Tagebuch (6): Ukraine im Krieg - "Du wirst es doch nicht so publizieren, dass man weiß, wer ich bin?"

Mi 06.04.22 | 18:14 Uhr | Von Natalija Yefimkina
Zettel in den ukrainischen Nationalfarben (blau und gelb) hängen an einer Brüstung des Ufers der Moskwa, im Hintergrund sind Gebäude des Hochhausviertels Moskwa City zu sehen. (Quelle: dpa/Ulf Mauder)
Bild: dpa/Ulf Mauder

Natalija Yefimkina hält von Berlin aus Kontakt mit den Menschen in der Ukraine. Für diesen Tagebucheintrag hat sie allerdings Kontakt mit Freunden und Bekannten in Russland aufgenommen - es sind für sie keine einfachen Gespräche.

Donnerstag, 31. März 2022, Berlin

Ich bin ja auch ein bisschen russisch, zumindest sah das mein Großvater immer so. Er wurde im Alter von drei Jahren mit seiner Familie aus Zentralrussland nach Sibirien deportiert. Sie galten als Kulaken, also als Großbauern. Sein Vater war der Gründer des Dorfes, konnte als einziger lesen und hatte wahrscheinlich ein großes Haus.

In Sibirien hatten sie buchstäblich nichts. Beide Eltern starben im selben Jahr unter den harschen Bedingungen und hinterließen sechs Kinder, mein Opa war der Jüngste. Später adoptierte der älteste Sohn mit seiner Frau die übrigen fünf Kinder. Mit 18 ging mein Opa zum Studieren nach Kiew.

Als ich selbst 18 wurde, schenkte mir meine Mutter die schönste denkbare Reise: eine Zugfahrt von Kiew über Moskau nach St. Petersburg. Wir trafen viele Verwandte von mir, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Fünf Jahre später bekam ich von der Humboldt Universität die Möglichkeit, auf die Prestige-Universität MGMIO in Moskau zu gehen.

Nun will ich mit russischen Freunden und Bekannten über den Krieg in der Ukraine sprechen - das fällt mir nicht leicht.

Ich rufe Maxim an, er ist Schauspieler. Wir halten seit Jahrzehnten Kontakt, er war für mich immer ein Garant für die richtige Einschätzung der Lage. Maxim ist 57 Jahre alt.

Zur Person

Die Regisseurin Natalija Yefimkina (Quelle: Lucia Gerhardt)
Lucia Gerhardt

Natalija Yefimkina lebt in Berlin. Sie ist in Kiew aufgewachsen. Nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl zog die Familie zunächst nach Sibirien. In den 1990er Jahren emigrierte die Familie dann nach Deutschland.

Er ruft mich per Video-Call an, zeigt mir Moskau, die surrealistische Kulisse der Hochhäuser von Moskau City.

Maxim: Ich zeig dir jetzt mein Computerspiel, es ist eine Aussicht wie im Computerspiel.

Ich: Wie geht es Dir?

Wie es mir geht? Im Prinzip kann man leben. Die Sanktionen berühren mich nicht besonders. Das Einzige ist, dass ich gerade renoviert habe. Ich hatte eine Packung Vinylboden gekauft, die hat nicht gereicht, und jetzt ist es vier Mal so teuer.

Es gibt eine Tendenz ausländischen Importe zu ersetzen. Ikea ist zu, das ist für mich persönlich nicht gut, weil ich dort eingekauft habe. Aber Essen gibt es, vielleicht ist es etwas teurer, aber ich würde nicht sagen sehr – und ich kann mir auch sowas wie den teureren Vinylboden leisten.

Aber man hat den Eindruck, in einer surrealen Welt zu leben. Ich schaue nicht fern, das ist alles Propaganda. Facebook ist in Russland abgeschaltet, Instagram auch.

Woher bekommst Du deine Informationen?

Ich folge verschiedenen Bloggern. Solchen für Putin, aber zum Beispiel auch dem ukrainischen Journalisten Gordon. Es ist natürlich von beiden Seiten Propaganda, aber ich versuche daraus zu verstehen, was los ist. Es ist natürlich nichts Gutes los. Es sterben einfache Menschen, die gar nichts damit zu tun haben. Und durch die Sanktionen leiden auch Menschen, die nichts damit zu tun haben.

