3.000 Ankommende pro Tag - Berliner Senat schätzt Zuzug aus der Ukraine auf 100.000 Menschen
Nach der Ankunft von mehr als 234.000 Ukraine-Flüchtlingen in Berlin wird die Lage für die Behörden zunehmend unübersichtlich. Viele Ankommende lassen sich vorerst nicht registrieren, das Ankunftszentrum in Tegel ist nur zu einem Viertel belegt.
Berlin ist nach den Worten der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nach wie vor die Haupt-Drehscheibe für ukrainische Kriegsflüchtlinge. Bisher seien seit Beginn des russischen Angriffs Ende Februar mehr als 234.000 Menschen aus der Ukraine in der deutschen Hauptstadt angekommen, sagte Giffey am Dienstag nach der Sitzung des Senats. Die Zahl sei aber nicht gleichzusetzen mit denen, die in Berlin geblieben seien. Der Senat gehe davon aus, dass die ukrainische Community um rund 100.000 Menschen größer geworden sei, sagte Giffey.
Offiziell registriert seien inzwischen gut 54.000 Menschen. Allein im Ankunftszentrum in Tegel habe es mehr als 27.000 Registrierungen gegeben, etwa ein Drittel dieser Personen sei in Berlin geblieben. Die Zahl der Ankommenden sei inzwischen auf einem stabilen Niveau von rund 3.000 Menschen am Tag. Kurz nach Kriegsbeginn kamen Tag für Tag rund 10.000 Flüchtlinge mit Zügen am Berliner Hauptbahnhof an.
Zuwachs an ukrainischen Schülerinnen und Schülern
Eine deutlichen Zuwachs habe es auch bei den ukrainischen Schülerinnen und Schülern gegeben, sagte Giffey. Noch vor einer Woche seien 2.600 ukrainische Kinder und Jugendliche an Berliner Schulen gewesen, am Montag bereits 3.200. Der Senat rechne damit, dass die Zahl weiter steige.
Die Berliner Sozialämter haben Giffey zufolge mehr als 44.000 ukrainische Antragsteller gezählt. Eine Taskforce bereite nun den zum 1. Juni angekündigten Systemwechsel bei der Versorgung der Flüchtlinge vor. Bund und Länder hatten sich Anfang April darauf verständigt, dass die Geflüchteten aus der Ukraine künftig über die Jobcenter Leistungen nach Sozialgesetzbuch beziehen können, also Hartz IV oder Sozialhilfe. Bis dahin müssen die Anträge bei den Sozialämtern gestellt werden. Eine Registrierung sei Voraussetzung, um Leistungen beziehen zu können, sagte Giffey. Das sei notwendig, um Doppelzahlungen und Missbrauch zu verhindern.
"Keine verlässlichen Zahlen zu Ankunft und Verbleib"
Aus dem Lagebericht der Berliner Sozialverwaltung geht hervor, dass den Behörden derzeit ein exakter Überblick über die Zahl der Ankommenden und deren Unterbringung fehlt. "Zu Ankunft und Verbleib von Geflüchteten in Berlin liegen insgesamt keine verlässlichen Zahlen vor", heißt es in dem Papier, das rbbl24 vorliegt.
Zu denen, die mit der Bahn und regulären Reisebussen am Hauptbahnhof und am ZOB in Charlottenburg ankämen, seien auch diejenigen zu rechnen, die die Stadt mit dem eigenen Auto oder privat organisierten Fahrgelegenheiten erreichten. "Die Zahl der Ankommenden dürfte deutlich höher liegen, als die Ankunftszahlen an den Bahnhöfen."
Viele Flüchtlinge, die sich an den Zelten am Hauptbahnhof oder am Südkreuz melden, fahren mit Shuttlebussen zum Ankunftszentrum in Berlin-Tegel, wo es derzeit rund 1.300 Schlafplätze gibt. Nach einer Registrierung vor Ort werden die meisten Menschen hier inzwischen weiterverteilt in andere Bundesländer.
Visa-Freiheit bis Ende August
Weil anfangs sehr viele Geflüchtete in Berlin untergekommen sind, nimmt das Land inzwischen nur noch Menschen auf, wenn sie entweder eine Unterkunft für die nächsten sechs Monate oder die eine Arbeit, eine Ausbildung oder einen Studienplatz nachweisen können. Eine weitere Ausnahme macht die Senatsverwaltung für Soziales bei besonders schutzbedürftigen Menschen, die etwa körperlich beeinträchtigt sind. "Berlin liegt derzeit noch immer 35 Prozent über den Vorgaben des Königsteiner Schlüssels", erklärte Stefan Strauß, Sprecher der Berliner Sozialverwaltung rbbl24.
Unbekannt ist die Zahl der Ukraine-Flüchtlinge, die zwischenzeitlich oder privat in Berlin untergekommen sind - auch, weil die Bundesrepublik den Menschen anders als Asylbewerbern nicht vorschreibt, sich gleich nach der Ankunft bei einer Behörde registrieren zu lassen. Für Menschen aus der Ukraine gilt eine Visa-Freiheit bis Ende August, damit können sich Geflüchtete im gesamten Bundesgebiet frei bewegen.
Senat hält vorerst an Ankunftszentrum fest
"An der Zahl der Tickets, die am Hauptbahnhof an die ankommenden Geflüchteten ausgegeben werden, können wir tatsächlich sehen, dass viele Menschen weiterfahren wollen", sagt Strauß. Die Senatsverwaltung für Soziales gehe aber auch davon aus, dass viele Geflüchtete in Berlin erst einmal privat unterkommen und versuchen, eine Arbeit zu finden, mit der sie in der Stadt bleiben können. "Auch das ist vollkommen legitim", sagt Strauß.
Weil zurzeit viele Geflüchtete das Ankunftszentrum in Tegel nicht aufsuchen würden, sei das Ankunftszentrum in den vergangenen Wochen nur zu einem Viertel belegt gewesen, hieß es. Zuletzt blieben 900 der rund 1.300 Plätze frei. Laut Stefan Strauß will der Senat vorerst aber am Betrieb des deutschlandweit größten Ankunftszentrums festhalten. "Die Situation in Berlin ist vom Verlauf des Krieges in der Ukraine abhängig", sagt Strauß. "Wenn sich die Situation ändern sollte, dann sind wir darauf vorbereitet." In der vergangenen Woche sei eine Gruppe von 300 schwer beeinträchtigter Menschen mit zehn Bussen nach Tegel gekommen, so Strauß weiter. "Die medizinische Versorgung und die bedarfsgerechte Unterbringung wäre woanders nicht möglich gewesen."
Sendung: Inforadio, 10.05.2022, 20:00 Uhr