Streit in Berlin-Mitte - Eigentümer will Haus in der Habersaathstraße für Ukraine-Flüchtlinge räumen
Im Dezember durften 50 Obdachlose in leerstehende Wohnungen in der Berliner Habersaathstraße einziehen. Der Eigentümer will die Wohnungen nun für Ukraine-Flüchtlinge frei machen - der Bezirk versucht, den Rauswurf zu verhindern. Von Roberto Jurkschat
Genau drei Tage bleiben Zeit, dann müssen Valentina Hauser und 50 weitere Bewohner des Wohnblocks in der Habersaathstraße 40-48 ihre Wohnungen verlassen. "Am Montag um 10 Uhr sollen wir der Hausverwaltung die Schlüssel übergeben", sagte Hauser rbbl24, "bis Ende April sollen wir unsere Wohnungen räumen."
Flüchtlingshilfe als Argument für Rauswurf
In dem Schreiben, das rbbl24 vorliegt, nennt die Hausverwaltung auch einen Grund für den plötzlichen Rauswurf: Demnach sollen die Wohnungen für Geflüchtete aus der Ukraine frei werden. "Die geänderten Umstände in Europa und die Flüchtlingslage in Berlin gebieten aus unserer Sicht eine sofortige Hilfe", heißt es. Ab 1. Mai werde man in dem Bau deshalb ein Angebot für Geflüchtete aus der Ukraine schaffen.
Eine Alternative für die jetzigen Hausbewohner, die mietrechtlich nicht vor der kurzfristigen Kündigung geschützt sind, gibt es nicht. Die Hausverwaltung danke den Bewohnern "für Ihren Einsatz bei der Obdachlosen-Winterhilfe und bitten Sie, alle Vorkehrungen für den zeitnahen Auszug zu treffen."
Arcania Estates und Bezirk streiten sich um Neubau
Den jahrelang leerstehenden Wohnkomplex in der Habersaathstraße hatten Aktivisten der Initiative "Leerstand hab-ich-Saath" und rund 50 Obdachlose im vergangenen Winter besetzt. Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) kündigte damals an, dass die Wohnungslosen zumindest vorübergehend in dem Gebäude bleiben dürften. Darüber gebe es eine Vereinbarung mit der Arcadia Estates. Die Eigentümerfirma will den gesamten Block mit rund 100 Wohneinheiten für einen großen Neubau abreißen.
Vor Gericht hatten das Bezirksamt und die Arcania Estates sich lange um die Auflagen für das Bauprojekt gestritten. Der Bezirk knüpft seine Baugenehmigung unter anderem daran, dass 30 Prozent der Wohnungen zu günstigen Mietpreisen angeboten werden.
Mitte April schien es, als könnte es eine Einigung geben. In einem offiziellen Schreiben hatten Bezirksbürgermeister von Dassel und Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) die Bewohner über den Stand der Verhandlungen und über den bevorstehenden Abriss informiert. "Uns ist bewusst, dass die ungewisse Wohn- und Lebenssituation für Sie eine Belastung ist", heißt es in dem Schreiben. "Es freut uns deshalb, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass sich nun ein Kompromiss mit dem Eigentümer abzeichnet."
"Erzwungener Auszug würde Vergleich deutlich erschweren"
Während der Baumaßnahmen sollten die Bewohner die Möglichkeit bekommen, in eine Umsetzungswohnungen zu ziehen, im Anschluss sollten sie entweder die Möglichkeit haben, in eine "neue und gleichartige Wohnung" in der Habersaathstraße zu ziehen - oder eine Abfindung von 1.000 Euro pro Quadratmeter zu erhalten.
Nur zwei Wochen später stehen die Zeichen wieder auf Konfrontation, die Hausbewohner seien über den angekündigten Rauswurf binnen weniger Tage "schockiert", sagt Valentina Hauser. Die Ankündigung, das Haus aus gutem Willen für Geflüchtete frei zu machen, hält sie für vorgeschoben. "Der Eigentümer gibt sich in dem Schreiben als guter Samariter, der großzügig Wohnraum, Mobiliar und Sanitäranlagen für eine Obdachlosen-Winterhilfe bereitgestellt hat", sagt die Bewohnerin. "Aus unserer Sicht ist aber klar, dass die Arcadia Estates einfach mit Geflüchteten mehr Geld verdienen will."
Tatsächlich erstattet der Bezirk Mitte der Arcania Estates derzeit lediglich die Betriebskosten für die Wohnungen, in denen die früheren Obdachlosen leben. "Für die Unterbringung geflüchteter Menschen aus der Ukraine würde Arcania auch eine Miete kriegen", sagt Hauser.
Bezirk: Unterbringung Geflüchteter hier nicht möglich
Der Idee, Kriegsflüchtlinge in der Habersaathstraße unterzubringen, erteilte der Bezirk allerdings eine Absage. "Das Gebäude kann nicht für die Unterbringung von aus der Ukraine geflüchteten Menschen genutzt werden, weil der Berliner Senat inzwischen Festlegungen zur Unterbringung getroffen hat, die das so gut wie sicher ausschließen", erklärte eine Sprecherin rbbl24. Demnach müssen Wohnungseigentümer Geflüchteten eine Perspektive über mindestens sechs Monate bieten.
Um den Dauerstreit um die Habersaathstraße zu beenden, will Bezirksbürgermeister von Dassel sich am Freitag mit Bewohnern und Vertretern der Arcania Estates treffen. "Aus Sicht des Bezirksamtes erscheint ein Auszug aus der Habersaathstraße erst notwendig, sollte das Gebäude wirklich abgerissen werden. Das Bezirksamt wird sich dementsprechend für den Verbleib der dort gerade erst eingezogenen Menschen bis zu diesem Zeitpunkt einsetzen", teilte das Bezirksamt mit.
Bewohner wollen Schlüssel nicht abgegeben
Die Hausverwaltung vertritt in ihrem Brief an die Bewohner allerdings die Ansicht, sich nur an die Abmachung mit dem Bezirksamt zu halten: Die Unterbringung der Wohnungslosen sei nur bis Ende April abgesprochen gewesen. Eine Anfrage des rbb über die Pläne für die Habersaathstraße ließ die Arcadia Estates GmbH am Donnerstag unbeantwortet.
Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnkomplexes erklärten am Donnerstag in einer Mitteilung, für sie komme eine Schlüsselübergabe am kommenden Montag nicht infrage: "Für die Inititative Leerstand Hab ich Saath ist klar, alle Bewohner*innen bleiben in den Häusern in der Habersaathstraße".
Sendung: rbb24 Abendschau, 28.04.2022, 19:30 Uhr