Armutsbeauftragter fordert Steuersenkung - "Die Menschen können Lebensmittel einfach nicht mehr finanzieren"
Neben den Preisen für Benzin und Gas sind infolge des Krieges in der Ukraine in den vergangenen Wochen auch die Lebensmittelpreise in die Höhe geschossen. In Berlin und Brandenburg trifft der Preisanstieg sozial schwache Gruppen besonders hart. Von Roberto Jurkschat
Der Armutsbeauftragte des evangelischen Kirchenkreises in Berlin-Neukölln, Thomas de Vachroi, fordert eine Absenkung der Mehrwertssteuer auf Grundnahrungsmittel. Er begründet dies mit steigenden Preisen für Lebensmittel durch den Krieg in der Ukraine. "Wir erleben die Auswirkungen jetzt ganz extrem bei den Tafeln, bei der Versorgung von Bedürftigen, dass die Menschen wirklich Ängste ausstehen, weil sie die Lebensmittel einfach nicht mehr finanzieren können", sagt de Vachroi rbb|24.
Lebensmittel deutlich teurer als 2021
Es sei dringend nötig, dass die Bundesregierung einschreite, um die Auswirkungen für ärmere Bevölkerungsgruppen abzumildern. "Man muss den Menschen ermöglichen, sich wenigstens mit ordentlichen Lebensmitteln zu versorgen, dafür muss die Steuer auf Lebensmittel runter, so wie es in der Pandemie schon einmal der Fall war. Das wäre zumindest ein erster Schritt." De Vachroi fordert auch eine Absenkung der Steuer auf Energie.
Nach Angaben des Landesamtes für Statistik Berlin-Brandenburg sind die Preise für Lebensmittel in der Region zuletzt stark gestiegen: Im Vergleich zum Vorjahr sind Sonnenblumen- oder Rapsöl in Berlin 48 Prozent teurer, in Brandenburg liegt der Preis 41 Prozent höher. Nudeln, Butter und Mehl sind in beiden Bundesländern heute ein Fünftel teurer als im März 2021. Der Preis für Eier stieg in Berlin um 15 Prozent, in Brandenburg sogar um 25 Prozent.
Die Ukraine und auch Russland sind wichtige Lieferanten von Getreide und vor allem Sonnenblumenöl. Wegen des Kriegs werden neben Preissteigerungen auch Engpässe befürchtet. Viele Einzelhändler rationierten bereits die Abgabe unter anderem von Speiseöl pro Einkauf und Haushalt.
Lebensmittelhändler kündigen neue Preissteigerungen an
Nach Aussage de Vachrois sind Lebensmittelspenden großer Handelsketten wie Lidl, Rewe, Edeka oder Netto an die Berliner Tafeln und Essensausgabestellen in den vergangenen Wochen deutlich zurückgegangen. "Wir sind alle ein bisschen in der Bredouille und können die Versorgung nicht mehr gewährleisten", sagt er.
Schon jetzt ist jedoch absehbar, dass die derzeitige Preisentwicklung bei Nahrungsmitteln nur der Anfang ist. Ein Sprecher von Aldi Nord sagte am Montag, kein Händler könne sich den extremen Preissteigerungen auf Produzenten- und Lieferanten-Ebene entziehen. Das wirke sich auch auf die Verkaufspreise aus. Die Kette Rewe teilte auf Anfrage mit, sie sei aktuell mit einer "Vielzahl von steigenden Kosten bei Rohstoffen, Energie und Logistik sowie Preiserhöhungen der Lebensmittel-Industrie und Lieferanten konfrontiert". Dies führe "zwangsläufig dazu, dass wir bei einzelnen Warengruppen und Artikeln die Verkaufspreise erhöhen müssen." Es sei aber noch keine Aussage möglich, wann und in welcher Höhe eventuelle Preiserhöhungen kämen.
Der Einzelhandelsverbund Edeka erklärte, dass sich "aufgrund der aktuellen Situation auf den Weltmärkten" steigende Verkaufspreise in der gesamten Branche "nicht immer vermeiden" ließen. Gleichwohl werde Edeka "durch konsequente Verhandlungen mit den Herstellern alle vermeidbaren Preiserhöhungen abwenden".
Energiepreise in Berlin und Brandenburg gestiegen
Als Grund für die steigendenden Lebensmittelpreise sehen Wirtschaftsexperten die Kosten für Energie, die aufgrund des Krieges in der Ukraine ebenfalls deutlich gestiegen sind. Gegenüber dem Vorjahresmonat lagen die Preise für Strom, Gas, Benzin und Heizöl in Berlin um 40,7 Prozent und in Brandenburg um 39,8 Prozent höher - auch das geht aus den Daten des Landesamtes für Statistik hervor. Dabei sind es vor allem die Preise für Heizöl, die mit Steigerungen von 128,8 Prozent in Berlin und 151,3 Prozent in Brandenburg nochmals sprunghaft gestiegen sind. Im Vormonat hatte die Teuerung binnen Jahresfrist in Berlin 49,3 Prozent und in Brandenburg 53,2 Prozent betragen.
"Im Bereich Energie erleben wir eine Preisentwicklung, die jenseits von Gut und Böse ist, ich kann mich nicht daran erinnern, dass das jemals schon mal so war", sagt de Vachroi. "Wenn ich mir anschaue, wo wir jetzt schon stehen, dann wird mir mit Blick in die Zukunft himmelangst." Aufgrund deutlich gestiegener Preise für Strom, Heizöl, Gas und Benzin seien nun Menschen von Armut bedroht, die mit ihrem Geld vorher noch über die Runden kamen. "Wenn ich mir die Steuerlast anschaue, auf Strom, Benzin und Gas, dann muss diese Last in der jetzigen Situation einfach deutlich verringert werden, das schaffen die Menschen sonst nicht", sagt der Armutsbeauftragte.
Mehrwertsteuer wurde vor zwei Jahren abgesenkt
Seit 2021 werden fossile Brennstoffe im Rahmen der CO2-Bepreisung derzeit mit einem Preis von 30 Euro pro Tonne CO2 belegt. Hinzu kommt die sogenannte Erdölbevorratungsabgabe. Auf den Netto-Verkaufspreis von Kraftstoffen wie Benzin, Gas, Heizöl oder auch auf Strom fällt zudem die Mehrwertsteuer von 19 Prozent an.
Für Grundnahrungsmittel gilt hingegen ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent, dazu zählen Obst, Gemüse, Milch und Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Eier, Honig sowie Getreideerzeugnisse und Backwaren. Getränke, egal ob alkoholfrei oder nicht, werden mit 19 Prozent Mehrwertsteuer belegt.
Vor zwei Jahren hatte die Bundesregierung schon einmal eine Absenkung der Mehrwertsteuer beschlossen, um die Wirtschaft während der Corona-Pandemie anzukurbeln. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz wurde vorübergehend von sieben auf fünf Prozent, der Regelsatz von 19 auf 16 Prozent gesenkt.
Sendung: Inforadio, 01.04.2022, 18:00 Uhr