Zukunft der Corona-Maßnahmen - Was das Ende der nationalen epidemischen Lage bedeuten würde

Mi 20.10.21 | 12:02 Uhr
Arzthelfer Linus informiert Patienten in einer langen Schlange vor einer Arztpraxis im Berliner Bezirk Neukölln über den Corona-Test. (Quelle: dpa/Kay Nietfeld)
Video: Abendschau | 20.10.2021 | Tom Garus, Tina Handel | Bild: dpa/Kay Nietfeld

Die "epidemische Lage nationaler Tragweite" könnte Ende November auslaufen. Darüber wird in Politik und Wissenschaft diskutiert. Bedeutet das auch ein Ende aller Corona-Maßnahmen? Wann kommt der "Freedom Day"? Ein paar Fragen und Antworten.

Seit eineinhalb Jahren gilt in Deutschland eine bundesweite Corona-Notlage. Diese ermöglicht es Bundesregierung und Landesregierungen, ohne Zustimmung von Parlamenten Corona-Maßnahmen anzuordnen.

Im März 2020 stellte der Bundestag erstmals die "epidemische Lage nationaler Tragweite" fest und hat sie seitdem immer um jeweils drei Monate wieder verlängert, zuletzt im August. Nun hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgeschlagen, die Notlage zum 25. November auslaufen zu lassen. Bedeutet dies das Ende der Corona-Regeln?

Die drängendsten Fragen und wichtigsten Antworten zum Thema:

Wozu gibt es die "epidemische Lage nationaler Tragweite" überhaupt?

Das Ursprungsargument dafür war im März 2020: Infektionsschutz ist zwar Sache der Bundesländer, aber diese Krise sollte vom Bund gemanagt werden, um einen Flickenteppich zu vermeiden und schneller reagieren zu können. "Um einer Destabilisierung des gesamten Gesundheitssystems vorzubeugen, wird die Bundesregierung in die Lage versetzt, schnell mit schützenden Maßnahmen einzugreifen", hieß es damals.

Die "epidemische Lage" ermächtigte das Bundesgesundheitsministerium im Infektionsschutzgesetz, ohne große Abstimmung Verordnungen zu erlassen, um die Grundversorgung mit Medikamenten, Schutzausrüstung oder Laborkapazitäten sicherzustellen.

Welchen Einfluss hat das Gesetz auf den Alltag der Menschen?

Im Laufe der Krise wurde das Infektionsschutzgesetz mehrfach geändert. Dabei wurden auch spezielle Corona-Maßnahmen ergänzt, die von den Ländern direkt angeordnet werden können, wenn eine "epidemische Lage nationaler Tragweite" gilt. Dazu zählen die Maskenpflicht, Abstands- und Kontaktregeln, Veranstaltungsverbote oder -einschränkungen, geschlossene Restaurants, die Pflicht, einen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis vorzulegen, Ein- und Ausreiseregelungen und die vielen anderen Maßnahmen, die den Alltag in den vergangenen eineinhalb Jahren geprägt haben.

Wäre automatisch Schluss mit Masken, Abstand und Zugangsbeschränkungen, wenn die "epidemische Lage" ausläuft?

Nein, zwar würden die im Infektionsschutzgesetz aufgeführten besonderen Schutzmaßnahmen dann eigentlich wegfallen, sagt der Verwaltungsrechtler Hinnerk Wißmann von der Universität Münster, der in der Vergangenheit auch vom Bundestag zum Thema als Sachverständiger angehört wurde. "Allerdings können die Bundesländer, die ohnehin dafür zuständig sind, die Befugnisse weiter nutzen, wenn die Landtage das beschließen."

Das Infektionsschutzgesetz gibt den Ländern in Paragraf 28a Absatz 7 ausdrücklich die Möglichkeit, auch nach dem Ende einer "epidemischen Lage", Corona-Maßnahmen weiter anzuwenden, wenn ihr Parlament sich dafür ausspricht.

Welche Auswirkungen hätte ein Ende der bundesweiten Corona Notlage dann überhaupt?

Die Unterschiede zwischen den Bundesländern bei den Maßnahmen dürften sich weiter verstärken. Bisher haben die Landesregierungen die bei ihnen geltende Corona-Verordnung mit den Maßnahmen einfach regelmäßig fortgeschrieben und angepasst. Wenn die Landesparlamente mitentscheiden müssen, werden die Entscheidungswege länger und die bundesweite Abstimmung wird noch schwieriger.