Es ist natürlich klar, dass man im 21. Jahrhundert seine Probleme nicht mit dem Werfen von Granaten regeln kann. Es ist klar, dass das eine Tragödie ist. Aber ich versuche, nicht daran zu denken. Sonst dreht man durch.

Weißt Du, ich habe das Gefühl, dass halb Russland nicht versteht, dass Russland die Ukraine angegriffenen hat.

Das ist ja noch nicht das Schlimmste, sie fangen jetzt auch noch an, das zu unterstützten. Das sehe ich an den Kommentaren. Und die, die es nicht unterstützen, hinterlassen gar keine Kommentare, denn warum sollte man sein Leben zerstören. Die falsche Meinung kann hier dein Leben kaputt machen. Du siehst doch, was hier passiert.

Aber die Situation verschlechtert sich doch auch für den Einzelnen. Das könnte doch was bewirken, Widerstand hervorrufen.

Verdammt, ich würde das gern sehen, aber ich sehe es nicht. Das hat vielleicht einen gewissen Widerhall, aber es fahren ausländische Wägen durch die Stadt, Benzin ist billiger geworden, der Dollar ist fast wieder so viel wert wie vorher.

Aber warum unterstützen sie Putins Politik?

Der normale Mensch ist das Opfer von Propaganda. Wenn Dir eine Million Mal gesagt wird, dass dort Nazis sitzen, dann glaubst Du das beim millionsten Mal auch. Ich natürlich nicht, aber andere schon. Dazu kommt noch dieses Aufheizen der Russophobie im Ausland, das strengt an.

Und wie kann man das ändern?

Ich weiß es nicht. Einfach weiter weg von der Politik zu sein, so sehe ich das.

Also Du bekommst diese echte Information ja offensichtlich.

YouTube ist noch erreichbar, und wenn dein Gehirn funktioniert, kannst Du Dir ein objektives Bild machen. Das objektive Bild ist, dass es wahnsinnige Zerstörungen gibt - und die einen sagen, dass die Nationalarmee der Ukraine sich mit einem menschlichen Schutzschild schützt und die anderen sagen, die russische Armee bombardiere extra… und wie soll ein normaler Mensch verstehen, was da passiert?

Ich verstehe aber, dass es eine völlige Grenzüberschreitung ist.

Ja du hast immer alles ganz gut verstanden.

Du wirst es doch nicht so publizieren, dass man weiß, wer ich bin?

Nein, ich werde deinen Namen ändern.

Das Auto für seinen Bauschutt von der Renovierung kommt, Maxim muss es einweisen, bricht ab, sagt, er rufe später zurück.

Alle Tagebuch-Einträge von Natalija Yefimkina

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  • Ukraine-Tagebuch: Oksana Chernaja, 42, Rettungssanitäteterin, Bachmut (Quelle: privat)
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    Tagebuch (17): Ukraine im Krieg 

    "So leben wir seit neun Monaten und beschweren uns nicht"

    Oksana ist Professorin für Ökonomie. Eigentlich. Seit Kriegsbeginn dient sie freiwillig als Rettungssanitäterin. Natalija Yefimkina spricht in ihrem Kriegstagebuch mit Oksana über den Alltag an der Front – und den Dauerbeschuss der Stadt Bachmut.

  • Swetlana aus Cherson. (Quelle: privat)
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    Tagebuch (16): Ukraine im Krieg 

    "Jemand verrät jemanden. Trotzdem, ich verurteile niemanden"

    Swetlana legt Tarotkarten – und ist damit nicht nur in Cherson ziemlich erfolgreich. Mit den Karten kommen die Geschichten ihrer Kunden zu ihr. Natalija Yefimkina in ihrem Kriegstagebuch über systematischen Raub, Ursachen von Verrat und streunende Hunde.

  • Haus und Garten von Mykola Ivanovich Smoljarenko in der Ukraine (Quelle: privat)
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    Tagebuch (15): Ukraine im Krieg 

    "Alle Tiere, die wir hatten, sind weg"

    Gemüse anbauen, Tiere füttern, fischen gehen - das war bisher das Leben des ukrainischen Rentners Mykola Ivanovich Smoljarenko. Dann kam der Krieg bis in seinen Garten. Natalija Yefimkina hat in ihrem Ukraine-Tagebuch Mykolas Geschichte aufgeschrieben.

