Rückkehrertage in Brandenburg - Wie Brandenburger Städte die Feiertagsbesucher festhalten wollen
Wenn Brandenburger zu Weihnachten und Silvester in ihre Heimat zurückkehren, dann wollen einige Städte und Gemeinden das ausnutzen. Sie veranstalten Rückkehrertage und bieten Arbeitsplätze und Wohnungen an. Manchmal klappt's. Von Florian Ludwig
Gelassen schiebt Anja Brülke ein Krankenbett durch die Flure des Gubener Naemi-Wilke-Stifts. Im Zimmer angekommen, schließt sie die Patientin an die Überwachungsgeräte an. Sie wechselt Verbände, legt Zugänge und misst den Blutdruck - all das, was zu ihrer Arbeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin gehört.
Anja Brülke ist gebürtige Gubenerin. Ihren jetzigen Ehemann lernt sie bereits in der Schule kennen. Doch als es um das Thema Ausbildung geht, wenden sich beide von der Neißestadt ab. Brülke geht in die Nähe von Mainz, ihr Mann nach Hamburg. Nach einem Zwischenstopp in Berlin zieht Anja Brülke zu ihrem Mann in den Norden. Als schließlich die Kinder geboren werden, wächst das Heimweh. Die Kinder sollen möglichst nah bei den Großeltern aufwachsen. Das Ehepaar zieht es zurück in den Südosten Brandenburgs.
Junge Familien sollen zurückgeholt werden
Seit drei Jahren ist Anja Brülke zurück in Guben. Der Schritt aus der Großstadt zurück sei nicht leicht gewesen, sagt sie. Doch Hamburg sei ihr irgendwann zu viel geworden. "Wir haben gemerkt, wir wollen diesen Rückschritt, ein bisschen mehr Ruhe im Familienleben", sagt die Krankenpflegerin. Nach 15 Jahren in der Ferne kehrte sie schließlich zurück.
Anja Brülke ist quasi der Prototyp dessen, was zahlreiche Städte in Brandenburg mit ihren Rückkehrertagen ansprechen wollen. Die Gemeinden wollen gezielt junge Familien zurück in die Mark holen. Die Rückkehrertage, etwa in Cottbus, Calau, Senftenberg oder eben Guben in dieser Woche sollen ein Austauschforum für diejenigen sein, die wegen der Feiertage ohnehin in der alten Heimat zu Besuch sind. Guben leistet sich sogar eine eigene Willkommensagentur. Neben Zuzüglern soll die auch Rückkehrer gezielt ansprechen. Der Rückkehrertag am Dienstag ist dabei nur ein Teil des Konzepts.
Austauschen und Kontakte knüpfen
Die Wirtschaft setzt auf die Rückkehrer im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Es sei zuweilen "existenzbedrohend", so Stefan Zupp von der Cottbuser Handwerkskammer (HWK). "Arbeit ist sehr viel da, viele Aufträge können nicht fristgerecht erledigt werden", so Zupp. Er schätzt, dass die Rückkehrertage in den letzten Jahren jeweils etwa 50 Menschen zurück nach Südbrandenburg geholt haben. Die Familienmitglieder, die ebenfalls in die Region kommen, sind dabei nicht mitgerechnet.
Saxophon-Musik, Tee und eine eigene Ausstellung zum Thema "Warum in die Ferne schweifen?" sollen mögliche Rückkehrer in Calau (Oberspreewald-Lausitz) wieder von ihrer alten Heimat überzeugen. Hier hat die Wohnungsbaugesellschaft eingeladen. Das Ziel: neue Bekanntschaften in der alten Heimat. "Leute, die hier zu Besuch sind oder die zu uns gekommen sind, haben kaum Kontakte", sagt Geschäftsführerin Marion Goyn. Beim Rückkehrertag sollen die Interessierten beispielsweise auch nach ihren Hobbys gefragt werden - um dann in die entsprechenden Vereine vermittelt zu werden. Die Calauer Rückkehrertage sollen nicht auf die Weihnachtszeit begrenzt bleiben. Zukünftig, so Goyn, sollen sie vier Mal im Jahr stattfinden.
Guben braucht Fachkräfte
In Guben wird der Rückkehrertag gleich etwas größer aufgezogen. Über 20 Firmen präsentieren sich am Dienstag. Sie alle haben Jobs im Angebot und würden diese am liebsten an ehemalige Gubener vergeben. Auch das Wilke-Stift, in dem Anja Brülke gelandet ist, setzt auf die Rückkehrer. "Rückkehrer sind eine besondere Verstärkung, weil sie die Region und die Mentalität kennen", sagt der Leiter des Notfallzentrums, Rutker Stellke. Zudem sei es hilfreich, dass die Rückkehrer in der Regel keine Berufsanfänger seien und zum Teil auch die Strukturen des Hauses bereits kennen würden, so Stellke. Hinzu kommt: "Wer mehrere Eindrücke gesammelt hat, kann aus einem reichhaltigeren Erfahrungsschatz schöpfen", sagt Stellke. Zumindest eine Zeit lang außerhalb der Heimat zu leben habe also Vorteile.
Insbesondere Guben braucht Fachkräfte. Mehrere Großansiedlungen aus der Industrie benötigen Arbeiter. Auch deshalb bemüht sich die Stadt besonders um Rückkehrer. Es gehe dabei nicht nur um die Besucher, die zwischen Weihnachten und Neujahr in der Stadt sind, so Gubens Bürgermeister Fred Mahro (CDU). Es gehe auch um die Einwohner, die täglich zur Arbeit aus Guben herauspendeln - immerhin 2.700 Menschen, so Mahro. Dabei würden auch in Guben selbst zahlreiche Fachkräfte benötigt. "Wir sind erst am Beginn des Strukturwandels in der Lausitz. Umso wichtiger sind solche Tage", so Mahro.
Vor allem in der Industrie würden die Fachkräfte benötigt. Chemiker seien beispielsweise bei der Agentur für Arbeit gar nicht mehr gelistet, so Mahro. Diese seien praktisch nie arbeitslos. Auch die Neuansiedler seien auf Fachkräftesuche. Mahro betonte, das Angebot richte sich an alle: Rückkehrer, Umzugswillige, Zugewanderte, Flüchtlinge.
"Es ist schwierig jemandem zu sagen, 'geh in die Kleinstadt', wenn er dort niemanden kennt"
Familie Brülke ist unterdessen wieder in Guben angekommen. Doch das liegt auch daran, dass der familiäre Anker schon immer in Guben war. Anja Brülke musste nicht erst neue Bekanntschaften schließen. "Wir haben einen stabilen Freundes- und Familienkreis gehabt, uns konnte gar nicht langweilig werden", sagt sie.
Und sie empfiehlt diesen Schritt auch anderen. "Wenn man sagt, man möchte entschleunigen, man möchte dem stressigen Alltag entfliehen, dann ist es wirklich einfacher, das in einer kleineren Stadt zu machen", sagt sie. "Aber es ist auch schwierig, jemandem zu sagen 'Geh in die Kleinstadt', wenn er dort niemanden kennt", so Brülke. Negative Folgen ihres Umzugs sieht sie nicht. In Hamburg sei sie 20 Minuten zum Kino gefahren, in Guben dauere das etwas länger. Und auch in der Großstadt sei es schwierig, beim Arzt unterzukommen. All das wiege das positive Gefühl, das sie in ihrer alten Heimat spürt, nicht auf.
Sendung: Brandenburg Aktuell, 27.12.2022, 19:30 Uhr