Berliner Russen zum Krieg - "In dieser Zeit fühlt es sich sehr schwer an, Russe zu sein"
Viele Russen in Berlin sind entsetzt über den Angriffskrieg ihres Präsidenten gegen die Ukraine. Zwei junge russische Familienväter aus Berlin wollen nicht schweigend zuschauen. Sie haben sich an rbb|24 gewandt, mit der Bitte, ihre Sicht darzustellen. Von Oliver Soos
"Ich bin am 24. Februar quasi erwacht, durch die Worte meiner Frau. Sie sagte: Russland hat die Ukraine angegriffen. Da habe ich einfach nur geheult", erzählt Sergej. "Ich bin schockiert und entsetzt", sagt Alexander.
Beide wollen ihre vollen Namen nicht nennen und ihre Gesichter nicht zeigen. Sie haben Angst, dass ihre Verwandten in Russland bestraft werden könnten, wenn sie sich in den Medien kritisch gegen Putin und seinen Krieg äußern. Beide sind junge Familienväter. Beide kommen aus größeren Städten in Sibirien und sind vor wenigen Jahren nach Berlin gezogen, um hier in der IT-Branche zu arbeiten.
Spott und Anfeindungen von Befürwortern des Krieges
Alexander erzählt, dass er viele Menschen in Russland kennt, die den heimischen Staatsmedien glauben. Es gäbe keinen Krieg in der Ukraine, es seien nur spezielle Militäroperationen, um Nazis auszuschalten. Für Alexander ist das nichts weiter als Propaganda. "Es ist ein einseitiger Angriff Russlands auf einen unabhängigen Staat", sagt Alexander und betont, dass Russland selbst die Ukraine als souveränes Land und Wolodymyr Selenskyj als ihren rechtmäßigen Präsidenten anerkannt habe.
Wenn Alexander seine Meinung bei Social Media äußert, dann gibt es oft böse Reaktionen. "Man bekommt von Russen, die den Krieg unterstützen, Kommentare und Nachrichten mit Spott und Verachtung, auch von Bekannten", sagt Alexander. Gleichzeitig fühle er sich schuldig gegenüber den Ukrainern. "In dieser Zeit fühlt es sich schwer an, Russe zu sein", sagt der junge Familienvater.
"Die Ukrainer nehmen meine Unterstützung an"
Sergej erzählt von positiven Erfahrungen bei Demonstrationen in Berlin, vor dem Brandenburger Tor und vor der russischen Botschaft. Dort habe er Ukrainer kennengelernt und zum Teil lange Gespräche geführt. "Alle Ukrainer, die ich getroffen habe, sind freundlich zu mir. Sie nehmen meine Unterstützung an und ich unterstütze sie nach meinen Möglichkeiten", sagt Sergej.
Alexander macht sich Sorgen, dass die Stimmung gegenüber Russen umschlagen könnte. "Auf Facebook habe ich schon mitbekommen, dass Kinder in der Schule gemobbt wurden, weil sie gebürtige Russen sind. Da bin ich froh, dass meine vierjährige Tochter noch in die Kita geht und das nicht miterleben muss."
Der Wahnsinn muss schnell gestoppt werden
Sergej und Alexander sagen, dass sie Putin nie gewählt haben und dass sie sich eine Regierung wünschen würden, für die die Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht Macht und Landgewinn. Sie hoffen, dass der Wahnsinn, den Putin in der Ukraine angerichtet habe, schnell gestoppt wird.
Sendung: Inforadio, 01.03.2022, 06:28 Uhr