  • Archivbild: Feuerwehrleute in Kiew arbeiten nach dem Beschuss von Gebäuden durch eine Drohne. (Quelle: dpa/E. Lukatsky)
    dpa/E. Lukatsky

    Tagebuch (14): Ukraine im Krieg 

    "Wir lesen jeden Tag dieses Grauen"

    Die Russen nutzen vermehrt Drohnen, um die Ukraine anzugreifen, erzählt der Vater von Natalija Yefimkina. Jeden Tag sei Bombenalarm und alle stünden ständig unter Stress. In ihrem Kriegstagebuch hat sie das Gespräch aufgezeichnet.

  • Tagebuch: Ukraine im Krieg (Quelle: privat)
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    Tagebuch (13): Ukraine im Krieg 

    "Es war verrückt, dass das Tattoo eine solche Macht hatte"

    Ein Zufall hat Tilde aus ihrem Kaffeeladen in Schweden an die Front in der Ostukraine geführt. Natalija Yefimkina berichtet in ihrem Kriegstagebuch über eine Frau, die ihren ganz eigenen Umgang mit dem Grauen in der Ukraine hat.

  • Tagebuch Ukraine (Quelle: privat)
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    Tagebuch (12): Ukraine im Krieg 

    "Sie fahren besoffen mit ihren Militärfahrzeugen in den Gegenverkehr"

    Anja hat wochenlang im besetzten Cherson ausgeharrt – bis ihr die Flucht glückte. Natalija Yefimkina in ihrem Kriegstagebuch über Anjas Alltag unter russischer Okkupation, den Fluch der Propaganda und Müllhalden mit Leichenteilen.

  • Bohdan. (Quelle: privat)
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    Tagebuch (11): Ukraine im Krieg 

    "Sucht nicht den Krieg, er wird euch von selbst finden"

    Das Azot-Werk ist ein gewaltiger Industriekomplex in Sjewjerodonezk. Seit Wochen kämpft hier Bohdan gegen die Russen. Natalija Yefimkina in ihrem Kriegstagebuch über einen Freiwilligen, der den Krieg da erlebt, wo er am schlimmsten tobt.

  • Ukraine-Tagebuch. (Quelle: privat)
    Quelle: privat

    Tagebuch (10): Ukraine im Krieg 

    "Den Mädchen wurden die Zähne ausgeschlagen, die Vorderzähne"

    Wer zu Tatiana kommt, ist am Ende. Die Psychologin arbeitet in Kiew mit den schwer misshandelten Opfern des Krieges. Natalija Yefimkina in ihrem Kriegstagebuch über den Versuch, sich aus dem Grauen wieder herauszukämpfen.

  • Tagebucheintrag vom 13.5 (Quelle: privat)
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    Tagebuch (9): Ukraine im Krieg 

    "Ich verdamme deine Tante und den Tag, als ich dich geboren habe"

    Jana ist mit ihren Töchtern bei einer Berliner Familie untergekommen. Doch damit kehrt kein Frieden ein: Ihr Mann ist in der Ukraine, die Mutter beschimpft sie von Russland aus. Natalija Yefimkina in ihrem Kriegstagebuch über innere und äußere Zerrissenheiten.

  • Tatjanas Familie. (Quelle: privat)
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    Tagebuch (8): Ukraine im Krieg 

    "Es war sehr gefährlich, Wanja herauszubringen"

    Natalija Yefimkina hält von Berlin aus Kontakt mit den Menschen in der Ukraine. Für diesen Tagebucheintrag hat sie mit Tatjana gesprochen. Die hat ihren Sohn Wanja aus Donezk herausgebracht, damit er nicht gegen die Ukraine kämpfen muss.

  • Tagebuch: Ukraine im Krieg. Journalistin Tatjana (Quelle: privat)
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    Tagebuch (7): Ukraine im Krieg 

    "Man konnte zur Kochstelle laufen, umrühren und sich wieder verstecken"

    Tanja ist eine erfahrene Kriegskorrespondentin. Über Wochen ist sie im belagerten Mariupol eingeschlossen. Natalija Yefimkina hält von Berlin aus Kontakt mit den Menschen in der Ukraine - und berichtet darüber in diesem Tagebuch.

  • Andrei und seine Frau Elena vor ihrem Hotel Stockholmstudios in Irpin (Quelle: privat)
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    Tagebuch (5): Ukraine im Krieg 

    "Sie schossen durch die Küchentür, mit einem Abstand von vier Metern"

    Andreis kleines Hotel in der Nähe von Kiew wird beschossen. Kurz darauf dringen russische Soldaten ein: Natalija Yefimkina hält von Berlin aus Kontakt mit Menschen in der Ukraine - und berichtet darüber in diesem Tagebuch.

