Berliner Senat weist Vorwürfe zurück - Polizei sieht sich bei Registrierung von ukrainischen Geflüchteten übergangen
Vor dem Start des Aufnahmezentrums in Tegel gibt es Streit um die Rolle der Polizei bei der Registrierung Geflüchteter. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter kritisiert, nicht eingebunden zu werden. Die Politik weist die Vorwürfe zurück. Von Kerstin Breinig und Simon Wenzel
Es ist immer noch einiges los am Ankunftszentrum in Reinickendorf. Der Berliner Senat beschreibt die Situation als "dauerhaft angespannt" in seinem Lagebericht. Ganz so schlimm sieht es von außen aber zumindest nicht aus. Geflüchtete Menschen stehen vor dem Eingang in der Schlange, warten auf ihre Registrierung. Inzwischen ist etwas Ordnung ins Chaos gekommen, denn die, die hier sind, haben einen Termin. Diese müssen seit dieser Woche online gebucht werden.
800 bis 900 Geflüchtete aus der Ukraine wurden nach Angaben der Leiterin des Ankunftszentrums, Nadine Pevana, auch am Mittwoch wieder registriert. Die, die im Moment mit einem Termin kommen, seien oft gut vorbereitet, mit Reisepässen oder anderen Dokumenten – so könne es schnell gehen. Richtig schnell, denn die Anträge von ukrainischen Kriegsflüchtlingen werden derzeit im Ankunftszentrum mit einem beschleunigten Verfahren bearbeitet, wie Pevana sagt.
Polizei und BMI kritisieren Wegfallen der vertieften Sicherheitsüberprüfung
Normalerweise werden bei Geflüchteten, die im Ankunftszentrum registriert werden, die Personalien aufgenommen, sie werden gefragt, ob sie Familienangehörige in Berlin haben, um zu wissen, ob und auf welche Unterkunft sie verteilt werden können. Anschließend macht die Polizei eine sogenannte "Fast-ID"-Überprüfung. Dabei wird mit elektronischen Fingerabdruck-Scannern gearbeitet, in wenigen Minuten läuft eine computergesteuerte Sicherheitsüberprüfung ab, ein Abgleich mit den im System befindlichen Abdrücken. So können Straftäter erkannt werden, die der deutschen Polizei bereits bekannt sind. Die Fingerabdrücke werden außerdem gespeichert – eigentlich Standard. Ebenfalls eigentlich Standard: eine vertiefte Überprüfung.
Dieser Schritt soll im beschleunigten Verfahren für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aber wegfallen - und tut es nach rbb-Informationen auch jetzt schon vermehrt. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) äußerte deshalb am Mittwoch Bedenken, dass die aktuelle Situation mit den beschleunigten Registrierungsverfahren ausgenutzt werden könnte. Deutschland müsse sicher gehen, dass keine Personen "mit möglicherweise bösen Absichten die Situation ausnutzen und vielleicht sogar von staatlichen Akteuren anderer Staaten geschickt werden", sagte der BDK-Pressesprecher für Berlin, Carsten Milius, dem rbb.
Was jetzt schon für ukrainische Staatsbürger komplett wegfällt, ist die Registrierung von Fingerabdrücken und Foto durch das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) - und damit die anschließende Meldung an das Ausländerzentralregister. Das bestätigte die Leiterin des Ankunftszentrums Reinickendorf, Nadine Pevana, dem rbb.
Im Bundesinnenministerium dürfte man das nicht gern registriert haben. In einem Schreiben an den Verteiler für die "Bund-Länder-Tagung Asyl und Rückkehr" vom 14. März, das dem rbb vorliegt, schreibt das BMI, auf eine Registrierung dürfe insbesondere aus Sicherheitsgründen und zur Vermeidung von Mehrfachregistrierungen nicht verzichtet werden. Das BMI schlägt darin zur Beschleunigung statt eines kompletten Verzichts auf die Fingerabdrücke vor, das Verfahren mit der Abnahme von nur vier Fingerabdrücken pro Person zu beschleunigen.
"Das LAF plant dort derzeit ohne die Polizei Berlin"
Rund 10.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine kommen nach Angaben des Senats täglich in Berlin an. Nicht alle bleiben, einige reisen auch direkt weiter in andere Städte. Weit mehr als 1.000 wurden jedoch in den letzten Tagen jeweils in Berlin aufgenommen. Der Senat wünscht sich eine geordnete bundesweite Verteilung mit verbindlichen Aufnahmeschlüsseln für alle Länder und setzt große Hoffnungen in das Aufnahmezentrum in Tegel, das zur nächsten Woche mit voller Kapazität seinen Betrieb aufnehmen soll. Dann könnten 15.000 Geflüchtete hier täglich versorgt werden. An 100 Schaltern im 24-Stunden-Schichtbetrieb soll im ersten Schritt die Verteilung auf die Länder stattfinden.
