rbb|24-Datenanalyse - So viele Leben haben die Impfungen wohl schon gerettet

Do 25.03.21 | 12:46 Uhr
Impfstart in einem Corona Impfzentrum (Quelle: dpa)
Bild: dpa

Die Impfungen in Deutschland kommen nur schleppend voran. Und dennoch haben sie schon jetzt mehr als 150.000 Menschenleben gerettet – wie viele, zeigt der regelmäßig aktualisierte rbb|24-Überblick von Haluka Maier-Borst

Es sind zähe Monate. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus dauern an. Der Frühling liegt in der Luft und zugleich in der Ferne. Und auch der Fortschritt bei den Impfungen ist langsam. Von Herdenimmunität gegen Covid-19 ist Deutschland weit entfernt.

Und dennoch kann man ebenfalls sagen: Die Impfungen haben schon jetzt rund 150.000 Menschenleben gerettet. Und jeden Tag werden es einige tausend mehr. Das ist das Ergebnis einer rbb|24-Datenanalyse. Hierbei handelt es sich zwar um eine grobe Schätzung, die aber in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern entstanden ist und aktuell gehalten wird.

Sollten die folgenden Grafiken nicht korrekt angezeigt werden, klicken Sie bitte hier.

Wie viele Leben deutschlandweit und in den einzelnen Bundesländern ungefähr gerettet wurden – das ist zum einen abhängig von einigen Grundannahmen - und zum anderen eine Frage, wie die Bundesländer aktuell ihre Impfungen durchführen.

Wie verschiedene Studien die Sterblichkeit bei Covid-19 schätzen

Die größte Differenz bei den Grundannahmen kommt daher, dass verschiedene Studien für Covid-19 je nach Altersgruppe eine andere Sterblichkeit berechnen.

Um die Unterschiede und damit auch die Unsicherheit zu illustrieren, bezieht sich rbb|24 auf drei Arbeiten aus den Fachmagazinen Nature [nature.com], British Medical Journal [bmj.com] und European Journal of Epidemiology [springer.com]. Wie sehr sich die Ergebnisse basierend auf diesen Studien unterscheiden, zeigt folgende Grafik.

(Eine detaillierte Erklärung der Methodik finden Sie am Ende des Artikels)

Grundsätzlich verweisen alle Studien darauf, dass mit zunehmendem Alter exponentiell das Risiko an Covid-19 zu sterben steigt. Doch wie hoch das Risiko konkret ist, darin unterscheiden sie sich. Dies liegt zum Teil daran, dass die Forscherinnen und Forscher die Bevölkerung in unterschiedliche Gruppen einteilen: Mal wird das Alter in Zehner-Schritten für Gruppen erhöht, mal großzügiger.

Im weiteren Verlauf des Artikels orientiert sich rbb|24 in seinen Schätzungen an der Studie des British Medical Journals. Zum einen weil die Studie relativ kleine Altersintervalle definiert und zwischen Männern und Frauen unterscheidet. Zum anderen weil sie einberechnet welcher Anteil an Menschen Vorerkrankungen hat und letztlich auch differenziert zwischen Industrienationen, Schwellenländern und Entwicklungsländern.

Wie unterschiedlich die Bundesländer die Impfstoffe verimpfen

Doch nicht nur die verschiedenen Studien führen dazu, dass die Annahmen über gerettete Menschenleben unterschiedlich ausfallen. Es gibt auch erhebliche Unterschiede darin, wie die Bundesländer beim Impfen vorgehen. Oder vereinfacht gesagt: Nicht jedes Bundesland holt das Maximum aus jeder Dosis raus.

Während die Ständige Impfkommission (Stiko) des Robert-Koch-Instituts empfiehlt, vor allem Menschen über 80 Jahre zu impfen [rki.de], macht laut Datenlage in einzelnen Bundesländern die Zahl der Geimpften nach Alter nicht einmal die Hälfte aus [rki.de]. Das führt auch dazu, dass die einzelnen Bundesländer unterschiedlich weit sind in der Altersreihenfolge.

Berlin, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Saarland, Sachsen und Thüringen haben schon angefangen, die über 70-Jährigen einzuladen. In anderen Bundesländern wird es wohl noch eine Weile dauern, bis diese Altersgruppe dran kommt. Und das hat Folgen.