  • Alexander Sasnovski vor dem Krieg zu Hause in Mariupol. (Quelle: privat)

    Tagebuch (4): Ukraine im Krieg 

    "Ich wache morgens auf und denke, ich bin zu Hause, aber ich habe kein Zuhause mehr"

    Alexander und seine Frau wollten Mariupol nicht verlassen. Doch Putins Krieg zwang sie zur Flucht: Natalija Yefimkina hält von Berlin aus Kontakt mit den Menschen in der Ukraine - und berichtet darüber in diesem Tagebuch.

  • Viktor mit seinem Sohn Zenja in Deutschland (Quelle: privat)
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    Tagebuch (3): Ukraine im Krieg 

    "Er hat immer davon geträumt, ein Offizier zu werden. Gestorben ist er am 27. Februar"

    Ein Vater spricht über seinen im Krieg gefallenen Sohn, die fliehende Familie erreicht endlich Berlin: Natalija Yefimkina hält von Berlin aus Kontakt mit den Menschen in der Ukraine - und berichtet darüber in diesem Tagebuch.

  • Oleg sitzt als Beifahrer in dem Transporter. (Quelle: privat)
    privat

    Tagebuch (2): Ukraine im Krieg 

    "Bitte komm, Oma, es ist Krieg!"

    Die Regisseurin Natalija Yefimkina hat ukrainische Wurzeln. Seit Tagen hält sie Kontakt mit den Menschen vor Ort. In diesem Tagebuch berichtet sie darüber, wie es den Menschen in der Ukraine geht, aber auch was die Situation mit ihr macht.

  • Die Ukrainerin Julia T. hat sich entschieden, mit ihren beiden Kindern aus der Ukraine zu fliehen. Die beiden Kinder im Zug. (Quelle: privat)
    privat

    Tagebuch (1): Ukraine im Krieg 

    "Julia, entscheide dich!"

    Die Regisseurin Natalija Yefimkina hat ukrainische Wurzeln. Seit Tagen hält sie Kontakt mit den Menschen vor Ort. In diesem Tagebuch berichtet sie darüber, wie es den Menschen in der Ukraine geht, aber auch was die Situation mit ihr macht.

  • Berichte aus der Ukraine 

    "Ich will nicht für die Ukraine sterben, ich will für sie leben!"

    Plötzlich leben die Menschen in der Ukraine im Krieg. Eine Lehrerin harrt voller Angst auf dem Land aus. Ein Fabrikarbeiter baut Molotow-Cocktails. Ein Chirurg arbeitet seit sechs Tagen ohne Pause. Sieben Protokolle aus der Ukraine.

Freitag, 1. April 2022, Berlin

Ich rufe nicht mehr zurück. Irgendwie kann ich nicht mehr. Ich habe viel zu viel zu tun, viele Menschen brauchen gerade Obdach, ich werde mit den Übersetzungen nicht fertig, meinen Vater sollte ich auch mal anrufen, schließlich ist er in der Ukraine. Doch dann schreibt mir Anton aus Apatity, ganz im Norden Russlands, der Gegend, wo ich meinen ersten Dokumentarfilm gedreht habe.

Anton saß damals in seiner Garage voller Bücher, die diejenigen hinterlassen hatten, die aus der Gegend weggezogen waren. Eine intellektuelle Garage. Er erklärte damals, warum in Russland die Freiheit nur in Garagenanlagen zu finden ist. Nur in so einer Miniaturwelt könne man noch sein und moralisch bleiben, auf der großen Bühne, also im normalen Leben, ginge das längst nicht mehr. Anton fragt mich, ob wir reden können, es gehe ihm schlecht, körperlich. Er installiert sich die Messenger-App Signal und ruft mich fünf Mal an. Ich reiße mich zusammen und rufe zurück.

Anton: Ich verstehe Signal noch nicht so gut. Wie geht es dir?

Ich: Ja, Signal ist die einzige Möglichkeit sicher zu kommunizieren.

Mein Freund, der für Norweger ökologische Projekte macht, schreibt auch immer nur über Signal. Auf Facebook kann er nichts kommunizeren, das wird alles überwacht.

