Interview | Krieg in den sozialen Medien - "Da könnten Menschen in eine Falle tappen und ihr Leben riskieren"

Mo 28.03.22 | 16:40 Uhr
Eine Frau zeigt auf ihrem Handy ein Bild der Kriegszerstörung in der Ukraine (Bild: dpa/Leon Klein)
Video: Abenschau | 28.03.2022 | Christian Rubarth | Gespräch mit Daniel Laufer | Bild: dpa/Leon Klein

Der Krieg in der Ukraine wird weltweit in die sozialen Medien gespült. Das Problem: Längst nicht immer können wir einschätzen, was uns der Algorithmus anbietet und was wir weiterverbreiten, warnt die Expertin für Verschwörungstheorien Katharina Nocun.

rbb|24: Besonders auf TikTok landen gerade bei vielen Usern Videos in der Timeline, die den Krieg in der Ukraine beinhalten. Besteht für User in den sozialen Medien die Gefahr, den Überblick zu verlieren?

Natürlich macht es einen Unterschied, wenn mir ab und zu Dinge oder Personen in meinen Feed gespült werden, die ich nicht einschätzen kann. Was Nutzer bei TikTok sehen, ist eine Mischung aus zwei Dingen: Auf der einen Seite sieht man Videos von Leuten, die man tatsächlich abonniert hat, weil man ihre Arbeit toll findet oder da ein seriöses Medium dahinter steht. Auf der anderen Seite sieht man Videos, die von einem Algorithmus ausgewählt wurden, weil viele Leute mit ähnlichen Interessen den Inhalt geklickt haben.

Da besteht natürlich das Risiko, dass man auch Dinge in die Timeline bekommt, die man nicht einschätzen kann, vielleicht von Accounts, die man selber unseriös findet und denen man eigentlich nicht folgen würde.

Zur Person

Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin Katharina Nocun (Bild: Gordon Welters)
Gordon Welters

Katharina Nocun ist Publizistin, Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin. Gemeinsam mit Pia Lamberty hat sie zuletzt das Buch "True Facts. Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft" veröffentlicht.

Wer nutzt auf TikTok im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine die Möglichkeiten des Mediums für Fakes und Propaganda?

Was momentan eine große Rolle spielt, sind Memes und Unterstützungsaktionen. Die gibt es auch von einzelnen russischen Influencern. Wenn man die Texte abgleicht, kann man da häufig eine sehr große Ähnlichkeit sehen. Das heißt, der Verdacht liegt nahe, dass es ein Briefing zumindest von reichweitenstarken Akteuren gibt.

Dazu gehört auch der sogenannter "Z-Dance", bei dem Jugendliche mit den Händen ein "Z" geformt haben zu einer bestimmten Musik und damit ihre Zustimmung für den Krieg - der aber in Russland nicht so genannt werden darf - zum Ausdruck gebracht haben.

Was mir aber vor allem Sorgen macht, ist natürlich russische Propaganda und gezielte Desinformation. Zum Beispiel heißt es da, eine Bombardierung hätte nicht stattgefunden, oder der Krieg würde überhaupt nicht stattfinden. Das ist eine sehr grobe Verfälschung der Tatsachen. Das hat natürlich Folgen, wenn Menschen Videos sehen, in denen so etwas unwidersprochen einfach stehengelassen wird.

Es gab auch noch einen weiteren pro-Putin-TikTok-Trend, bei dem Nutzer Produkte in die Kamera gehalten haben. Eines war aus der Ukraine, eines war aus Russland und dann kam sozusagen das amerikanische Produkt, meistens die Cola. Das wurde verächtlich angeschaut und weggeworfen.

Das sollte zeigen, dass die Ukraine und Russland symbolisch vereint sind. Diese Bilder suggerieren, dass die Entscheidung der Ukrainerinnen und Ukrainer zu einer Hinwendung zu Europa, hin zur Nato, von außen gesteuert wird, vielleicht von Amerika - was ja einfach eine Lüge ist.

Wie kann man in dieser Unübersichtlichkeit erkennen, was echt ist und was gezielte Desinformation?

Was ich immer empfehle zu checken: Wurden diese Bilder im Internet schon mal vorher verwendet? Dafür kann man die Google-Bildersuche nutzen. Das heißt, man lädt ein Bild hoch und dabei wird automatisch überprüft, ob das schon mal irgendwo vorgekommen ist.

Natürlich macht nicht jeder bei allen Bildern und Videos, die er verbreitet, einen Faktencheck. Von daher würde ich gerade in Zeiten des Krieges empfehlen, regelmäßig auf Faktencheck-Webseiten zu schauen, was aktuell verbreitet wird. Dann ist man schon darauf vorbereitet, bevor man es selbst in die Timeline gespült bekommt.

Das heißt, User müssen sich auch immer wieder selbst kontrollieren, also das, was sie in den Sozialen Medien sehen und unter Umständen auch verbreiten?

Man muss sich einfach klarmachen, was für einen großen Schaden Falschmeldungen in Zeiten eines Krieges anrichten können. Angenommen jemand verbreitet: Achtung, folgende Stadt wurde eingekreist - und das stimmt nicht, dann bedeutet das, dass jemand, der das liest und in dieser Stadt lebt, womöglich Todesangst bekommt. Der ruft nachts um drei Uhr seine Mutter an und fängt an, sich von seiner Familie zu verabschieden, weil er glaubt, er müsse sterben, weil die russischen Truppen vor der Haustür stehen.

Oder wenn Falschinformationen verbreitet werden, dass ein Fluchtkorridor von Russland geöffnet worden sei, der angeblich sicher ist, aber gleichzeitig ukrainische Medien berichten, dass dort geschossen wird, dann ist das natürlich ein Problem. Da könnten Menschen in eine Falle tappen und ihr Leben riskieren. Von daher würde ich immer dazu raten: Guckt euch ganz genau an, wem ihr folgt. Guckt euch ganz genau an, wer ein Experte in Sachen Militär und Politik ist - und wer hat sich vor drei Wochen noch hauptsächlich mit Corona und Fußball beschäftigt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Christina Rubarth.

Sendung: Abendschau, 28.03.2022, 19:30 Uhr

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