Hilfe für ukrainische Geflüchtete - "Die Spendenbereitschaft befindet sich im freien Fall"

Mo 28.03.22 | 21:35 Uhr | Von Jenny Barke
Wojtek, ein freiwilliger Helfer, wirft in einer Schule, die als Lager für Spenden genutzt wird, einen Karton mit Windeln auf einen Haufen. (Quelle: dpa/Sebastian Gollnow)
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Video: rbb spezial | 08.03.2022 | Berlin Hauptbahnhof - Hilfe auf der Flucht | Bild: dpa/Sebastian Gollnow

In den Lagern stapeln sich die Schneeanzüge, was fehlt, sind hingegen Hygieneartikel. Vier Helfer:innen fassen zusammen, wie sich die Spendenbereitschaft verändert hat - und welche Hilfe für ukrainische Kriegsflüchtlinge gebraucht wird. Von Jenny Barke

Das Lager vom Verein "Moabit hilft" ist voll. Allein am vergangenen Freitag wollten Spender über 300 Kleidungsstücke in der Turmstraße abgeben, sie alle seien abgewiesen worden, sagt die Gründerin Diana Henniges. Denn die Kleidung würde viele Ressourcen binden. Sie müssen nach Geschlecht, Größe und Jahreszeit sortiert werden. "Jetzt kommt der Frühling, wir brauchen keine Pelzmäntel mehr." Zum Teil müssten Haupt- und Ehrenamtliche die Sachen entsorgen - oder gar für viel Geld entsorgen lassen.

Die Spendenbereitschaft der Berlinerinnen und Berliner war die ersten Wochen nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine enorm. Über Telegram-Gruppen organisierten sich Freiwillige, sammelten Geld, Nahrung, Medikamente, fuhren sie teils selbst mit geliehenen Lastwagen an die polnisch-ukrainische Grenze. Auch die Hilfsorganisationen in Berlin, ob Deutsches Rotes Kreuz oder die Nothilfe der Stadtmission erhielten Spenden. Am Berliner Hauptbahnhof stieß die Deutsche Bahn wegen der Sachspenden an ihre Kapazitätsgrenzen. Doch inzwischen ist bei vielen Organisationen ein Ungleichgewicht entstanden.

Zu viel Kleidung, zu wenig zielgruppenorientierte Spenden

Nach dem Gießkannenprinzip wird auch die Berliner Stadtmission mit Kleidung überschüttet. Nur ein Bruchteil der Klamotten sei sauber, der Jahreszeit und den Bedürfnissen der Bedürftigen angemessen, sagt Stadtmissionssprecherin Barbara Breuer. Nur etwa zehn Prozent der Kleidung können an Geflüchtete und obdachlose Menschen weitergegeben werden. "Eine ukrainische Flüchtlingshelferin sagte mal: 'Wir sind nicht nackt, wir werden beschossen'", sagt Breuer, bezugnehmend auf ein Interview aus der "Zeit".

Dabei fehlen den Hilfsorganisationen durchaus Sachspenden, nur eben abgesehen von Kleidung. "Die Spendenbereitschaft hat deutlich nachgelassen, sie ist fast im freien Fall", sagt Simon Neuffer, Gründer einer Plattform [adiuto.org], die dabei helfen soll, Spenden zu kanalisieren. Neuffer hat bereits 2015 als Freiwilliger geholfen, als ebenfalls Zehntausende Geflüchtete in Berlin ankamen und dringend Hilfe brauchten. Auch damals füllten sich die Lager schnell mit Kleidung, für deren Sortierung Helfer abgestellt wurden, die dann an anderer Stelle fehlten.

Plädoyer der Helfenden: Erst fragen, dann spenden

Es fehle an haltbaren Lebensmitteln und Medikamenten. Die Stadtmission würde sich nach Absprache auch über Fleischspenden für ihre Logistikküche freuen, sagt Breuer. Auch Hygieneartikel wie Windeln und Feuchttücher fehlten, fügt Henniges hinzu. Helfer, die ihre Spenden bei der Spendenbrücke [spendenbruecke-ukraine.de] am Hangar in Tempelhof abgeben wollen, seien mit Paletten Trinkwasser in Kartons sehr willkommen, sagt Initiatorin Ina Pfingst. Die Spendenbrücke liefert das Wasser ebenso wie alle weiteren Sachspenden in die Ukraine. Sie koordiniert aber auch Spenden im Berliner Stadtgebiet. Besonders gefragt sei gerade Tierfutter in Kleinstverpackungen, so Pfingst.

Simon Neuffer ergänzt: "Meine Vermutung ist, dass die Menschen Dinge brauchen, um ihr alltägliches Leben wieder zum Laufen zu bekommen." Ein Student beispielsweise einen Laptop, ein Kind einen Buggy. Aber auch Werkzeugkästen oder Inkontinenzbeutel werden gebraucht - nur eben nicht am Ankunftszentrum am Hauptbahnhof, sondern zielgruppenorientiert bei den Bedürftigen.

