Freiwillig im Krieg - Was über deutsche Kämpfer in der Ukraine bekannt ist
Tausende Ausländer haben sich laut ukrainischer Regierung als Freiwillige für die Verteidigung gegen Russland anwerben lassen. Auch Deutsche sollen dabei sein. Um wen geht es dabei? Und was treibt sie an? Von Georg-Stefan Russew
Nachdem die Ukraine Anfang März ihre Grenzen für freiwillige Kämpfer aus dem Ausland geöffnet hat, sollen sich Medienberichten zufolge auch zahlreiche Deutsche bei der ukrainischen Armee gemeldet haben, um mit ihr zusammen gegen den Einmarsch russischer Truppen zu kämpfen. Knapp 1.000 Deutsche sollen in der Ukraine mittlerweile im Einsatz sein, schreibt "Bild" unter Berufung auf Angaben aus ukrainischen Regierungskreisen.
Das Bundesinnenministerium in Berlin bestätigt diese Zahl rbb|24 nicht. "Innerhalb des Schengen-Raums reisen Menschen frei und werden dabei erst einmal nicht registriert. Es gibt keine regulären Binnengrenzkontrollen, auch nicht in Richtung Osten - in Richtung Polen", teilte ein Ministeriumssprecher mit. Gleichwohl befänden sich seiner Darstellung nach aber durchaus auch deutsche Kämpfer in der Ukraine.
Rechtsextremisten im Fokus der Beobachtungen
Unter besonderer Beobachtung stehen dabei deutsche Rechtsextremisten, die sich möglicherweise an Kampfhandlungen in der Ukraine beteiligen könnten. "Dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) liegen vereinzelte Hinweise - im niedrigen einstelligen Bereich - auf erfolgte Ausreisen von Extremisten aus Deutschland in die Ukraine vor", sagte BfV-Sprecherin Angela Pley rbb|24.
"Bezüglich der mutmaßlichen Beteiligung deutscher Rechtsextremisten an Kampfhandlungen liegen derzeit keine verifizierten Erkenntnisse vor", so Pley weiter. Sicherheitsbehörden behielten aber entsprechende Werbungsversuche und mögliche Ausreiseabsichten aufmerksam im Blick, hieß es weiter.
Ein Sicherheitsexperte, der nicht namentlich genannt werden wolle, erklärte in Bezug auf deutsche Rechtsextremisten, dass diese sich uneins zeigten. Während pro-russische Separatisten 2014 nach dem Donbass griffen, unterstütze eine breite Mehrheit der Rechtsextremisten die ukrainische Seite. Aktuell tendierten diese extremistischen Kreise mehrheitlich zum russischen Lager. Hierzu zählten seiner Einschätzung zufolge Organisationen wie die NPD oder "Freie Sachsen".
Andere wie beispielsweise die rechtsextremistische Partei "Der dritte Weg" positionierten sich pro-ukrainisch. So gebe es eine gewisse Nähe zu ukrainischen Milizen wie dem ultranationalistischen "Regiment Asov", das Online um Freiwillige wirbt. "Asov“ untersteht formal dem Kiewer Innenministerium.
Wer lässt sich anwerben?
"Wir gehen davon aus, dass das Ukrainer oder mindestens Menschen mit einem deutsch-ukrainischen Hintergrund sind, aber diesbezügliche Zahlen können wir nicht nennen", unterstrich ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.
Ralph D. Thiele, Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft Berlin, geht davon aus, dass de facto erst in zwei, drei Jahren mit Sicherheit gesagt werden könne, wer sich freiwillig an dem Krieg beteiligt hat. Das zeigten Erfahrungswerte aus der Vergangenheit, wie er im Gespräch mit rbb|24 sagte.
Er verweist auf die Auseinandersetzung mit der Terrororganisation des Islamischen Staats (IS). Damals ließen sich 10.000 Freiwillige aus Europa - davon 3.000 aus Deutschland - vom IS anwerben, um für die islamistische, salafistische Miliz in den Krieg zu ziehen, um ein Kalifat unter anderem auf syrischem Territorium zu errichten.
Militärexperte sieht hohes Mobilisierungspotenzial
In die Ukraine zu ziehen, ist derweil nicht strafbar. Freiwillige, die zum IS gegangen sind und in die Bundesrepublik zurückkehren, müssen sich dagegen unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verantworten. Bis zu zehn Jahre Haft können drohen.
Menschen, die zum Kämpfen freiwillig in die Ukraine zögen, seien nach Ansicht von Thiele keine Terroristen. Viele von ihnen bewege die Gerechtigkeitsfrage und Solidarität mit der Ukraine. Einige verbänden familiäre Bande in das Land. Aus diesem Grund sieht Oberst a.D. Thiele ein hohes Mobilisierungspotenzial. "Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir hier auf eine Quote von 50.000 kommen. Nach meinem Zahlen gibt es im Augenblick bereits 20.000, die in der Ukraine kämpfen. Wenn wir das dann entsprechend hochrechnen, könnten es aus Deutschland dann mehr als 10.000 Kämpfende sein", prognostiziert Militärexperte Thiele.
Für Deutschland sei es in dieser Situation sehr wichtig, dass deutsche Sicherheitsbehörden sich ein reales Lagebild beschafften, so Thiele. Es müsse dokumentiert werden, wer von Deutschland aus freiwillig in die Ukraine ziehe, um für spätere Problematiken gewappnet zu sein.
Motivation ist vielschichtig
Generell ließe sich kein homogenes Bild zeichnen, wer sich freiwillig der ukrainischen Seite anschließt und aus welcher Motivation heraus. "Da ergibt sich ein ganz, ganz vielschichtiges Bild, was man im Detail betrachten muss", so Thiele.
Neben Menschen mit familiären Verbindungen in die Ukraine gebe es auch "Leute, die gerne kämpfen, darunter ehemalige Soldaten oder auch Personen, die sich gerne anwerben lassen." Auf ukrainischer Seite würden nach Thieles Kenntnisstand zudem Anwerbeprämien gezahlt. Das habe sich insbesondere im englischsprachigen Raum herumgesprochen. So hätten sich seiner Kenntnis nach Amerikaner, Australier, Briten, Neuseeländer oder Südafrikaner gegen Sold anwerben lassen.
Nach Thieles aktuellen Informationen würden auch Kämpfer aus Syrien, die dort für die Türkei im Einsatz waren, in die Ukraine geführt. Der Oberst a.D. beschrieb auch eine große Anzahl von "Abenteurern, denen es einfach Freude bereitet, in ein kombattantes Umfeld einzutreten und mitzuwirken". So etwas gebe es eben auch.
Anwerben von "Abenteurern" für Ukraine ambivalent
Letztlich bleibe fraglich, ob ausländische Kräfte auf Abenteuersuche tatsächlich eine Stärkung für die Ukraine sein können, denn, so Thiele: "Sie kennen sich in dem Land nicht aus. Sie haben auch keine Empathie mit der Bevölkerung, sondern sie lauern im Grunde auf die Auseinandersetzung mit den Russen, die unabhängig davon, was sie jetzt alles militärisch falsch machen mögen, immer noch eine außergewöhnliche Streitmacht sind, gegen die Einzelkämpfer dem Grunde nach keine große Chance haben."
Die russische Armee sei eine brutale Streitmacht, die Flächenvernichtung betreibe. Es würden große Brand- und Granatenteppiche gelegt. Wer als Freiwilliger die Ukraine ohne militärische Vorerfahrung, ohne Sprach- und Ortskenntnisse gehe, dem könne Tod, Verwundung oder Folter in Kriegsgefangenschaft drohen, betont Thiele.