Interview | Private Unterkünfte für Ukrainer - "Wir hoffen, dass die Hilfsbereitschaft nicht nachlässt"

Do 10.11.22 | 06:04 Uhr
Archivbild: Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sitzen in der "Welcome Hall Land Berlin“, der ersten Anlaufstelle nach der Ankunft der Flüchtlinge auf dem Hauptbahnhof. (Quelle: dpa/C. Koall)
Bild: dpa/C. Koall

Die Notwendigkeit, Geflüchtete aus der Ukraine auch privat unterzubringen, ist weiterhin groß, sagt Georgia Homann. Die Projektleiterin des Vermittlungsportals Unterkunft-Ukraine fordert weniger Bürokratie und stärkere Unterstützung für die Gastgeber.

Rbb|24: Frau Homann, was ist Ihre persönliche Motivation, hier mitzumachen?

Georgia Homann: Als der Krieg ausgebrochen ist, habe ich mit Freunden gesprochen: Mensch, was kann man denn jetzt machen? Macht es Sinn, einen Kleinbus zu mieten und zur Grenze zu fahren und Menschen rüberzuholen? Macht es Sinn, Gelder zu spenden? Wie kann man selbstwirksam und irgendwie Teil der Lösung sein? So bin ich nach wenigen Tagen zu dem Portal gekommen. Und das ist meine Motivation: zu unterstützen, angesichts der riesigen Herausforderungen, denen wir als Gesamtgesellschaft gegenüberstehen.

Sie waren im Juni persönlich beteiligt an einer wissenschaftlichen Untersuchung, einer Befragung der Menschen, die auf Ihrer Plattform Unterkünfte für Geflüchtete aus der Ukraine angeboten haben. Was ist die Hauptmotivation der Gastgeber zu helfen?

Der erste Grund: Die Leute wollen anpacken bei dieser Herausforderung. Der zweite: Sie sehen es auch – ja: als ihre Pflicht als Demokratinnen und Demokraten an. Und das dritte Motiv: Sie sehen darin eine Chance, die Gesellschaft mitzugestalten. Es sind also eher zivilgesellschaftliche Gründe, in wenigen Fällen auch religiöse.

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Die Untersuchung zeigt, dass vor allem Frauen Wohnraum anbieten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Eine richtige Erklärung habe ich dafür nicht. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass vor allem Frauen mit Kindern aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, insbesondere in den ersten Wochen. Die Gastgeberinnen konnten sich gut in die Situation der geflüchteten Frauen hineinversetzen und wollten einfach helfen.

Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung ist, dass 82 Prozent der Gastgeber-Familien zufrieden sind mit den Erfahrungen, die sie gemacht haben. Und 80 Prozent sagen: "Das würden wir jederzeit wieder tun." Dabei war das Zusammenleben sicher nicht immer einfach, zum Beispiel weil Sprachkenntnisse fehlten oder der Wohnraum klein war. Haben Sie diese hohen Werte überrascht?

Das hat mich völlig überrascht. Andererseits ist es total erleichternd zu sehen, wie bereit viele Menschen sind, zu unterstützen in so einer Notsituation und wie viele Menschen bereit sind, andere bei sich aufzunehmen. Ich finde es wirklich toll, Teil dieser Gesellschaft zu sein.

Was sind das für Menschen, die Flüchtlinge aufgenommen haben? Überwiegend Mittelstandsbürger mit viel Platz zuhause?

Tatsächlich ist es nicht gleich verteilt durch die Gesellschaft. Es gibt zwar Gastgeber in allen Gruppen oder Schichten. Tatsächlich ist die Gruppe, die proportional größeren Wohnraum hat, überrepräsentiert. Wir gehen davon aus, dass diese Gruppe eben auch über größere Einkünfte verfügt oder über ein größeres Vermögen. Aber in allen Gruppen der Gesellschaft sind Menschen bereit, andere aufzunehmen.

Manche leben inzwischen seit Monaten mit Geflüchteten zusammen. Haben diese Gastgeber in der Umfrage bestimmte Wünsche geäußert, zum Beispiel an die Behörden?