Gewöhnungseffekt tritt ein

Dabei ist die Situation sehr dynamisch, die Bedarfe ändern sich täglich. Plattformen wie adiuto.org oder auch bedarfsliste.de oder vostel.de wollen dabei helfen, die Spenden zu koordinieren. Hilfsorganisationen können ihre Bedarfe wie bei einem Onlineshop angeben, Helferinnen und Helfer mit einem Klick filtern, wer was wo in welcher Entfernung zum Wohnort braucht. Fragen, bevor man spendet: Für diese Reihenfolge wirbt auch Breuer. "Ich finde es ganz toll, dass die Leute das jetzt verstanden haben und die Sachen bei uns gezielt vorbeibringen."

Doch das Interesse zu helfen lasse nach, bemerken auch Breuer und Henniges. "Insgesamt ist es menschlich, dass alle zu Beginn einer Notsituation helfen wollen, dann aber feststellen, dass das eigene Leben auch weitergehen muss", sagt Breuer. "Die Freiwilligen sagen sich: 'Jetzt können auch mal andere helfen.'" Auch wenn sie diese Entwicklung kennt und nachvollziehen kann, wünscht sich Breuer einen längeren Atem. Noch immer erreichen täglich etwa 5.000 Geflüchtete aus der Ukraine Berlin.

"Moabit hilft" kritisiert Abbau der zivilgesellschaftlichen Hilfe

Auch Henniges erklärt sich die nachlassende Spendenbereitschaft mit dem Gewöhnungseffekt. Die Berichterstattung finde in Wellen statt, der Krieg in der Ukraine werde mit der Zeit von anderen Nachrichtenthemen verdrängt. "Das ist privat keinem anzulasten und man muss auch sagen, dass die Zivilgesellschaft auch irgendwann ausblutet", so die "Moabit-hilft"-Gründerin. Die Finanzierung könne nicht allein auf den Schultern Freiwilliger liegen. Die Europäische Union, der Bund und die Bundesländer müssten dafür stärker aufkommen.

Henniges vermutet zudem, dass die Spendenbereitschaft nachgelassen habe, weil die Senatskanzlei das Bild eines funktionierenden Systems vermittle. Ehrenamtliche vom Arrivalteam "Accomidation for Refugees" seien am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) gebeten worden, die Arbeit einzustellen, weil die Ehrenamtlichen neben Hauptamtlichen von den Maltesern nicht mehr gebraucht würden. "Seitens der Senatsverwaltung muss ganz klar das Bekenntnis kommen, dass sie uns nicht als Feind, sondern als Freund in diesem humanitären Ausnahmezustand sieht", so Henniges. Es werde sich zwar fortlaufend bei den Organisationen bedankt, aber ihre Hilfe kaum noch angenommen.

Ein offenes Ohr statt Sachspende ebenfalls hilfreich

Ein Projekt, das etwa vom Senat ausgebremst wird: Der geschützte Kinder- und Familienbereich im Untergeschoss des Hauptbahnhofs. Wie die "B.Z." am Dienstag als erstes berichtete, sollte noch am Montagabend der Bereich immer über Nacht geschlossen werden - von Mitternacht bis 9 Uhr morgens. Der Senat habe angegeben, dass die Mitarbeiter der beauftragten Stiftung nicht so lange arbeiten dürften. Die Deutsche Bahn habe zudem auf das Zelt auf dem Washingtonplatz verwiesen. Die Stadtmission hat in dem Zelt, der "Welcome Hall", ebenfalls einen Kinderbereich aufgebaut.

Dort habe die Bereitschaft zur Hilfe auch noch nicht nachgelassen, sagt Breuer. Und hier findet eine ganz andere Form der Spende statt: Zuwendung. "Das erste, was die Menschen aus der Ukraine brauchen, wenn sie hier ankommen, ist ein Ohr und jemand, der ihre Probleme anerkennt. Ganz egal, ob sie Hilfe für ihr mitgebrachtes Kaninchen brauchen, das seit Tagen nichts gefressen hat oder eine Umarmung", so Breuer.

Beratung und Hilfe gesucht

Auch bei "Moabit hilft" werden zunehmend Beratungsleistungen notwendig und dafür auch noch Freiwillige gesucht. Mehr und mehr Ankommende seien auch traumatisiert und bräuchten psychologische Betreuung, sagt Henniges. Auch dafür würden weiterhin Dolmetscher:innen für Ukrainisch und Russisch gebraucht.

Und Menschen, die den Geflüchteten die Ängste nehmen. Denn in der Community gebe es viele Gerüchte und Ängste. "Da ist teilweise die Rede von Bussen, die Richtung Süden zur Organspende fahren", so Henniges. Zudem wollten die Menschen nicht auf andere Bundesländer verteilt werden. "Auch da hilft nur Beratung und gutes Zureden, um die Ängste zu nehmen."

Sachspenden könnten dafür ein guter Katalysator sein: Damit könnten die Helfer bei den Geflüchteten Vertrauen gewinnen und sie dann beraten, sei es bei der Organisation von Sozialhilfe oder der Beantragung einer Krankenversicherung. Nur eben Kleidung, die sei nicht mehr das, was fehlt.

Sendung: rbb 88.8, 28.03.2022, 17 Uhr

Beitrag von Jenny Barke

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