Versorgung von Ukrainern - "Wir haben Sorge vor dem Winter, dass da nochmal was auf uns zukommt"
Seit einem halben Jahr führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Zahlreiche Menschen sind seitdem geflohen, auch nach Berlin und Brandenburg. Bei der Versorgung haben Hilfsorganisationen hier zwar Routine gewonnen - doch ruhig wie zurzeit muss es nicht bleiben. Von Sylvia Tiegs
Der Augustwind weht trockene Blätter über den Parkplatz am ZOB. Das Aufnahmezentrum für Ukraine-Flüchtlinge am Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin-Charlottenburg liegt ruhig in der Mittagssonne. Aber das ist nur eine Scheinruhe. Es kommen zwar längst nicht mehr 1.000 Flüchtlinge am Tag hier an wie zu Beginn des Krieges in der Ukraine - seit ein paar Wochen sind es nur noch bis zu 250 Menschen täglich -, aber auch sie müssen versorgt werden.
Der Malteser Hilfsdienst organisiert das Ankunftszentrum im ZOB und hält Snacks und Getränke, Toiletten und medizinische Versorgung bereit. Rund um die Uhr. Wie es den Ankommenden geht, hängt vom Abfahrtsort ab, sagt Jörn Rösner von der Einsatzleitung: "Wenn die Leute aus dem Kriegsgebiet – sprich aus dem Donbass – kommen, sieht man, dass sie einfach kaputt, ausgezehrt sind. Wenn welche aus Kiew kommen, dann kommen sie geplant. Sie bringen Sachen mit, haben ein, zwei Koffer dabei."
Noch immer kämen vor allem Frauen, Kinder und alte Menschen, Ankunftszeit sei meist in den frühen Morgenstunden. Im Ankunftszentrum erhalten sie etwas zu essen und zu trinken und werden, wenn nötig, medizinisch erstversorgt. Für Kinder gibt es eine Spielecke, die Kleinsten sollen Ablenkung finden nach der oft strapaziösen Flucht.
Offizielle Flüchtlingszahlen nicht voll belastbar
Wie viele Menschen genau aus der Ukraine bisher nach Berlin und Brandenburg geflüchtet sind, ist nicht klar zu sagen. Das machen Abfragen von rbb|24 bei den jeweiligen Behörden deutlich. Die Senatsverwaltung für Inneres weist etwa darauf hin, dass Geflüchtete, die einen Berlin-Bezug nachweisen konnten - Familie, Unterkunft oder einen Arbeitsplatz -, in der offiziellen Flüchtlingsstatistik oft gar nicht auftauchen.
So viel aber steht amtlich fest: Zwischen Mitte März und Mitte August haben rund 77.000 aus der Ukraine Geflüchtete einen Aufenthaltstitel in Berlin beantragt. Die Berliner Sozialämter haben rund 56.000 Menschen finanzielle Leistungen gewährt.
Nach Brandenburg sind seit Kriegsbeginn laut Ausländerzentralregister insgesamt rund 30.000 Menschen aus der Ukraine eingereist. Wie in Berlin, so kommen auch hier privat Untergekommene "obendrauf" - wie viele das sind, vermag niemand wirklich zu sagen. Auch nicht, wie viele von den rund 30.000 jetzt noch in Brandenburg sind.
Das Innenministerium in Potsdam weist auch darauf hin, dass etliche Ausländerbehörden Flüchtlinge noch "manuell" registrieren. Mit anderen Worten: Es liegt nicht alles digital vor.
Vom Bahnhof zum früheren Flughafen Tegel
Ob die Menschen mit dem Zug am Berliner Hauptbahnhof ankommen oder mit dem Bus am Zentralen Omnibusbahnhof: Beide Orte sind nur Durchgangsstation. Wer nicht gleich zu Freunden oder Verwandten weiterfahren kann, wird per Shuttle nach Tegel gebracht – ins dortige "Ankunftszentrum".
Auf dem Gelände des früheren Flughafens werden die Menschen registriert. Das machen Mitarbeiter:innen des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten in einem großen weißen Zelt auf dem Vorfeld des früheren Flughafens. Die Markierungen für die Flugzeuge und Versorgungswagen sind noch am Boden zu sehen. Aber hier geht es nicht mehr um An- oder Abflüge, sondern um die Frage: Dürfen die Menschen in Berlin bleiben, oder müssen sie in ein anderes Bundesland weiterreisen?
Die Klärung braucht etwas Zeit, die Geflüchteten dürfen deshalb im umgebauten Flughafen übernachten. Gerade dauere es etwas länger, sagt Betriebsleiterin Kleo Tümmler vom Deutschen Roten Kreuz (DRK): "Wir sind eigentlich darauf ausgerichtet, dass wir die Menschen hier nur eine, maximal zwei Nächte unterbringen. Aktuell bleiben die Flüchtlinge aber drei bis vier Nächte bei uns."
Gründe dafür seien Engpässe bei der Unterbringung in Berlin und Probleme bei der Weiterleitung in andere Bundesländer.
Wer das Ankunftszentrum in diesen Tagen besucht, hat allerdings nicht den Eindruck, dass es zu voll oder zu eng ist. Auf den langen Gängen des ehemaligen Flughafens laufen Kinder fröhlich um die Wette, Erwachsene sitzen an langen Holztischen und essen. Die Stimmung ist gedämpft, aber nicht angespannt.
Zwischen Routine und Mitgefühl
Die Aufnahme und Versorgung der ukrainischen Flüchtlinge läuft sechs Monate nach Kriegsbeginn deutlich geordneter als zu Anfang, das Chaos der ersten Wochen scheint vorbei. Die Hilfsorganisationen bestätigen das. "Wir haben eine gewisse Routine entwickelt, wir können die Lage hier im Moment gut handhaben", sagt Kleo Tümmler vom DRK im Ankunftszentrum Tegel.
Das bestätigt Jörn Rösner von den Maltesern am Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin: "Auch mit Hilfe des Senats und des Krisenstabs sind wir hier mittlerweile ein gut eingefahrenes Team." Rösner betont aber gleichzeitig, dass die Malteser nach wie vor rund um die Uhr gebraucht würden. "Wenn hier 60, 70 Leute gleichzeitig aus dem Bus steigen, haben wir richtig zu tun."
Nach wie vor kämen Menschen an, deren Schicksale die Helfer bewegten: Verletzte, Verzweifelte, Erschöpfte. Ähnlich geht es den Teams in Tegel: "Niemand geht hier raus und nimmt nicht jeden Tag eine kleine Geschichte mit", sagt Betriebsleiterin Kleo Tümmler.
Auf die kommenden Monate schaut sie etwas bang: "Wir haben alle Sorge vor dem Winter, dass da nochmal was auf uns zukommt. Weil die Menschen aufgrund der zerstörten Infrastruktur einfach in der Ukraine nicht mehr leben können."
Deshalb läuft in den Ankunftszentren am ZOB und in Tegel alles erstmal so weiter – mit dem Hintergedanken, jederzeit wieder aufzustocken. Der Malteser Hilfsdienst sucht aktuell dringend neue Mitarbeiter, vor allem Dolmetscher für Russisch und Ukrainisch.
Sendung: rbb24 Abendschau, 24.08.2022, 19:30 Uhr