Schutz vulnerabler Gruppen - Impfpflicht im Berliner Gesundheitswesen bislang kaum umsetzbar
Seit Mitte März müssen Angestellte im Gesundheitswesen nachweisen, dass sie gegen Corona geimpft oder genesen sind. Doch die Umsetzung funktioniere kaum, heißt es in den Gesundheitsämtern, es fehlen Tausende Nachweise.
Obwohl in Berlin seit mehr als drei Monaten die Impfpflicht in Einrichtungen des Gesundheitswesens gilt, haben rund 7.600 Personen aus der Branche keinen Nachweis über ihren Impf- oder Genesenenstatus erbracht. Bei 180 Personen zweifeln die Arbeitgeber an der Echtheit der Nachweise. Das teilte die Senatsgesundheitsverwaltung dem rbb mit. Konsequenzen hatte das bislang aber keine: Kein einziges Berliner Gesundheitsamt hat nach rbb-Informationen bisher ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen.
Larscheid: "Gesundheitsämter haben keinerlei Personal dafür"
Eigentlich mussten laut Bundesinfektionsschutzgesetz alle Beschäftigten im Gesundheitswesen bis zum 15. März vollständig gegen das Coronavirus geimpft oder davon genesen sein, und ihrem Arbeitgeber einen Nachweis vorgelegt haben. Wer bis zum Stichtag nicht immunisiert war, sollte vom Arbeitgeber an das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) gemeldet werden. Die Gesundheitsämter sollten dann ein Bußgeldverfahren einleiten und konnten als letzte Instanz, sofern die Versorgung in den Einrichtungen nicht gefährdet war, ein Beschäftigungsverbot aussprechen. Mit der Maßnahme sollten vulnerable Gruppen wie Neugeborene, Alte und Kranke geschützt werden.
In Berlin sind die Gesundheitsämter so weit aber noch gar nicht gekommen. "Es ist in allen Bezirken dasselbe Problem", sagt der Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid. "Die Gesundheitsämter haben neue Aufgaben zugeteilt bekommen, aber keinerlei Personal dafür. Das ist völlig illusorisch."
Noch keine Briefe an Einrichtungen verschickt
Der zusätzliche bürokratische Aufwand sei hoch, sagte Larscheid. So müsse das Lageso die Meldungen der Arbeitgeber auf Vollständigkeit prüfen, danach sollen die Gesundheitsämter erneut Nachweise anfordern und Impfangebote vermitteln. Sie müssen zudem die Selbsteinschätzungen der Einrichtungen zur Gefahrenlage prüfen. Dafür braucht es sowohl medizinisch als auch juristisch geschultes Personal.
"Gleichzeitig ist die Zahl von Verfahren so hoch", sagt Larscheid, "das ist nicht zu schaffen." Das Gesundheitsamt Friedrichshain-Kreuzberg schreibt auf rbb-Nachfrage: "Wir sind derzeit primär mit der Sichtung, Ordnung und Digitalisierung der Unterlagen befasst." Briefe an die gemeldeten Personen seien noch nicht einmal rausgegangen.
Impfstatus vieler Mitarbeiter im Gesundheitsbereich unklar
Bis heute hat laut Larscheid kein Gesundheitsamt in Berlin ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen. Mehrere Ämter bestätigen das auf Nachfrage. Detlef Wagner, Bezirksstadtrat für Gesundheit in Charlottenburg-Wilmersdorf schätzt sogar, dass sein Gesundheitsamt erst Ende des Jahres in der Lage sein wird, eventuelle Verbote auszusprechen. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt jedoch ohnehin nur bis zum 1. Januar 2023.
Es ist also nicht nur unklar, wie viele Mitarbeiter im Gesundheitsbereich wirklich ungeimpft sind. Es werde auch nicht systematisch überprüft, ob sie mittlerweile in anderen Bereichen eingesetzt werden und nicht mehr mit vulnerablen Gruppen arbeiten. Das geht auch aus einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Christian Zander, dem gesundheitspolitischen Sprecher der Berliner CDU-Fraktion, Ende April hervor: Demnach liege der Senatsgesundheitsverwaltung weder die Gesamtzahl der Gesundheitseinrichtungen in Berlin vor, noch die Gesamtzahl der Mitarbeiter, noch werde systematisch überprüft, ob alle Einrichtungen Meldungen abgegeben haben. "Das Ganze wird zum Rohrkrepierer werden", resümiert Zander. Das sieht auch Larscheid so: Man müsse befürchten, dass mit Absicht ein zahnloser Tiger geschaffen worden sei.
Zander kritisiert, dass der Senat kein Personal vom Lageso abgezogen und zur Unterstützung in die Gesundheitsämter geschickt hat. "Zu erwarten, dass sie das allein schaffen, war eine komplette Fehleinschätzung", so Zander.
Linke bitten um Geduld
Tobias Schulze, gesundheitspolitischer Sprecher der Linken, gibt sich zurückhaltender. Dass die Gesundheitsämter nicht mehr Personal bekommen hätten, habe vor allem an den noch laufenden Haushaltsverhandlungen gelegen. Und das Ziel der einrichtungsbezogenen Impfpflicht sei ja nicht, Mitarbeitern Beschäftigungsverbote auszusprechen, sondern Personen zu überzeugen, sich impfen zu lassen. Deshalb müssen man dem Prozess auch Zeit einräumen.
Sendung: rbb|24 Inforadio, 26.05.2022 | 07:00 Uhr