mädchen in der DDR und im Kalten Krieg und betont: "Unser gemeinsames Ziel muss ein friedliches Europa sein." Aber: kein Wort zur Invasion Putins, keine Verurteilung des russischen Kriegstreibers. Auch den Putin-Freund Lindemann in den eigenen Fraktionsreihen erwähnt Brinker nicht.
FDP platzt der Kragen
Für Parlamentarier, wie den FDP-Abgeordneten Stefan Förster, ist diese Taktik schwer zu ertragen. "Sie stellen sich so hin, als stehen Sie für Recht und Freiheit und die Bewahrung der Menschenrechte." Förster Stimme überschlägt sich am Rednerpult: "Dabei haben Sie drei Reihen hinter sich den Kollegen Gunar Lindemann sitzen." Brinker wolle den Eindruck erwecken, dass die AfD immer sehr klar in ihrer Abgrenzung gegenüber Putin und totalitären Bestrebungen in Russland gewesen sei, so Förster: "Das ist sie nachweislich nicht."
Brinker: AfD verurteilt Angriff Putins
Eine Woche später, beim Gespräch in ihrem Fraktionsbüro, findet AfD-Chefin Kristin Brinker dann deutlichere Worte: "Wir sind da ganz einhelliger Meinung in der Fraktion, dass wir diesen Angriff Putins absolut verurteilen, das ist ein Verbrechen - auch gegen die Menschlichkeit." Herr Lindemann habe jedoch das Recht, sich zu äußern, wie er wolle. Er tue das schließlich als einzelner Abgeordneter und nicht als Fraktionsmitglied: "Ich habe ihm aber klar meine Meinung gesagt."
Junge Alternative kämpft gegen Imageverlust
Dass die AfD ernsthaft um ihre Wähler bangt, zeigt sich dann vor wenigen Tagen auf einem Parkplatz an der B1. Hier kämpft die "Junge Alternative" (JA), die AfD-Parteijugend, gegen den Imageverlust. Sie hat Spenden für die Ukraine gesammelt, in russischen Supermärkten. Gemeinsam verladen drei JA-Mitglieder Konserven mit Thunfisch und russischen Gerichten in den Container einer ukrainischen Hilfsorganisation.
Vadim Derksen, Sprecher der JA, ist selbst Russlanddeutscher und im Landesvorstand der Berliner AfD. Er hat beste Kontakte in die russlanddeutsche Community in Marzahn, ist dort stellvertretender AfD-Bezirksverbandsvorsitzender - neben Gunnar Lindemann. Die Annexion der Krim hat Derksen nicht verurteilt, denn die "habe man ja noch strategisch nachvollziehen können". Doch mit der Invasion sei die Putin-freundliche Linie seiner Partei "nun vorbei", schwenkt er ein. "Ich sehe, dass einige die sehr pro-Putin eingestellt waren in der Partei, dass da gewisse Umdenkprozesse anfangen und das freut mich."
Ein Umdenkprozess in der AfD? Auch Geflüchtete will die Partei nun aufnehmen, sagt Derksen. Doch auch das sehen in der AfD längst nicht alle so.
Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version des Beitrags hieß es, Gunnar Lindemann habe das einzige Direktmandat in Berlin erhalten. Auch Jeanette Auricht erzielte bei den Abgeordnetenhauswahlen 2016 und 2021 eines. Bei den Wahlen im Jahr 2016 erzielte die AfD insgesamt fünf Direktmandate.
Sendung: Abendschau, 09.03.2022, 19:30 Uhr
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