#Wiegehtesuns? | Ukrainische Geflüchtete - "Wir sind sehr dankbar, dass es hier solche wundervollen Menschen gibt"

Sa 16.04.22 | 09:17 Uhr
Irina mit ihrer Tochter in Cottbus (Foto: rbb/van Capelle)
Audio: Antenne Brandenburg | 12.04.2022 | Nico van Capelle | Bild: rbb/van Capelle

Seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine sind Millionen Menschen geflüchtet, auch nach Brandenburg. Eine von ihnen ist Irina. Vor einem Monat ist sie in Cottbus angekommen. Gerne würde sie als Lehrerin arbeiten - betet aber auch dafür, wieder zurückzukönnen.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, was sie gerade beschäftigt – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Irina ist nach zweitägiger Flucht vor rund einem Monat in Cottbus angekommen. In der Stadt hat die 37-Jährige mit ihrem 13-jährigen Sohn und ihrer dreijährigen Tochter ein Zuhause auf Zeit gefunden, hier lebt sie mit einer anderen Geflüchteten in einer Wohnung. Ihr Sohn war in der Ukraine begeisterter Fußballer, jetzt kann er an der Sportschule trainieren. Für ihre Tochter sucht sie gerade einen Kita-Platz. Sie selbst hat zwischenzeitlich als Übersetzerin in Cottbus gearbeitet, wie auch früher schon in der Ukraine. Sie spricht gut Deutsch, weil sie die Sprache in der Schule gelernt und sie später an der Universität studiert hat.

Mir geht es gut. Wir haben uns schon ein bisschen eingewöhnt und kommen zurecht. Ich muss mich jeden Tag vorbereiten, denn wir haben tägliche eine Deutschstunde. Und wir machen den Plan für morgen von Tag zu Tag. Am Montag war in Cottbus eine Einschulung für unsere ukrainischen Kinder (eine Art Übergangsunterricht, bis die Kinder in richtige Schulen gehen können, d. Redaktion). Deswegen hat sich bei mir nochmal alles geändert. Ich muss mich da auch anpassen. Deswegen haben wir schon weniger Zeit für andere Sachen - für Haushalt, für die kleinen Kinder.

Jetzt, wo der Sohn in der Schule ist, ist es gut. Es hat aber auch einen Nachteil. Der Sohn hat beim Kochen geholfen und mit meiner kleinen Tochter. Er kann mit ihr gut spielen und spazieren gehen, wenn wir etwas vorbereiten müssen oder einkaufen gehen. Jetzt will er auch ein bisschen sozialisieren und ein bisschen mehr Deutsch lernen.

Ich habe in Cottbus auch schon Freunde gefunden. Es gibt hier sehr viele gute, herzliche Menschen. Sie sind sehr hilfsbereit. Sie helfen uns bei allen Fragen und Problemen, sogar beim Einkauf. Es gibt auch noch Menschen, die dafür Spenden geben. Dafür sind wir sehr, sehr dankbar, dass es hier solche wundervollen Menschen gibt.

Natürlich habe ich Kontakt zu Leuten in der Ukraine. Bevor ich schlafen gehe, prüfe ich alle Nachrichten. Jeden Tag telefoniere ich mit meiner Mutti, mit meinen Nächsten. Ich bleibe im Kontakt mit meinen Freunden, die dort auch mit kleinen Kindern geblieben sind.

Der Krieg vereinigt unsere Menschen. Sie sind jetzt so zielstrebig, so stark. Sie machen unglaubliche Sachen. Wenn man einem Freiwilligen die Informationen gibt, wo ein Flugzeug verkauft wird, dann schaffen sie, das zu kaufen. Unsere Landsleute finden jetzt Metall für Körperpanzer, kaufen das zum Beispiel aus England. Das schweißt man und dann näht man einen bestimmten Anzug. Sie nähen es jetzt selbstständig und in großen Mengen. Ich meine nicht zehn Stück, sie geben zum Beispiel täglich 300 ab. Das motiviert sehr. Und ich will auch meinen Landsleuten helfen und sie nicht im Stich lassen. Wenn ich hier irgendwelches Einkommen bekomme, dann will ich das übersenden.

Ich komme aus Saporischschja. Wir wissen genau, dass die russischen Truppen ganz in der Nähe sind, das heißt 30, 40 Kilometer entfernt. Meine Nächsten hören täglich, wie etwas explodiert - und manchmal sehr laut. Täglich gibt es Sirenen, die auch nicht ruhig spazieren gehen lassen. Man muss vorsichtig zu Hause bleiben, denn am Tag und in der Nacht gibt es Sirenen. Es gibt auch Probleme mit Apotheken, mit Medikamenten. Und nicht immer gibt es Lieferungen in Einkaufshäuser. Es gab manchmal Fälle, da wurde etwas geliefert und Mutti hat gesagt, dass sie etwas zum Essen haben. Aber das ist nicht regelmäßig. Manchmal gibt es leere Regale und manchmal gibt es etwas zu kaufen.

Jetzt im März haben meine beiden Kinder Geburtstag gehabt. Unsere Gastfamilie hat uns geholfen, eine Feier zu organisieren, wir haben selbst gekocht. Wir haben hier einen guten Kreis von Familie. Das war schön, dass wir einfach in der Ruhe und unter friedlichem Himmel feiern konnten. Leider konnten wir das nicht mit unseren Nächsten machen.

Im Moment bin ich beschäftigt. Ich helfe beim Einschulen von unseren Kindern. Das ist schon gut, denn ich denke nicht immer über den Krieg nach. Ich weiß auch, dass Brandenburg nach Schullehrern sucht. Ich würde gerne auch dabei sein und irgendwie aktiv sein. Vielleicht irgendwie Kenntnisse bestätigen und irgendwelche Kurse machen, damit ich auch eine Stelle bekommen könnte.

So bleiben wir momentan hier. Wir haben noch keine Pläne für die Zukunft, denn niemand weiß, wann das zu Ende sein wird. Ich möchte gerne wieder zurück. Ich hoffe auch darauf, bete auch dafür. Hoffentlich wird alles gut sein.

Gesprächsprotokoll: Nico van Capelle

Wie geht es Ihnen? Wie sieht Ihr Alltag gerade aus? Erzählen Sie rbb|24 Ihre Geschichte in Zeiten von Corona! Einfach eine Mail schicken an internet@rbb-online.de. Wir melden uns bei Ihnen.

Sendung: Antenne Brandenburg, 12.04.2022, 15:10 Uhr

Nächster Artikel