Vermutlich werden die Maßnahmen eher tröpfchenweise und regional unterschiedlich Richtung Frühjahr fallen, als dass es in Deutschland einen "Freedom Day" wie in anderen Ländern gibt.

Unter den Länderchefs gibt es aber den Willen, bei den Corona-Maßnahmen möglichst einheitlich zu bleiben und einen Flickenteppich zu vermeiden. Darum werde es auch bei der Ministerpräsidentenkonferenz ab Donnerstag gehen, wie der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Mittwoch im rbb-Inforadio ankündigte. Grundsätzlich plädierte er aber dafür, die epidemische Notlage nochmals zu verlängern, bis sich die epidemische Lage tatsächlich entspanne. "Wir brauchen mindestens eine Übergangszeit", so Müller.

Erlaubt die derzeitige Corona-Lage aus Sicht von Wissenschaftlern das Auslaufenlassen von Maßnahmen?

Dass es noch nicht die Zeit für ein Ende aller Maßnahmen in Deutschland sei, sagen Fachleute seit einiger Zeit. Im Herbst und Winter drohen etwa laut Robert Koch-Institut (RKI) wieder mehr Corona-Infektionen. Die Impfquote gilt als noch nicht hoch genug - daran änderten Erkenntnisse über offenbar unvollständig in der Statistik erfasste Impfungen von Erwachsenen nichts.

Mehrere Fachleute kritisierten Spahns Ankündigung. Diese könne von den Menschen falsch aufgefasst werden. Unschlüssige Ungeimpfte könnten sich ermuntert sehen, nun doch auf den Piks zu verzichten, da die Gefahr vermeintlich vorüber sei. "Das ist ein Signal, das von der Bevölkerung als "Freedom Day" durch die Hintertür missverstanden werden kann", sagte Uwe Janssens, ehemaliger Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi).

Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagte dagegen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): "Ich kann den Schritt nachvollziehen und halte das auch für unproblematisch."

Auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, befürwortet ein Auslaufen der staatlichen Regelungen Ende November. Ein "Freedom Day" sei dann durchaus möglich, sagte Gassen am Montag in der rbb-Abendschau. Er rechne bis Ende November mit einer Impfquote unter den Erwachsenen von bis zu 85 Prozent. Dann könne man für einen Großteil der Bevölkerung die Maßnahmen auf Freiwilligkeit umstellen.

Ab wann wäre nach Ansicht von Expertinnen und Experten ein Ende von Corona-Maßnahmen denkbar?

Das RKI plädiert für Maske, Abstand, Hygiene und weitere Basismaßnahmen bis Frühjahr 2022. In einem Strategiepapier schreibt das Institut, Deutschland sei noch in der Übergangsphase, bis Corona endemisch werde. Das bedeutet, das Virus verschwindet zwar nicht, verursacht aber bei den meisten Menschen keine allzu schwerwiegenden Verläufe mehr, da sie durch Infektionen oder Impfung eine Grundimmunität haben.

Wann der Übergang abgeschlossen sein wird, lässt sich laut RKI jedoch nicht mit Bestimmtheit voraussagen. Manche Experten finden auch, dass es in der Debatte weniger um ein mögliches Datum für einen "Freedom Day" gehen sollte. Vielmehr müsse sich die Gesellschaft fragen, wie viele Tote und Langzeiterkrankte man bereit sei, für Öffnungen in Kauf zu nehmen.

Wie stehen die Deutschen zum Ende der epidemischen Notlage?

Die Mehrheit der Bevölkerung ist einer Umfrage zufolge dafür, den seit eineinhalb Jahren geltenden bundesweiten Corona-Ausnahmezustand auslaufen zu lassen - aber gleichzeitig Schutzmaßnahmen weiter aufrechtzuerhalten.

57 Prozent würden es laut einer am Mittwoch veröffentlichten repräsentativen Yougov-Befragung befürworten, wenn die sogenannte epidemische Lage nationaler Tragweite ab Ende November unter fortbestehender Einhaltung von 3G-, Hygiene- und Abstandsregeln nicht mehr verlängert würde. 27 Prozent würden das ablehnen, 16 Prozent machten keine Angabe.

Sendung: Inforadio, 20.10.2021, 7:25 Uhr

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