Zwischen Kiez und Heimat - Der Krieg verändert auch die russischsprachigen Medien in Berlin

Mo 28.03.22 | 15:30 Uhr | Von Michael G. Meyer
Symbolbild: Blick in ein Studio eines Radiosenders (Quelle: dpa/Uwe Zucchi)
Audio: Inforadio | 27.03.2022 | Medienmagazin, Michael Meyer | Bild: dpa-Symbolbild/Uwe Zucchi

Berlin ist auch die Hauptstadt russischsprachiger Menschen in Deutschland. Bisher lag der Fokus meist auf Unterhaltung und Service - durch den Krieg in der Ukraine hat sich auch hier vieles verändert. Von Michael G. Meyer

Schon vor rund hundert Jahren gab es in Berlin eine Reihe von russischen Magazinen, die sich mit Literatur, Kunst und Politik befassten. Im Jahr 1922 wurden in der Stadt 48 Verlage gezählt, die insgesamt 147 russische Tages- und Wochenzeitungen publizierten. Zeitschriften wie "Rul", "Spolochi" oder "Scharpitza" erreichten viele Tausend Leser und Leserinnen. Allerdings schrumpfte das russischsprachige Publikum immer mehr - und von einst 450.000 im Berlin der 1920er Jahre war in der Nazi-Zeit nur noch ein Zehntel übriggeblieben. Auch die meisten russischen Zeitungen und Magazine verschwanden.

Meist konservativer als deutsche Medien

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Emigrationswelle von russischsprachigen Menschen entstand in den 1990er Jahren in Deutschland und Berlin erneut eine Reihe von Zeitungen und Zeitschriften. Doch auch von diesen sind inzwischen viele wieder verschwunden - gerade kleine, bunte Magazine, die sehr boulevardesk daherkamen, hatten nur eine kurze Lebensdauer.

Auch wenn nicht viele Zeitungen blieben: Berlins russischsprachige Medien sind heute durchaus vielfältig - wenn auch in ihren Wertvorstellungen meist etwas konservativer als deutsche Medien, möglicherweise den gesellschaftlichen Umständen in den Heimatländern geschuldet. Alle stark getroffen hat der Krieg in der Ukraine - wohl mehr noch als deutsche Medienhäuser.

"Redakzija Germanija" sieht sich als Erklärmedium

Die heute wichtigste Zeitung ist "Redakzija Germanija" ("Redaktion Deutschland") [rg-rb.de]. Sie gibt es seit mehr als 25 Jahren, früher hieß die Zeitung "Russisches Deutschland". Doch mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nichts mehr, wie es war.

Jeden Donnerstag bringt das Magazin auf 24 Seiten Artikel zu Themen aus Wirtschaft und Politik, Filme, Sport, Kultur und Wissenschaft, dazu Kleinanzeigen und Fernsehtipps. Doch was bisher auch unterhaltend daherkam, ist nun eher politisch. Die Redaktion positioniert sich gegen den Krieg und sieht sich als Erklärmedium für die russische Community.

Haltung der Redaktion nicht immer unproblematisch

Auch eine umfangreiche Website, auf der viele Artikel gratis angeboten werden, gehört zum Angebot des Verlags. Bisher wurde sie nur einmal die Woche aktualisiert, seit dem Ausbruch des Kriegs passiert das nun mehrmals pro Woche.

Allerdings war die Haltung der Redaktion nicht immer unproblematisch: Während der Flüchtlingskrise 2015/16 beobachte der deutsch-ukrainische Journalist Nikolai Klimeniouk, der in Berlin lebt, durchaus, dass so mancher Artikel bedenkliche Untertöne hatte: "Das war nicht propagandistisch, nicht unbedingt pro-russisch in dem Sinn, aber das hat schon russische Narrative weitgehend aufgegriffen und multipliziert, selbst wenn sie keine Hetze geschrieben haben, da haben sie trotzdem die ganzen Narrative und das Framing aufgegriffen." Etwa jenes, dass Deutschland überlastet sei mit der hohen Zahl an Flüchtlingen.

"Golos Berlina" beschränkt sich nicht nur auf Russland

Aus dem gleichen Medienunternehmen wie die Zeitung stammt der Radiosender "Golos Berlina" ("Stimme Berlins") [radio-rb.de] - im Jahr 2003 gegründet als "Radio Russkij". Auch hier sieht man eine ähnliche Entwicklung wie in der Zeitung: Bislang hat man sich auf eher unterhaltende Elemente beschränkt, wie Comedy, Interviews mit interessanten Gästen, Gewinnspiele und ähnliches. Heute hat man das Programm komplett abgeräumt und widmet sich weitgehend dem Krieg in der Ukraine. "Wir haben zum Beispiel jetzt eine kleine Rubrik mit einer Psychologin im Programm, die unseren Hörern und Hörerinnen Rat gibt", sagt Programmchefin Maria Kritchevski.

Schon vorher habe man sich beim damaligen "Russkij Berlin" nicht auf Russland beschränkt, sondern das Leben in Berlin abgebildet - für ein Publikum mit einer breit gefächerten Herkunft aus Ländern vom Baltikum über die Ukraine bis nach Kasachstan, so Kritchevski. Da komme Einseitigkeit nicht in Frage: "Wir verwenden zum Beispiel in unseren Nachrichten keinerlei russische Quellen, wir bedienen uns der Agentur-Meldungen wie in jedem anderen deutschen Radiosender auch."

"TVOstWest" legt Wert auf Ost-West-Aspekt

Berlin hat sogar auch einen eigenen Fernsehsender für die russischsprachige Community namens "TVOstWest" [ostwest.tv]. Gegründet von einem Berliner Unternehmer ukrainischer Herkunft bietet das Programm eine bunte Mischung: Neben einer täglichen Nachrichtensendung produziert "TVOstWest" auch eine wöchentliche Talkshow, ein Service-Format für russischsprachige Menschen in Deutschland und zeigt viele Dokumentationen, die aber dazugekauft werden. Der Sender finanziert sich aus Abo-Gebühren, entweder einzeln oder als Paket russischsprachiger Sender auf einer Streaming-Plattform, zeigt aber auch Werbung.

Der Sender legt bei seiner Themenauswahl Wert auf den Ost-West-Aspekt, also auf das Verbindende zwischen West- und Osteuropa, aber durchaus auch auf die Unterschiede. Eine ehemalige Chefredakteurin von "TVOstWest" kam vom mittlerweile eingestellten russischen Sender "TVDoschd" in Moskau. Redakteurin Valeria Dobralskaya sagt, dass der Sender sich von jeher an ein Publikum richtete, das sich nicht primär für die Ereignisse in ihren Heimatländern interessiert, sondern für das, was in Berlin und Deutschland passiert. "Mit dem Krieg hat sich alles verändert. Wir wollen auch über den Krieg berichten, denn wir sind hier privilegiert." Mit Blick auf Formulierungen, die in Russland unter Strrafe gestellt worden sind, sagt sie: "Wir können den Krieg auch Krieg nennen." Der Sender habe auch einige ukrainische Kollegen und Kolleginnen, "von daher sind wir auch persönlich nah dran an dem Thema".

Sendung: Inforadio, 27.03.2022, 17:40 Uhr

Beitrag von Michael G. Meyer

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