Zug-Ladung ersetzt 52 Lkw - So kommen Hilfsgüter über die "Schienenbrücke" in die Ukraine

Do 24.03.22 | 18:32 Uhr
Arbeiter verladen Container auf einen Zug der DB-Schienenbrücke Ukraine vor der Abfahrt mit Hilfsgütern aus dem Westhafen. (Quelle: dpa/Carsten Koall)
Video: rbb|24 | 24.03.2022 | Material: Abendschau | Bild: dpa/Carsten Koall

Über die sogenannte Schienenbrücke der Deutschen Bahn werden seit zwei Wochen Hunderte Tonnen an Spenden direkt in die Kriegsgebiete der Ukraine gefahren. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Rangierbahnhof Seddin (Potsdam-Mittelmark).

Inmitten eines russischen Angriffkrieges gegen sein Land ist für den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk längst kein Pressetermin mehr so wie jeder andere. Die Wut gegen Staatspräsident Wladimir Putin ist groß, die endlosen Forderungen an die Bundesregierung, die Ukraine militärisch viel stärker zu unterstützen, zehren Kraft.

Doch an diesem Donnerstag, als der Diplomat auf dem Berliner Westhafen neben der Regierenden Berliner Bürgermeistern Franziska Giffey (SPD) und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) steht, ragt hinter ihm ein Container hervor, der bis oben hin voll mit Spenden für die Ukraine ist: "Mit solchen Aktionen können wir sicher sein", sagt Melnyk, "wir werden diesen Krieg nicht verlieren."

Mit solchen Aktionen können wir sicher sein, wir werden den Krieg nicht verlieren.

Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter

Sein Dank gilt der Aktivierung einer sogenannten Schienenbrücke durch die Deutsche Bahn. Dabei handelt es sich um ein Schienennetzwerk, auf dem Züge Hunderte Tonnen an Spenden von Unternehmen und Privatpersonen schleppen, die vorher wie hier am Berliner Westhafen eingesammelt wurden. Über den Rangierbahnhof Seddin (Potsdam-Mittelmark) werden die Spenden nach Polen und schließlich weiter bis in die ukrainischen Kriegsgebiete gefahren - ohne Flugzeug, ohne Lkw.

Der erste Zug fuhr vor bereits zwei Wochen ab - beladen mit 15 Containern. Die Fracht enthielt der Bahn zufolge Schlafsäcke, Isomatten, Windeln, Konserven mit Lebensmitteln, Trinkwasser, warme Kleidung und Babynahrung, aber auch medizinische Produkte wie Spritzen, Pflaster, Mullbinden und Kanülen. Insgesamt wurden so 350 Tonnen Hilfsgüter in die Ukraine gebracht.

Genaue Route aus Sicherheitsgründen geheim

Seitdem starteten noch fünf weitere Züge im Zwei-Tage-Takt. An diesem Donnerstag wurde nun ein weiterer Containerzug mit Hilfsgütern auf den Weg gebracht. Die Container aus Berlin sind somit Teil des siebten Hilfstransports seit Beginn des russischen Angriffs vor einem Monat.

Eine zentrale Rolle kommt hierbei der Gemeinde Seddiner See bei Potsdam zu. Der dortige Rangierbahnhof ist wichtiger Bestandteil des Bahn-Netzes, auch für die "Schienenbrücke" kommen dort sämtliche Container mit Hilfsgütern aus dem ganzen Bundesgebiet an und werden zu langen Güterzügen zusammengestellt, die dann weiter über Krakau in die Ukraine rollen. In Polen wird die Fracht vorher allerdings umgeladen, sodass die Ladung auf dem ukrainischen Breitspurmaß ins Land transportiert werden kann. In den Kriegsgebieten würden dann Hilfsorganisationen bereit stehen, um die Spenden in Lager zu bringen und anschließend zu verteilen. Die genaue Route gibt die Bahn aus Sicherheitsgründen nicht bekannt.

Eine Luftbrücke können wir nicht realisieren, aber dafür eine auf Schienen.

Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin Berlin

Stolz zeigt sich die Berliner Regierende Bürgermeisterin, als sie über die "Schienenbrücke" spricht. "Eine Luftbrücke können wir nicht realisieren, aber dafür eine auf Schienen. Solidarität ist eben nicht nur, dass überall die blau-gelbe Flagge zu sehen ist", sagt Giffey. Sie geht damit rhetorisch auf den ukrainischen Botschafter ein, der bei einer Gastrede vor zwei Wochen im Berliner Abgeordnetenhaus den Senat dazu aufgerufen hatte, sein Land mit dringend benötigten Hilfsgütern zu versorgen. Der Diplomat hatte dabei eine Parallele zur Berliner Luftbrücke 1948/49 gezogen. "Wir brauchen eine Luftbrücke 2.0, nur diesmal auf dem Landweg", sagte der Botschafter. Viele Ukrainer fühlten sich heute genauso wie die Deutschen damals.

Der Transport der Hilfsgüter funktioniere nur in Zusammenarbeit mit Polen und der Ukraine. "Selbstverständlich ist die Fahrt auf ukrainischem Gebiet eine riskante Fahrt", sagt Bundesverkehrsminister Wissing. Zugführer und Zugbegleiter nähmen erhebliche Risiken auf sich. "Das ist außerordentlich anerkennenswert."

Zug-Ladung ersetzt 52 Lkw

Fürs Erste sei weiterhin geplant, dass alle zwei Tage ein Zug mit Hilfsgütern aus Seddin in die Ukraine startet, sagt Sigrid Nikutta, Chefin von DB Cargo. Sie betont jedoch, dass in den Zügen noch Platz sei. "Züge haben den Vorteil, dass sie sehr lang sein können." Aktuell würden die Züge mit 20 bis 30 Wagen starten - das entspreche 52 Lkw, mehr Wagen seien aber möglich.

Offenbar ist noch Luft nach oben, was die Kapazitäten der Spenden angeht. Auf Nachfrage eines rbb-Reporters, warum die Züge nicht verlängert oder ihre Taktungen erhöht werden, wies Nikutta auf ein "entsprechendes Aufkommen" hin. Sie halte es jedoch für möglich, dass künftig mehr Hilfslieferungen ankämen, wenn die Bereitstellung von Spenden vermehrt über Institutionen liefen.

Die Bahn hat für die "Schienenbrücke" in die Ukraine eine Hotline eingerichtet, wo insbesondere Firmen Fracht anmelden können. Der Transport ist für Spender bis auf Weiteres kostenlos. Die Hotline ist werktags von 8 bis 20 Uhr besetzt. Telefonnummer: 030 - 720 220 640

Sendung: Abendschau, 24.03.2022, 19:30 Uhr

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