Diskussion beim "Antenne Stammtisch" - Was ein Ölembargo für Schwedt und die Uckermark bedeuten könnte

Di 17.05.22 | 07:04 Uhr | Von Martin Krauß
Die Vertreter aus Politik und Wirtschaft hören gespannt den Fragen des Publikums zu: Heike Kerinnes (Studioleiterin Frankfurt (Oder)), Ralf Schairer (Geschäftsführer PCK), Thomas Scholz (Unternehmensvereinigung Uckermark), Anett Hope (Investor Center Uckermark), Andreas Oppermann (Redaktionsleiter Studio Frankfurt (Oder)), Michael Kellner (Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium) und Jörg Steinbach (Brandenburger Wirtschaftsminister) (v. l. n. r.)
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Video: Antenne Brandenburg | 16.05.2022 | | Bild: rbb/Martin Krauß

Ein mögliches Embargo auf russisches Öl beschäftigt die Uckermark. Dort ist der prägendste Arbeitgeber auf Russland angewiesen. Das soll sich nach dem Willen der Politik ändern. Doch die Skepsis vor Ort ist groß, wie der Antenne-Stammtisch zeigt. Von Martin Krauß

Es geht um nicht weniger als die Zukunft einer ganzen Region: In der Stadt und darüber hinaus ist die Sorge groß, dass mit einem möglichen EU-weiten Öl-Embargo gegen Russland in der PCK-Raffinerie Schwedt (Uckermark) bald die Lichter ausgehen. Denn die Raffinerie verarbeitet bisher ausschließlich russisches Öl und ist zudem mehrheitlich im Besitz des russischen Staatskonzerns Rosneft.

Seit Wochen beschäftigt das Thema die Bürger:innen in und um Schwedt. Für Montag hatte Antenne Brandenburg deswegen zum Stammtisch mit prominenten Gästen eingeladen. Und das Interesse daran war groß.

Großes Interesse

Schon früh am Montagabend versammeln sich Interessierte an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt (Ubs). Als sich pünktlich um 18:30 Uhr die Türen öffnen, strömen sie ins Foyer, nehmen auf Stühlen Platz und stellen sich rund um die Stehtische. Schnell ist der Saal gefüllt. Rund 150 Schwedter:innen sind gekommen. Sie fordern Antworten auf die Fragen, wie es mit dem größten Arbeitgeber der Region weitergehen soll, was geschehen wird, sollte das Öl aus Russland tatsächlich nicht mehr fließen, was Land und Bund unternehmen wollen – insbesondere für die Stadt, für die Region.

Mit ihnen kommen Vertreter aus Politik und Wirtschaft ins Gespräch, allen voran Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) und Michael Kellner (Bündnis 90/Die Grünen), der bei der Bundestagswahl über die Landesliste einzog und seitdem als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium arbeitet. Die Erwartungen an beide sind hoch.

Alternativen für das PCK

"Ich verstehe Ihre Sorgen", sagt direkt zu Beginn Michael Kellner. Sein Ministerium und die Bundesregierung arbeiten an Lösungen, wie er betont. Wie zuvor Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) spricht auch Kellner davon, durch alternative Öl-Lieferungen die Kapazität der PCK-Kapazität selbst bei einem möglichen Embargo größtenteils sicherstellen zu können. Hierfür kämen die Ölreserven des Bundes, aber auch Ersatzlieferungen aus Polen in Betracht. Denn: "Wir brauchen Schwedt für die Versorgungssicherheit Ostdeutschlands und für Teile von Polen."

"Wenn Deutschland sich nicht an dem Embargo beteiligt, dann wird auch Schwedt darunter leiden."

Michael Kellner, Staatsekretär Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

Doch gleichzeitig will er den Standort auch zukunftsfähig aufgestellt sehen. "Wir haben in Schwedt gute Arbeitskräfte, viel Platz und grüne Energie", so der Staatssekretär. So sei das Thema grüner Wasserstoff beispielsweise schon länger im Gespräch, wenn es um das PCK geht. Das ziehe mögliche Investoren an. "Wenn Deutschland sich nicht an dem Embargo beteiligt, dann wird auch Schwedt darunter leiden", sagt Kellner. Dann würde niemand mehr in Schwedt investieren.

Steinbach geht nicht von Schließung aus

Auch Steinbach beschreibt eine Vision einer "anderen Art" von Raffinerie. Doch das werde mindestens noch sieben bis acht Jahre dauern. Bis dahin werde weiterhin Erdöl bei PCK verarbeitet: "Ich kenne keinen Politiker, der davon ausgeht, dass wenn das Embargo kommen sollte, die Raffinerie geschlossen wird."

Der Wirtschaftsminister räumt jedoch ein, dass im Falle eines Öl-Embargos die Produktion in der Raffinerie zunächst gedrosselt laufen könnte. "Jede Woche, in der wir das Embargo nicht haben, ist eine gute Woche." Doch gelte es, Lösungen auch für diesen Fall zu erarbeiten. Ziel müsse es sein, wieder auf 100 Prozent Auslastung zu kommen. Die dann erwirtschafteten Gewinne könnten für die Transformation von PCK hinsichtlich beispielsweise einer möglichen Wasserstoff-Herstellung genutzt werden.