Weil das Risiko an Covid-19 zu versterben so sehr vom Alter abhängt, bedeutet es auch, dass man mit Impfungen bei den Älteren potenziell mehr Sterbefälle verhindert. Grob gesagt muss man ungefähr zehn Menschen über 80 Jahre impfen, um ein Menschenleben zu retten. Bei den Jüngeren ist das Verhältnis dagegen rund 200 zu eins.

Entsprechend unterscheidet sich die Anzahl der potenziell geretteten Leben zwischen den Bundesländern teils erheblich, obwohl man mitunter ähnlich viele Dosen bereits verimpft hat. Berlin, auch weil es früh mit den Impfungen angefangen hat und vor allem Ältere geimpft hat, steht aktuell gut da, wenn man den Daten Glauben schenken darf. In Brandenburg dagegen bleibt die geringe Verimpfung bei den Alten ein Problem.

Könnte schon eine Impfung reichen?

Aufgrund der Knappheit des Impfstoffes wird aktuell auch diskutiert, mehr Leute zumindest schon einmal mit einer Erstimpfung zu versorgen und gegebenenfalls in Kauf zu nehmen, dass sie erst etwas später ihre zweite Dosis bekommen.

Zwar besteht bei den derzeit zugelassenen Impfstoffen erst mit der zweiten Impfdosis der volle Impfschutz. Ein recht guter Teilschutz ist aber wohl auch schon durch die erste Impfung bei Biontech-Pfizer und Moderna gegeben [nejm.com]. Und der könnte tödlichen Verläufen vorbeugen. Um diesen Fall abzubilden, bieten wir bei der obersten Grafik deshalb auch die Option zwischen der Zahl der Erstimpfungen und der Zahl der Personen mit vollem Impfschutz als Grundlage der Berechnung zu wechseln.

Hier finden Sie zudem eine laufende Aktualisierung zur Zahl der Geimpften mit Erstimpfung und vollem Schutz.

Methodik:


Datengrundlage:

rbb|24 nutzt im ARD-Verbund aufbereitete Daten zu Impfungen [github.com] des RKIs, die für jedes Bundesland angeben, wie viele Dosen als Erst- und Zweitimpfung verwendet wurden und wie viele davon aufgrund welcher Indikation (Alter, Vorerkrankungen, Beruf, Pflegeheime).

Für die Infektionssterblichkeit wurden als Grundlage die Arbeiten von O'Driscoll et al. [nature.con], Ghisolfi et al. [bmj.com] und Levin et al. [springer.com] genommen. Für die Abschätzung der Vorerkrankung nutzen wir eine von Ghisolfi et al. zitierte Berechnung von Clark et al.[medrxiv.org].

Des Weiteren wurde die Bevölkerungsstruktur der einzelnen Bundesländer gemäß Daten des Statisistschen Bundesamtes mit Stand 31.12.2019 [destatis.com] genutzt.

Berechnung:

Zunächst berechnen wir, wie viele Menschen erkranken müssen, bis die Herdenimmunität erreicht ist – die Zahl der potenziell Infizierten. In Rücksprache mit Experten und angelehnt an wesentlich komplexere Modellierungen gehen wir davon aus, dass dies der Fall ist, wenn 95 Prozent der Menschen unter 65 und 80 Prozent der Menschen über 65 Jahre infiziert wurden. Der Unterschied erklärt sich dadurch, dass ältere Menschen weniger Kontakte haben als jüngere [sciencemag.com].

Basierend auf dieser Zahl an Menschen, die infiziert würden, errechnen wir mithilfe der altersspezifischen Sterblichkeit aus den Studien, wie viele Menschen sterben würden. Hierbei beachten wir neben dem Alter auch das Geschlecht und ergänzen noch zusätzlich, welcher Anteil der Bevölkerung wohl Vorerkrankungen hat und welcher nicht. So kommen wir auf die Zahl der potenziellen Toten.

Nun errechnen wir die Zahl der geretteten Leben, indem wir die Zahl der Geimpften im Vergleich zur Zahl der potenziell Infizierten setzen und dieses Verhältnis multiplizieren wir mit der Zahl der potenziellen Toten in den Altersgruppen.

