Russlands Angriff auf die Ukraine - Wie zwei Familien aus Kiew den ersten Kriegstag erlebten
Das russische Militär hat die Ukraine von mehreren Seiten angegriffen - mit Bombardements und Bodentruppen. Zwei Familien aus der Hauptstadt Kiew erzählen rbb|24, wie sie den Donnerstag erlebt haben. Von Oliver Soos
Elmira Alishova und ihr Ehemann Hamid wurden am Donnerstagmorgen gegen fünf Uhr von zwei Explosionen geweckt. "Wir sind schon seit Wochen auf diesen Moment vorbereitet. Wenn es dann plötzlich in der Dunkelheit knallt, dann stehst du auf und funktionierst wie ein Roboter", erzählt Elmira Alishova.
Die 35-jährige Zahnärztin und ihr 43 Jahre alter Mann, ein Ökonom, wohnen in einem Vorort von Kiew. Die Ukrainer mit aserbaidschanischen Wurzeln haben in ihrem Haus ihre Eltern vorübergehend einquartiert. Sie haben sich mit Lebensmitteln, Medikamenten, Gaskartuschen und Kanistern voll Benzin eingedeckt.
Elmira Alishova ist ruhig geblieben, hat sich gewaschen und dann Verwandte und Patienten abtelefoniert. "Wir haben unsere Zahnarztpraxis heute nicht geöffnet und unseren Patienten abgesagt. Sie waren nicht panisch aber doch sehr besorgt", sagt Alishova. Befreundete Psychologen haben ihr erzählt, dass sie am Donnerstag viele Gespräche geführt hätten, um Klienten mit Panikzuständen zu helfen. "Wir haben auch leichte Beruhigungsmittel genommen", sagt Alishova.
"Wir haben Waffen zur Selbstverteidigung"
Die Alishovs wollen Kiew nicht verlassen. Das machten eher Bekannte, die kleine Kinder oder sehr alte Angehörige hätten, erzählt Hamid Alishov. Er hat von Familien gehört, die in die Westukraine fahren oder nach Moldawien. Gerade junge Männer würden bleiben. "Wir wissen zwar nicht, ob wir die Angriffe aufhalten können, aber wir stellen uns entgegen - keine Frage. Wir haben uns auf legalem Weg Waffen besorgt", sagt Alishov.
Er erzählt von seinen russischen und internationalen Geschäftspartnern, die er nun anschreibe, um ihnen seine Sicht auf die Geschehnisse mitzuteilen. Wie viele Ukrainer will er sich mit emotionalen Appellen an die Menschen in anderen Ländern wenden. "Russland hat die Ukraine angegriffen. Das ist der Gipfel der Absurdität. Ich lebe in diesem Land. Hier gibt es weder Nazis noch Angriffe auf Russen. Ich spreche mein ganzes Leben lang russisch in diesem Land, ohne Probleme. Die Begründung Putins für den Angriff ist nichts weiter als eine Lüge. Die EU muss uns helfen. Wenn dieser Irrsinn nicht gestoppt wird, dann sind auch andere europäische Länder in Gefahr", sagt Alishov.
Verstecken im Bunker des Nachbarn
Maria Kalus arbeitet im ARD-Studio Kiew und hat die Stadt am Donnerstag mit ihrem Mann und ihrem dreijährigen Sohn verlassen. Die Familie ist mit dem Auto auf dem Weg in die Westukraine, nach Lwiw.
Maria Kalus schickt eine Sprachnachricht von unterwegs: "Wir fahren, bis es dunkel wird, Richtung Westen. Zurück nach Kiew geht nicht mehr, weil einfache Autos nicht mehr in die Stadt einfahren dürfen. Die Straße Richtung Westen wird zum Glück nicht beschossen, aber wir haben unterwegs ukrainische Soldaten und Militärfahrzeuge gesehen. In Dörfern waren Gruppen von Männern mit Jagdwaffen, auf dem Weg zur territorialen Selbstverteidigung." Sie erzählt am Donnerstagabend, dass sie Lwiw nicht mehr erreicht haben, weil die Fahrt zu lange gedauert hat und dass sie unterwegs eine Unterkunft gesucht haben.
Elmira und Hamid Alishov berichten, dass sie sich am Nachmittag bei ihrem Nachbarn im Bunker verstecken mussten, weil es wieder eine Explosion ganz in der Nähe gegeben habe.
Sendung: rbb Spezial, 24.02.2022, 21 Uhr