Zwei Milliarden Euro für Schwedt und PCK

Dafür brauche es aber die Unterstützung des Bundes, wie Steinbach betont: "Wir als Landesregierung setzen uns dafür ein, dass eine Milliarde Euro für das PCK und eine Milliarde Euro für den Umbau Schwedts investiert werden."

Eine Summe, deren Größenordnung realistisch sei, bestätigte auch PCK-Geschäftsführer Ralf Schairer. Doch dafür sei viel erneuerbarer Strom nötig: "Da müssen wir größer denken und auch globaler denken."

Die Ziele seien ambitioniert, und dafür sei ein Geschäftsmodel nötig, dass realisierbar sei. Aus diesem Grund stehe er mit der Landes- und Bundespolitik im ständigen Kontakt. "Ich werde alles tun, damit ich dieser Raffinerie und diesen Standort eine Zukunft geben kann", sagt er.

"Im Augenblick geht mir das Wort 'Embargo zu leicht über die Lippen."

André Nicke, Intendant der Uckermärkischen Bühnen Schwedt

Den Menschen in Schwedt werde einiges zugemutet, fassen Hausherr und Ubs-Intendant André Nicke die Stimmung in der Stadt zusammen: "Im Augenblick geht mir das Wort 'Embargo' zu leicht über die Lippen." Es müsse eine Lösung für Schwedt geben, fordert er und ernten den Applaus des Publikums. Die Sorge mit einem Öl-Embargo nicht nur Russland, sondern auch das PCK und somit Schwedt zu treffen, scheint weit verbreitet zu sein.

"Die Menschen hier haben das Vertrauen in die große Politik verloren"

"Es ist schon so, dass die Menschen hier das Vertrauen in die große Politik verloren haben", sagt Schwedts Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (SPD). Sie stehe selbstverständlich an der Seite des PCK, an der Seite von Geschäftsführung und Betriebsrat. Die Menschen in Schwedt seien sehr besorgt, aber noch besonnen, betont sie.

Die Sorgen teilen auch die Unternehmen. "Ich habe die Befürchtung, dass die Region ohne das PCK ausblutet. Das betrifft am Ende alle", sagt Thomas Scholz von der Unternehmensvereinigung Uckermark. Daher brauche es konkrete Pläne, wie es auf lange Sicht weitergehen soll. Und dafür wiederum müssen konkrete Ziele definiert werden, wie Uckermark-Landrätin Karina Dörk (CDU) einräumte: "Wir können auf das PCK nicht verzichten."

Skepsis überwiegt

Das sehen auch viele Anwesende im Publikum so. "Ich hätte mir hier eine langfristige Verpflichtung für das PCK gewünscht", sagt Barbara Rückert, die nach eigenen Angaben 20 Jahre in der Entwicklung des PCK gearbeitet hat. "Es geht um eine Region, die in den wirtschaftlichen Suizid getrieben wird", sagt Axel Reineke, der für die Fraktion BVB in der Stadtverordnetenversammlung von Schwedt sitzt. Er bezweifelt, dass die thematisierten Alternativen für das PCK tragfähig sind. "Wenn wir jetzt mit Schiffen Öl für das PCK anliefern lassen, wo bleibt dann der Klimaschutz?", fragt zudem sich Gabriele Manteufel.

Zahlreiche Fragen hat das Publikum beim Antenne-Stammtisch gestellt.

Ähnlich stehen viele Anwesende auch zu einem möglichen Embargo: "Stoppen Sie die selbstzerstörerische Ölembargo-Politik des Herrn Habeck für den Osten. Ölembargo ohne Schwedt", trug Joachim Hanke einen vorgefertigten Appell vor. Zudem sei die Begründung dafür fragwürdig, meint Manfred Poller: "Es hat keinen unmittelbaren Einfluss auf diesen Krieg. Aber wir zerstören dafür das Leben in unser Stadt." Augenärztin Konstanze Fischer wollte zudem wissen: "Warum kann man nicht Schwedt mindestens zeitweise aus dem Embargo rauslassen?" Das sei auch bei anderen Rohstoffen schon der Fall gewesen.

Für viele der Schwedter Bürger:innen scheinen die Argumente von Seiten der Politik fragwürdig. Von Märchen ist teilweise die Rede. Auch Buhrufe kommen immer mal wieder auf. Die Skepsis und vor allem die Angst konnten nach rund eineinhalb Stunden Stammtisch bei vielen nicht ausgeräumt werden. Wie für die Zukunft des PCK scheint es dafür noch weitere Anstrengungen von Seiten der Verantwortlichen zu benötigen.

In einer früherer Version haben wir fälschlicherweise berichtet, dass Michael Kellner über ein Direktmandat in den Bundestag einzog. Wir bitten Sie diesen Fehler zu entschuldigen.

Sendung: Antenne Brandenburg, Antenne Stammtisch, 16.05.2022, 19:00 Uhr

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Beitrag von Martin Krauß

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