Ukrainer:innen in Berlin - "Das Schlimmste ist die Hilflosigkeit"

Mo 28.02.22 | 13:19 Uhr
Viktoria (Quelle: rbb/Karo Kraemer)
Video: rbb|24 | 26.02.2022 | Bild: rbb/Karo Kraemer

Täglich gehen in Berlin lebende Ukrainer auf die Straße, um gegen Putins Angriffskrieg zu demonstrieren. Für viele ist es die einzige Möglichkeit, Hunderte Kilometer von Freunden und Familien getrennt ein Signal zu setzen. Protokolle von einem Demo-Tag.

Die Bilder und Nachrichten, die in diesen Tagen aus der Ukraine kommen, sind erschreckend. Zehntausende Ukrainer leben in Berlin; täglich gehen sie auf die Straße, um ein Zeichen zu setzen. Am Samstag fand eine Zusammenkunft vor dem Bundeskanzleramt statt.

Hier schildern einige von ihnen über ihre Gefühle und ihre Familie und Freunde im Kriegsgebiet gesprochen:

Viktoria (31) wohnt seit 10 Jahren in Deutschland und stammt aus Kiew. Ein Teil ihrer Familie ist seit einer Woche zu Besuch in Berlin. Eigentlich sollten sie an diesem Sonntag zurück in die Ukraine fahren:

"Meine Tante lebt nicht weit weg von einer militärischen Basis. Sie hat Raketen und Flugzeuge gehört. Meine Cousine hat Sirenen gehört. Ich möchte, dass sie die Ukraine verlassen, aber sie haben Angst, ihre Wohnungen zu verlassen. Es ist auch wichtig, dass die Menschen in Russland auf die Straße gehen und sagen, dass sie keinen Krieg wollen. Wir können von hier [Anm. d. Red.: Berlin] nicht so viel machen. Das schlimmste ist die Hilflosigkeit. Es ist ganz schwierig, nicht helfen zu können. Du weißt: Dort ist deine ganze Familie und du kannst nicht helfen."

Natalia Karsten (Quelle: rbb/Karo Krämer)
Natalia Karsten | Bild: rbb/Karo Krämer

Natalia Karsten (43) wohnt seit 20 Jahren in Deutschland und kommt gebürtig aus Lwiw. Ihre gesamte Familie lebt in der Ukraine:

"Meiner Familie geht es noch gut. Sie verstecken sich. Sie haben einen Notfallkoffer gepackt, falls sie fliehen müssen. Mir geht es nicht gut. Ich schlafe nicht und schaue nur Nachrichten. Mein Neffe ist bei der Armee, nicht weit von Odessa, in Kropywnyzyki. Dort wurden sie beschossen, bombardiert. Ich konnte ihn seit gestern [Anm. d. Red.: seit Freitag] nicht erreichen. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ich dachte, jetzt leben die nicht mehr. Aber er hat sich heute [Anm. d. Red.: Samstag] gemeldet."

Taras (Quelle: rbb/Karo Krämer)
Taras | Bild: rbb/Karo Kraemer

Taras (31) aus Bila Zerkwa:

"Mein Bruder studiert in Kiew und ist jetzt zu meinen Eltern nach Bila Zerkwa zurückgekehrt. Es ist Krieg und dort ist es sicherer. Sie sind schockiert und hätten mit dieser Eskalation nicht gerechnet. Ich habe meine Familie gerade erst besucht und bin seit 20. Februar wieder zurück. Niemand hätte damit gerechnet, dass vier Tage später der Krieg beginnt. Ich habe Angst um meine Familie. Ich weiß nicht, was diese Nacht passiert ist. Finden sie eine Unterkunft? Haben sie genug Wasser und Vorräte?"

Tetjana Lechkobit (Quelle: rbb/Karo Kraemer)
Tetjana Lechkobit | Bild: rbb/Karo Kraemer

Tetjana Lechkobit (50) aus Riwne lebt seit über 20 Jahren in Deutschland:

"Der Sohn von meiner Freundin ist russischer Offizier. Er kämpft jetzt gegen mein Land. Wir weinen zusammen. Sie weinen auf einer Seite, in Russland, und ich weine hier in Deutschland. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass sich unsere Verwandten gegenüberstehen. Mein Neffe wird dem Sohn meiner Freundin gegenüberstehen. Wer schießt zuerst? Es ist mir unbegreiflich. Wir sind alle nur Menschen. Im März wird meine Mutter 90 Jahre alt und nun erlebt sie wieder einen Krieg. Wir hatten geplant zum geburtstag in die Ukraine zu reisen. Sie hat immer gesagt, es ist egal wie wir leben; Hauptsache es gibt keinen Krieg."

(Quelle: rbb/Karo Kraemer)
Lesja Seifert | Bild: rbb/Karo Kraemer

Lesja Seifert (60) stammt ursprünglich aus Lwiw:

"Meine Verwandten sind zum Teil in umlegende Dörfer geflohen, ein anderer Teil ist in Lwiw geblieben. Meine zehnjährige Nichte hatte Panik als es Luftalarm gab. Ich hoffe, sie kommt jetzt auf dem Land zur Ruhe. Momentan sollen sie im Land bleiben, weil sie mit dem Auto nicht über die polnische Grenze kommen. Für mich ist es schwierig. Das einfachste ist es, zu demonstrieren. Ich hätte mir vor acht Jahren gewünscht, dass die Politik die Ukraine nicht als unbekanntes Land behandelt. Wir haben eine eigene Kultur und Sprache. Ich setze mich hier hin, aber kann mich nicht konzentrieren. Es ist ein Schock."

Sergej (Quelle: rbb/Karo Kraemer)
Sergej | Bild: rbb/Karo Kraemer

Sergej (62) stammt aus Kiew (Kyjiw) und lebt seit 22 Jahren in Berlin:

"Wir sind keine Kriegsnation, wir wollen Frieden. Was Putin und seine Regierung machen, versteht kein Mensch in der Ukraine. Wir stehen hier bis zum Ende. Wir wollen unser Land behalten. Mein Schwager ist mit seiner Familie in ihre Gartenlaube geflohen. Freunde übernachten in Metrostationen. Es ist unglaublich. Meine Familie, meine Frau, meine Töchter haben hier ununterbrochen Tränen in den Augen. Putins Angriff ist nicht auf die Ukraine, sondern auf die demokratische Welt. Wir wollen keinen dritten Weltkrieg. Ich möchte Frieden für meine Familie, Kinder, Freunde - für alle haben."

Inna Gnidash (Quelle: rbb/Karo Kraemer)
Inna Gnidash | Bild: rbb/Karo Kraemer

Inna Gnidash (30) kommt aus Tscherkassy:

"Meine Eltern verstecken sich derzeit im Wald, um sich vor Bombardierungen zu schützen. Sie leben in der Nähe von wichtigen Militäreinheiten. Die Zivilisten versuchen, sich zu schützen. Sie haben keine Waffen. Mein Herz kann das nicht ertragen. Mein Körper war gelähmt von den Informationen, was passiert. Ich habe Hoffnung, dass wir stark sind. Es ist nur schade, dass so viele Unschuldige sterben."

Sendung: Abendschau, 28.02.2022, 19:30 Uhr

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