#Wiegehtesuns? | Männer im Krieg - "Mein Vater könnte jederzeit an die Front geschickt werden"

So 08.05.22 | 08:14 Uhr
Symbolbild: Ein Soldat in der Ukraine befindet sich für zertrümmerten Häusern in der Region Lugansk. (Quelle: dpa/TASS)
Bild: dpa/TASS

Während in Europa dem Tag der Befreiung gedacht wird, herrscht in der Ukraine weiterhin Krieg. Auch der in Deutschland lebende Ukrainer Stepan könnte eingezogen werden, wenn er in seine Heimat zurückkehrt. Ein Gesprächsprotokoll.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, was sie gerade beschäftigt – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Vor fünf Jahren ist Stepan aus der Ukraine für sein Studium nach Deutschland gezogen, seitdem ist er nicht mehr dort gewesen. Wann er seine Familie in der Ukraine wieder besuchen kann, weiß er nicht. Es herrscht Krieg und nach dem Angriff Russlands gilt in der Ukraine eine allgemeine Mobilmachung: Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen. Seinen vollen Namen will er nicht veröffentlicht sehen.

Ich habe weder eine positive noch eine negative Einstellung zu der für Männer geltenden Mobilmachung. Unser Präsident hat den Überblick, wie die Lage in der Ukraine ist. Und er hat das Recht, Entscheidungen zu treffen, die er für das Land für richtig hält. Gleichzeitig finde ich es interessant, wie so ein Gesetz in der EU aussehen könnte. Hier wird viel darüber gesprochen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Mich würde auch interessieren, warum Männer nicht ausreisen dürfen und Frauen schon?

Ich denke, jeder Mensch sollte die Wahl haben, sich zu entscheiden, was er beruflich machen will, wenn gerade keine Kriegszeit ist. Jemanden zum Wehrdienst zu zwingen, finde ich nicht richtig. Die Armee sollte eine Berufsarmee sein mit Menschen, die militärische Arbeit leisten wollen, also Menschen, die dort den Sinn für sich sehen. Wenn Du Deinen Beruf magst, dann wirst du dich dort weiterentwickeln. Menschen einzuberufen, die vielleicht aus bestimmten Gründen nicht dienen wollen, das finde ich einfach nicht effektiv.

Natürlich gibt es manchmal Situationen, in denen es ohne Deine Hilfe nicht zu schaffen ist. Man darf nicht andere Menschen, vielleicht sein ganzes Land, sein Volk im Stich lassen. Mein Vater ist ein echter Patriot. Gleich zu Beginn des Krieges hat er sich bei der Territorialverteidigung gemeldet. Das habe ich von meiner Mutter erfahren. Er könnte theoretisch jederzeit an die Front geschickt werden. Aber solange das nicht passiert, denke ich einfach nicht darüber nach. Doch der Krieg ist auch in der mittleren Ukraine spürbar. Meine Heimatstadt in der Zentralukraine wurde vor ein paar Wochen von der russischen Armee mit Raketen beschossen.

Ob ich in die Ukraine gehen würde, um das Land mit einer Waffe in der Hand zu verteidigen? Theoretisch könnte ich mir das vorstellen, aber in der Praxis eher nicht. Mein Leben ist im Moment hier in Berlin, ich habe Freunde hier. Ich glaube nicht, dass ich dort an der Front besonders nützlich wäre. Zunächst werden vor allem diejenigen an die Front geschickt, die in der Armee ausgebildet wurden. Hier in Berlin kann ich Geld verdienen und die Armee finanziell unterstützen. In den vergangenen Wochen habe ich mich in der Flüchtlingshilfe engagiert: gespendete Kleidung und Lebensmittel sortiert und geflüchtete Ukrainer:innen am Hauptbahnhof empfangen.

Der 8. Mai als Jahrestag der Befreiung und der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands ist für mich ein Gedenktag, an dem man darüber nachdenkt, was damals geschehen ist - und was man tun kann, damit es nicht wieder vorkommt. Ich glaube, einige Länder könnten noch mehr tun, um diesen Krieg, den Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine, so schnell wie möglich zu beenden.

Und ich bin sicher, dass sich einige Menschen aktiver für die Ukraine einsetzen könnten, zum Beispiel indem auf einige kurzfristige wirtschaftliche Vorteile verzichtet wird, damit dieser Krieg nicht zu einem noch größeren Leid für ganz Europa eskaliert. Der Krieg könnte auf die Nachbarländer der Ukraine überspringen, die vielleicht sogar Mitglieder der Europäischen Union sind. Meines Erachtens ist dies also im Interesse alle Länder, so bald wie möglich und so viel wie möglich der Ukraine zu helfen, damit dieser Krieg endet.

Gesprächsprotokoll: rbb|24.

Sendung: Inforadio, 8.Mai 2022, 10:30 Uhr

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