Interview | Ukrainische Regisseure auf dem Filmfestival Cottbus - "Das kulturelle Leben in der Ukraine wird weitergehen"
Die Ukrainer Taras Dron und Kornii Hrytsiuk haben ihre Filme im Krieg realisiert. Im Interview erzählen sie, wie es ist, wenn Krieg keine Fiktion, sondern Realität ist - und ob die Gesellschaft sie lieber an der Front als hinter der Kamera sehe.
rbb|24: Kornii Hrytsiuk und Taras Dron, wie schön, dass Sie hier in Cottbus mit uns sprechen! Wie ist es für Sie jetzt hier zu sein und wie war Ihre Anreise?
Kornii Hrytsiuk: Wenn man die Reisesituation mit der vor der Invasion vergleicht, ist der Unterschied schon deutlich. Früher dauerte der Flug von Kiew nach Berlin zwei Stunden. Heute dauert die Anreise 20 Stunden. Erst mit dem Nachtzug von Kiew nach Warschau und dann von Warschau nach Berlin.
Dann ist man hier im fantastischen Deutschland und schaut sich Filme an, trinkt Bier und kann eigentlich nicht verstehen, wo man ist und warum man da ist: Denn ich erhalte weiterhin Benachrichtigungen über Luftangriffssirenen aus Kiew, und meine Freunde haben mir vor ein paar Tagen von neuen Bombenangriffen und Explosionen geschrieben. Sehr surreal. Aber das ukrainische Kulturministerium hat ein spezielles Programm für Künstler, die die ukrainische Kultur präsentieren wollen, und das Kulturministerium möchte, dass ich hier bin und meine Filme präsentiere. Jetzt bin ich hier.
Taras Dron: Ja, es ist schwierig herzukommen. Für jede Ausreise benötige ich eine neue Genehmigung, jeden Monat aufs Neue und die Umstände ändern sich andauernd. Es ist nicht einfach.
rbb|24: Warum ist es gerade jetzt wichtig, Ihre Filme zu sehen und über sie zu sprechen?
Hrytsiuk: Ich denke, Kultur und Filme können vielleicht etwas Unterstützung für die Ukraine schaffen. Es ist wichtig zu zeigen, dass wir weiterhin produzieren. Meine beiden Filme "Train Kyiv-War" und "Eurodonbas" handeln nicht direkt von der aktuellen Situation, sondern allgemein von der Situation im Osten der Ukraine. Es ist wirklich wichtig, dem deutschen Publikum zu erzählen, wie der Krieg begann: Denn er begann nicht im Februar, sondern vor acht Jahren auf der Krim und im Donbass.
Dron: Ich denke, dass die Kommunikation zwischen den Gesellschaften am wichtigsten ist. Wir werden daher eine Podiumsdiskussion über die ukrainische Filmindustrie, über die ukrainische Kinematografie haben. "Blindfold" zeigt die Auswirkungen des posttraumatischen Belastungssyndroms. Und ich weiß, dass wir nach dem Krieg jetzt noch stärker und härter davon betroffen sein werden. Darauf muss aufmerksam gemacht werden. Ich möchte über unsere Situation berichten, weil wir ein echtes Problem haben, zum Beispiel mit der Finanzierung, den Drehorten und so weiter.
rbb|24: Herr Dron, Sie haben gerade schon einige Hindernisse für die Filmproduktion aufgeführt, die durch den Krieg entstanden sind. Wie kann man jetzt in der Ukraine Filme machen?
Dron: Es ist schwierig und gefährlich. Es gibt keine sicheren Orte mehr in der Ukraine. Russische Bomben fallen und die russische Armee macht keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Soldaten. Ein weiters Hindernis ist natürlich, aktuell Geld zu bekommen, um einen Film überhaupt fertigzustellen.
Aber das ist nur eines der Probleme: Das nächste Hindernis ist, dass wir in unserem Land unter starkem emotionalem Stress stehen. Für die meisten Menschen ist es normal geworden, vor Bomben in Kellern oder Bunkern Schutz zu suchen. In dieser Situation ist es sehr schwer, zu schreiben, zu denken und zu handeln - aber dadurch nicht weniger wichtig. Viele unsere Kollegen aus der Filmindustrie kämpfen gerade an der Front und können so natürlich nicht an Projekten mitarbeiten.
Hrytsiuk: Außerdem sind die "Blackouts", die Stromausfälle, ziemlich hart. Sie machen es schwer zu arbeiten. Es ist kaum vorstellbar, dass man in einer großen Stadt wie Kiew sitzt und einfach keine Mail schreiben kann, man kann nicht telefonieren, man kann nichts tun. Aber die Menschen versuchen, mit dem Leben weiterzumachen und werden dadurch kreativ. Mobile Strom-Generatoren sind in der Ukraine gerade extrem beliebt. Wir kämpfen immer noch. Durch die Produktion von Filmen zeigen wir, dass das kulturelle Leben in der Ukraine weitergeht.
rbb|24: Wie hoch ist der gesellschaftliche Druck für Sie und andere Künstler:innen, ihr Schaffen zu pausieren und der Armee beizutreten?
Hrytsiuk: Wir haben keinen wirklichen Druck in der Gesellschaft, weil die Leute, die nicht in der Armee sind, versuchen, anders zu helfen. Ich habe mich im März zweimal bei der Armee beworben, aber ich habe keine militärische Erfahrung, also stehe ich im Moment mit vielen anderen auf der Warteliste. Das ist die Realität der meisten Ukrainer.
Dron: Ja, jeder tut, was er kann. Ich fahre permanent herum und suche nach Autos, Wohnungen und Medikamenten. Wir kombinieren alle unsere Fähigkeiten in diesem Krieg. Einfach nur dasitzen und warten ist für mich nicht in Ordnung. Ich glaube an mein Land. Ich liebe meinen Job, ich liebe es zu schreiben und Regie zu führen. Daraus ziehe ich Kraft.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mit Kornii Hrytsiuk und Taras Dron sprach Nathalie Daiber, rbbKultur.
Sendung: rbbKultur, 12.11.2022, 18:30 Uhr