Seine Firma erstellt ökologische Expertisen - er musste sie eröffnen, nachdem seine NGO verboten wurde. Die Norweger wissen jetzt nicht mal mehr, wie sie ihm Geld überweisen sollen. Die EC-Karte funktioniert nicht und die Sberbank fängt an, Geldströme zu kontrollieren.

Das ist schon eine richtige Paranoia, die gerade in Russland herrscht.

Weißt du, es gibt diesen aus meiner Sicht Abschaum in Russland, meist Rentnerinnen über 70. Ich gehe immer wieder in die Poliklinik, weil ich sehr lange schon akute Bronchitis habe. Dort treffe ich solche Damen, provinziell, über 70, geschminkt, kleinkariert, mit dem Horizont einer Maus. Neulich fragt mich eine, wie es mir geht. Ich erzählte ihr, was ich dir erzähle, dass dort russische Flugzeuge fliegen, und sie fragt mich, welche russischen, das sind andere, sagt sie.

Da frage ich, was für andere Flugzeuge sollen das denn sein? Niemals im Leben wirst du sie überzeugen. Für sie sind es irgendwelche mystischen Flugzeuge. Sie glauben an Putin. Diese Frauen gehen in die orthodoxe Kirche. Und das Regime ist wie eine andere Art Kirche, die für sie eingerichtet wurde. Da gehen sie hin und glauben daran bis zu Besinnungslosigkeit. Den Männern in diesem Alter ist es meistens einfach egal.

Meine Tante Ira ist 75 Jahre alt und lebt in der Ukraine. Stell dir vor, neulich hat Ira gesagt, sie würde ihr Leben hergeben, damit Putin krepiert, sie würde keinen Moment zögern. Und das ist dieselbe Tante Ira, die noch vor 20 Jahren Russland geliebt hat. Sie fand Leningrad die schönste Stadt der Welt und hatte so eine hohe Meinung von der russischen Kultur. Jetzt sagt sie sowas. Es ist nichts mehr da außer Hass.

Schlimm ist, dass sie nicht nur töten, sondern auch die Menschen verändern. Sie kamen, um sie zu 'denazifizieren'. Am Ende produzieren sie Menschen, die sie hassen. Was für ein Idiot muss man sein, um sich so viele Feinde zu machen.

Ich bin geschockt. Ich habe ja auch diesen Hass, der mich quält. Der sitzt so tief, ich weiß nicht, was ich damit machen soll. In der ersten Woche habe ich einige Male geweint. Dann traf ich meinen Freund Ljoscha und auch er fängt an zu weinen. Ljoscha weint. Wie weit muss man die Menschen bringen? Ljoscha hat überhaupt niemanden in der Ukraine. Er ist wahrscheinlich weiter weg von der Ukraine als ich von Australien. Trotzdem quält es ihn so stark.

Neun Menschen würde ich als meine Freunde bezeichnen und sie alle erleben das so. Wenn wir uns treffen, um das zu besprechen, fühlen wir uns wie Nationalverräter.

Hast du daran gedacht auszureisen?

Verstehst du, ich habe ja meinen Sohn hier. Es gibt Sachen, die mich hier halten, ich weiß nicht warum.

Du lebst in einem Staat, der die ganze Zeit Druck auf dich ausübt. Du fühlst dich gut mit neun Menschen, aber du wirst nie so sein, wie das Regime dich haben möchte. Mein Freund ist auch aus Belarus ausgereist, weil er immer diesen Druck spürte, und er hat mich gefragt, warum reist Anton nicht aus, der könnte doch ein toller Spezialist hier sein.

Es gibt bei Tschechow so einen Helden, Onkel Wanja. Beckett hat auch solche Helden, Estragon und Wladimir in "Warten auf Godot". Das sind Menschen, die sehr in sich gekehrt sind. Ich bin auch so ein Mensch, ich bin ein Oblomow, der immer im Bett liegt. Ich habe keine Expansion in mir, keine Leidenschaft, das ist mein Problem.

Als der Krieg noch nicht begonnen hatte, aber mir klar wurde, dass es Krieg geben wird, fing ich an, ukrainischen Krankenhäusern Geld zu überweisen. Als es noch möglich war.

Aber Du hast doch gar kein Geld?

Ich habe überwiesen, was ich konnte. Das sind Kopeken, aber ich hatte das Gefühl, wenigstens etwas zu tun. Jetzt empfinde ich nur noch Scham.

Beitrag von Natalija Yefimkina

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