Personal wird dringend gebraucht, bis zu 420 Menschen rechnet die Sozialsenatorin Katja Kipping vor, seien nötig für den Betrieb in Tegel. Die Berliner Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte in ihrer Pressekonferenz am Dienstag noch ganz selbstverständlich die Polizei als eine der Quellen aufgezählt, die für das Zentrum in Tegel Personal bereitstellen könnten. Jetzt klingt es aber so, als sei mit der Polizei bisher nicht konkret darüber gesprochen worden.
Auf Anfrage teilt eine Pressesprecherin der Berliner Polizei dem rbb mit: "Inwieweit die Polizei Berlin auch am im Aufbau befindlichen Standort des ehemaligen Flughafen Tegel Sicherheitsüberprüfungen im Rahmen der Registrierung durch das LAF durchführen können wird, ist derzeit noch nicht bekannt. Das LAF plant dort derzeit ohne die Polizei Berlin."
Die Gewerkschaft der Polizei erklärte deshalb, es sei unverständlich, wieso die Berliner Politik lautstark nach Hilfe "schreie", aber auf die Unterstützung der Polizei verzichte. Der Berliner Landeschef Norbert Cioma warf dem Berliner Senat und dem LAF in seinem Statement sogar vor, die Expertise der Polizei und des BMI "ganz gezielt" abzulehnen.
Kipping reagiert genervt auf "Fake News"
Als die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) bei einem Pressetermin am Mittwoch auf die Polizei angesprochen wird, reagiert sie sichtlich gereizt: "Ich sage jetzt mal was zum Thema Polizei, weil mich das enorm ärgert", so Kipping. "Von Anfang an" arbeite man "sehr, sehr eng mit der Polizei zusammen". Am Hauptbahnhof und Zentralen Omnibus-Bahnhof sei die Polizeipräsenz verstärkt worden und im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten habe man einen ehemaligen Polizisten als Berater hinzugezogen (den ehemaligen Berliner Polizeipräsidenten Klaus Kandt, Anm.d.Red) erklärte Kipping.
Einen Artikel der "Welt" vom Mittwochmorgen, der unter anderem die Kritik der Polizei am beschleunigten Aufnahmeverfahren wiedergab, bezeichnet Kipping als "Fake News". Sie erklärt weiter, was ihrer Meinung nach schief gelaufen sei in der Kommunikation. Ein bis zwei Tage dauere normalerweise die Registrierung mit medizinischen und sicherheitsdienstlichen Maßnahmen, das sei bei 10.000 Menschen am Tag ein Kapazitätsproblem. Deswegen stelle man die bundesweite Verteilung der Registrierung voran. Die Menschen sollen also erst an dem Ort die üblichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen durchlaufen, an dem sie untergebracht und registriert werden. Laut Kipping sei das "aber keine Absage an die Arbeit mit der Polizei", es gehe ihr um eine effiziente Organisation.
LAF: Polizei wird in Tegel "vor Ort" sein – nur wo ist die Frage
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) sieht sich mit dem derzeit praktizierten, beschleunigten Verfahren auf dem richtigen Weg. Pressesprecher Sascha Langenbach erklärte gegenüber dem rbb, die Zeit für die Sicherheitsüberprüfung würde zu lange dauern, deshalb werbe er um Verständnis für die Beschleunigung des Verfahrens bei den Menschen aus der Ukraine. Man müsse "vielleicht nicht bei jedem einzeln nachgucken, ob er mit drei, fünf oder sieben Jahren schon kriminell auffällig geworden ist hier", das sei "mit Kanonen auf Spatzen geschossen" und "im Moment überhaupt nicht vorgesehen", sagt Langenbach.
Die Leute würden aber sehr wohl erfasst, wie es sich gehöre. Man wisse anschließend, wie sie hießen, wo sie her kämen und wann sie geboren seien. Überwiegend seien die Geflüchteten, die im Moment in Berlin registriert werden, alleinreisende Frauen und Kinder. Bei denen halte er die beschleunigte Registrierung für ausreichend.
Mit Blick auf die Polizei und ihre Rolle im künftigen großen Ankunftszentrum in Tegel sagt Langenbach: "In Tegel ist die Polizei sicher auch vor Ort, ich kann ihnen nur noch nicht sagen, wo die dort arbeiten wird." Sie sei aber auch jetzt schon in ganz vielen Bereichen des Flüchtlingsmanagements beteiligt.
Sendung: Abendschau, 16.03.2022, 19.50 Uhr