Hierbei nehmen wir zunächst an, dass alle Personen, die aufgrund des Alters aktuell geimpft werden, älter als 80 sind und alle anderen jünger als 80 und sich die Impfungen zufällig über die verbleibende erwachsene Bevölkerung von 18 bis 79 Jahren verteilt. Hat allerdings ein Bundesland bereits beschlossen die nächste Altersgruppe jetzt zu impfen, wird ab diesem Zeitpunkt die Gruppe der 70- bis 79-Jähirgen bzw. 60- bis 69-Jähirgen als die Gruppe angenommen, die aktuell aufgrund der Altersindikation geimpft wird.

Ferner gehen wir davon aus, dass Geimpfte eine 99%-ige Überlebenswahrscheinlichkeit haben, denn bislang wurden in großen Analysen wie in Israel keine Sterbefälle nach Einsetzen der Wirkung der Impfungen identifiziert [zeit.de]. Weil wir aber nicht mit letzter Sicherheit dies ausschließen können, bleiben wir bei den 99%.

Außerdem, um dieser Unsicherheit zusätzlich Rechnung zu tragen und zu kennzeichnen, dass unsere Rechnung eine (grobe) Schätzung ist, runden wir auf Hunderterstellen ab. Der Code, der hinter der Berechnung steht, ist einzusehen bei Github [github.com].

Unsicherheiten:

Zum einen gibt es Unsicherheiten bei der Infektionssterblichkeitsschätzung, die die Studien mit sich bringen. Zum anderen nehmen wir Berechnungen für Vorerkrankungen in Altersgruppen auf europäischer Ebene und übertragen sie einfach auf Deutschland. Möglich wäre es, dass prozentual mehr oder weniger Menschen in Deutschland an relevanten Vorerkrankungen leiden als für Europa angenommen oder dass sich die Vorerkrankungen unterschiedlich über die Geschlechter verteilen.

Effekte, die nicht beachtet werden:

Diese Berechnung ist eine Schätzung, noch dazu eine grobe. So gehen wir vereinfachend davon aus, dass es in der Bevölkerung noch keine beachtenswerte Immunität durch bereits durchgemachte Erkrankungen gibt. Andernfalls müssten wir die Dauer der Immunität nach Erkrankung abschätzen und auch, wie viel höher die Dunkelziffer der Infektionen ist gegenüber den offiziell gemeldeten Zahlen.

Weiterhin versuchen wir nicht abzuschätzen, inwiefern Impfungen auch die Übertragung von Infektionen verhindern und damit zu einer früheren Immunität führen. Es gibt Studien sowohl für Astrazeneca [lancet.com] als auch für Biontech-Pfizer [medrxiv.org], die zeigen, dass die virale Last im Rachen nach einer Immunisierung geringer ist. Möglich ist aber auch, dass dennoch die Wahrscheinlichkeit der Übertragung gleich bleibt, weil die Infizierten ihre Erkrankung nicht spüren und entsprechend ihr Verhalten nicht anpassen.

Überhaupt unterscheiden wir auch nicht bei den Impfstoffen nach ihrer Wirksamkeit gegenüber einem Covid-19-Verlauf mit Todesfolge. Das ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass es dafür schlicht zu wenig Daten gibt. Und zum anderen richten wir uns nach der Empfehlung der Stiko, nach der vor allem die Altersgruppen mit höherer Sterblichkeit mit dem etwas wirksameren Impfstoffen bedacht werden.

Auch nicht miteinberechnet ist die Dynamik einer Impfkampagne, wenngleich es natürlich einen Unterschied macht, ob innerhalb weniger Wochen alle geimpft werden oder das Ganze deutlich langsamer passiert.

Zuletzt ist auch nicht beachtet, inwiefern sich die Mutationen auf die aktuelle Lage auswirken. Es ist noch unklar, wie gut die Impfstoffe sich in ihrer Wirkung gegen neue Mutationen unterscheiden. Dafür gibt es ebenfalls schlicht zu wenig Daten.

Wissenschaftliche Beratung:

Michael Höhle [math.su.se], Universität Stockholm und Weitere.

Die Kommentarfunktion wurde am 23.02.2021 um 21:33 Uhr geschlossen

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