Da ist zunächst die Bürokratie: Zu viel Bürokratie und – vor allem am Anfang – keine einheitlichen Regeln. Viele hätten sich da klarere Vorgaben und einfachere Lösungen gewünscht, auch überregionale Lösungen und eine zentrale Anlaufstelle, wo klar kommuniziert wird: Das sind hier die Regelungen, so wird es hier gemacht. Und ein anderer, sehr, sehr oft genannter Punkt war, dass Gastgebende vor allem bei der Suche nach langfristigem Wohnraum für ihre Gäste und Gästinnen Unterstützung suchen.

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Gerade in Ballungszentren, wo sich die Wohnungssuche für alle Menschen, nicht nur für Geflüchtete, schwierig gestaltet, ist es eine doppelt belastende Situation, Wohnräume zu finden. Finanzielle Unterstützung wurde ebenfalls relativ häufig genannt, was ja mit Blick auf Inflation und Energiekrise nicht überraschend ist. In Berlin kann man als Gastgeber auch Miete für die Geflüchteten bekommen, die vom Amt übernommen wird. Das wissen aber viele nicht. Deshalb wäre bessere Kommunikation ganz wichtig.

Sie fordern eine "Checkliste für Gastgeber". Was sollte drinstehen?

Sicher ist es nicht einfach, eine überregionale Lösung zu finden. Aber zum Beispiel bei solchen Fragen wie: Wo melde ich meine Kinder zur Kita an? Wo gibt es Sprachkurse? Was sind die nächsten Schritte für Ukrainerinnen? Welche Rechte und Pflichten haben Sie oder ich als Gastgeberin? Dass man das abarbeiten kann, die relevanten Adressen bekommt – und eine zentrale Anlaufstelle hat.

In Berlin gibt es sowohl auf der Website des "Landesamts für Flüchtlinge" als auch auf der Website der Sozialsenatorin eine Menge Informationen. Aber nicht alle sind für Geflüchtete einfach zu durchschauen, etwa "SGB II, SGB XII, Asylbewerberleistungesetz".

Ja, das sollte leichter und verständlicher sein. Auch sollte es mehr digitale Lösungen geben. Und noch ein Problem: Wir haben einen ukrainischen Kollegen, dem ich ab und zu mit seinem Papierkram helfe. Die Formulare sind erschreckend oft nur auf Deutsch vorhanden. Und obwohl ich Deutsch spreche, verstehe auch ich viele dieser Formulare nicht. Wie sollen das Ukrainerinnen verstehen, die das im Zweifel alleine machen?

Die Berliner Bezirke aber auch manche Gemeinden in Brandenburg klagen, dass sie kaum noch freie Unterkunftsplätze haben: für Menschen aus der Ukraine, aber auch aus anderen Ländern. Haben Sie einen Wunsch im Hinblick auf den Winter?

Zunächst möchte ich mich bei allen bedanken, die bislang geholfen haben. Gleichzeitig bangen wir ein bisschen mit Blick auf den Winter, was uns als Gesellschaft bevorsteht. In Berlin wird die Situation wahrscheinlich noch dramatischer. Wir glauben, dass wir als Gesamtgesellschaft Teil der Lösung sein müssen, und dass private Unterbringung ein Teil dieser größeren Lösung sein kann. Deshalb rufen wir Menschen, die Ukrainer und andere Geflüchtete bei sich aufnehmen können, auf, das zu tun und sich bei uns zu registrieren oder über andere Wege zu helfen. Und wir hoffen, dass die Hilfsbereitschaft nicht nachlässt.

Viele Länder, viele Kommunen haben inzwischen Infrastruktur aufbauen können. Trotzdem glauben wir, dass private Unterbringung gerade für viele Ukrainerinnen einfach die bevorzugte Alternative zu einer Turnhalle oder einer Geflüchtetenunterkunft ist. Aber am Ende brauchen wir all diese Unterkünfte.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Georgia Homann sprach Wolf Siebert für rbb|24.

Sendung: Abendschau, 10.11.2022, 19:30 Uhr

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