Kommentar | Ausstieg aus dem Kohleausstieg - Geopolitik schlägt Klimaschutz

Di 01.03.22 | 18:11 Uhr | Von Andreas Rausch
Wasserdampf steigt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) (Bild: dpa/Patrick Pleul)
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Russland zwingt die Welt in neue Realitäten. Zuerst geht es dem Klimaschutz an den Kragen: Es droht der vorläufige Ausstieg aus dem Kohleausstieg. Das ist eine Klatsche für die Bundespolitik - und kein Segen für das Lausitzer Revier, kommentiert Andreas Rausch.

Eine Zahl war der Paukenschlag, ein kleines Wörtchen davor wurde eher überlesen. Kohleausstieg 2030. Idealerweise. So steht es im rot-grün-gelben Koalitionsvertrag vom vergangenen Herbst, als die Welt noch eine andere war. In den Revieren sorgte das für Schnappatmung.

Nach langwierigen Verhandlungen hatten sich, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik, Lobbyisten und Interessensvertreter der unterschiedlichsten Gruppen in der sogenannten Kohlekommission auf einen Ausstieg 2038 geeinigt - abgesichert mit 40 Milliarden Euro Übergangsgeld, um für die vielen Tausend Industriearbeitsplätze in den Revieren möglichst gleichwertige Alternativen in einer kohlefreien Zeit bieten zu können. Der Schock der Massenabwanderungen zu Beginn der 1990er Jahre soll sich nicht wiederholen.

180-Grad-Wende in der deutschen Politik

Nun bringt Putin die deutsche Politik zur 180-Grad-Wende. Kohleausstieg 2030? Das war "idealerweise" und lässt sich mit den neuen brutalen Realitäten nicht halten. Und selbst das Konsensdatum 2038 scheint angesichts der globalen Neuordnung nicht gesetzt. Warum ist das so?

Dafür lohnt ein kurzer Blick auf den deutschen Strom-Mix: Etwa die Hälfte davon wird über erneuerbare Energien abgedeckt - also Strom aus Wasserkraft, aus Wind, Sonne und Biomasse. Das heißt aber auch, dass die andere Hälfte aus Atomenergie, Kohle, Öl und Gas besteht. Und das ist das Problem. Gas kommt in der deutschen Energiewende eine Schlüsselrolle zu. Der fossile Energieträger, der vergleichsweise wenig CO2 bei der Verbrennung ausstößt, stammt zu großen Teilen aus Putins Russland, unabhängig von "Nord Stream 2".

Gas soll die Lücken füllen, wenn der Wind die Mühlen nicht antreibt oder trüber Himmel die Photovoltaik in die Knie gehen lässt. Das wird umso wichtiger, weil zum einen der Energiehunger in den nächsten Jahre enorm steigen wird. Und weil Deutschland noch in diesem Jahr das letzte Atomkraftwerk abschaltet und eben, bis eben, in Kürze auch der Kohle leise "Servus" sagen wollte. Aus dem Dilemma kommt selbst ein grüner Wirtschaftsminister nicht heraus.

Strukturwandel in der Lausitz hat eingesetzt

Das russische Gas lässt sich nicht einfach anderswo einkaufen, dafür fehlt es an Angebot und Infrastruktur. Deutschland hat sich zu lange auf den Status Quo verlassen. Das fällt uns jetzt auf die Füße. Wenn wir von Putin unabhängig werden wollen und trotzdem nicht in dauernder Gefahr von Blackouts leben wollen, müssen Alternativen her.

An Atom wagt sich (im Moment) noch niemand heran. Der Ausbau der regenerativen Möglichkeiten kommt im föderativen System Deutschland weiter nur schleppend voran, ganz zu schweigen von dem Stromnetzausbau für die schöne neue Energieversorgungswelt. Was seit Jahren systematisch vernachlässigt wurde, kann nicht in kürzester Zeit aufgeholt werden.

Für die Lausitz ist das nur auf den ersten Blick eine Nachricht zum Aufatmen. Längst hat hier der Strukturwandel eingesetzt. Der Kohlekonzern Leag hat seine Revierpläne eingedampft, es wird nur noch das Nötigste investiert, der Ausstieg ist fest eingepreist, das Unternehmen sucht alternative Geschäftsfelder. Längst suchen sich auch Mitarbeiter alternative Arbeitsplätze, die unter anderem im neuen Bahnwerk Cottbus entstehen. Immer noch sind es knapp 16.000 Arbeitsplätze, die an der Lausitzer Kohle hängen.

Bittere Nachricht für den Klimaschutz

Das Datum 2030 löste einen weniger großen Aufschrei aus als gemeinhin befürchtet, allen Beteiligten war neben sicherer Stromversorgung vor allem klar, dass der Strukturwandel im Revier nun einen Booster braucht.

Und ja, im Gegensatz zu vergleichbaren Revieren sah es da für die brandenburgische Lausitz gar nicht schlecht aus. Das Bahnwerk in Cottbus wird früher gebaut als ursprünglich geplant, 1.200 Arbeitsplätze stehen in Aussicht. Die Uni-Medizin hat es de facto in den Koalitionsvertrag geschafft, auch ohne ein "idealerweise". Auch hier winken viele Jobs, parallel ist eine vielversprechende Forschungslandschaft im Umfeld der Brandenburgisch-Technischen Universität im Aufbau.

Hinzu kommen Ansiedlungen wie die Kathodenfertigung bei BASF Schwarzheide oder der Lithiumhydroxid-Konverter in Guben.

Alle Beteiligten wissen, dass für Zaudern und Rechnen wenig Zeit ist. Und nun also die Rolle rückwärts? Die Motivation dafür ist angesichts der fragilen Weltordnung dieser Tage verständlich - und die Zahl der Möglichkeiten für die Akteure begrenzt. Für den Klimaschutz ist der verschobene Kohleausstieg zweifellos eine bittere Nachricht.

Aber für die Lausitz auch. Denn es ist zu befürchten, dass auch die Prioritäten beim herausfordernden Umbau der Region vom Kohlerevier zu alternativen Industrien verschoben werden und auch das Tempo gedrosselt wird, weil es mit dem Blick nach Osten gar nicht anders geht.

Sendung: Antenne Brandenburg, 01.03.2022, 10 Uhr

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Beitrag von Andreas Rausch

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