Wohnungsbündnis-Verabredung auf dem Prüfstand - Was bringt die 30-Prozent-Regel?
Ein ganzes Bündel an Maßnahmen hat das vom Berliner Senat geschmiedete Wohnungsbündnis geschnürt. So sollen etwa Mieten individuell gedeckelt werden, wenn vom Haushaltseinkommen zu wenig übrigbleibt. Erfahrungen damit gibt es schon. Von Thorsten Gabriel
Die Regel ist auf den ersten Blick einfach: Frisst die Miete mehr als 30 Prozent des Einkommens auf, können Haushalte mit Wohnberechtigungsschein die Notbremse ziehen, indem sie ihre Miete deckeln lassen. So steht es in der Vereinbarung des von der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) initiierten Wohnungsbündnisses, die Mitte Juni von den meisten Bündnisteilnehmern unterzeichnet wurde. Sie gilt damit für Mieterinnen und Mieter, die in Wohnungen der großen Immobilienunternehmen zuhause sind.
Dazu gehören auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen Gewobag, Gesobau, WBM, Stand und Land, Howoge und Degewo. Sie haben eine solche Härtefallregelung bereits 2014 erstmals mit dem Senat vereinbart – und ausgiebig Erfahrung damit gesammelt. Die sechs Unternehmen vermieten insgesamt rund 333.000 Wohnungen in der Stadt. Gemessen daran ist die Nachfrage nach diesem Hilfsangebot allerdings verschwindend gering.
"Wir sprechen hier von einer bewilligten Anzahl von Anträgen von 0,04 Prozent unserer Bestandsmietverhältnisse", sagt etwa Gewobag-Vorständin Snezana Michaelis. Nur in 28 Fällen begrenzte die Gewobag 2021 nach Antrag die Miete. Für alle landeseigenen Wohnungsunternehmen zusammen liegt die Quote sogar nur bei 0,02 Prozent. Gerade mal 66 bewilligte Härtefallanträge gab es insgesamt im vergangenen Jahr. Zwar wurden auch Anträge abgewiesen, weil sie die Vorgaben nicht erfüllten, doch selbst bei der Zahl der gestellten Anträge ergibt sich nahezu die gleiche Quote.
Kaum Härtefälle wegen niedriger Mieten?
Fundierte Erhebungen, die die Gründe dafür aufzeigen könnten, gibt es nicht. Für Michaelis steht zumindest fest, dass es nicht an mangelnder Information liegen kann. Alle Mieterinnen und Mieter der landeseigenen Gesellschaften würden "vollumfänglich" über diese Möglichkeiten informiert, versichert die Gewobag-Vorständin, "über unsere Website, über unsere Mieterkommunikation in Print und in Digital und nicht zuletzt auch in jedem einzelnen Anschreiben zu einer Mieterhöhung/Mietanpassung".
Für Michaelis sind es die "ausgesprochen moderaten“ Mieten im Gewobag-Bestand, die für die geringe Nachfrage verantwortlich sind. "Die Gewobag hatte 2021 eine Durchschnittsmiete von 6,29 Euro auf den Quadratmeter", sagt sie und verweist auf die durchschnittliche Nettokaltmiete des Berliner Mietspiegels, die 50 Cent höher liegt.
Auch die Deutsche Wohnen hat eine Härtefallklausel
Ähnlich sieht es auch bei der privaten Deutschen Wohnen aus, die seit kurzem zum größten deutschen Wohnungskonzern Vonovia gehört. Sie macht ihren Mieterinnen und Mietern seit 2019 ein solches Härtefallangebot. In den vergangenen beiden Jahren habe es kaum Anträge gegeben, teilte ein Unternehmenssprecher auf rbb24-Nachfrage mit, "weil wir aufgrund der Corona-Pandemie auf Mieterhöhungen nach Mietspiegel verzichtet haben und auch Modernisierungsmaßnahmen weitgehend verschoben werden mussten". Entsprechend habe es auch keine Modernisierungsumlagen gegeben.
Aber auch im Jahr davor waren es bei der Deutschen Wohnen bundesweit nur 800 Haushalte, bei denen die Miete auf Antrag begrenzt wurde – von insgesamt mehr als 140.000 Wohnungen im Bestand. Damit ist die deutschlandweite Quote hier zwar etwas höher als bei den landeseigenen Gesellschaften Berlins, sie liegt aber mit 0,5 Prozent immer noch ziemlich niedrig.
Grüne Mietenexpertin favorisiert unabhängige Prüfstelle
Dass die Mieten entweder ohnehin niedrig sind oder kaum erhöht wurden, mag ein Grund sein, weshalb Mieterinnen und Mieter nur selten solche Härtefallanträge stellen. Die Mietenexpertin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger, vermutet aber auch, dass sich manche schlicht nicht trauen, über ihre finanzielle Situation zu sprechen. "Ich kann es nachvollziehen, dass man gerade bei Eigentümern, mit denen man vielleicht in den letzten Jahren ein bisschen aneinandergeraten ist, nicht seine Einkommensverhältnisse offenlegen möchte." Deshalb würde sie es begrüßen, wenn eine unabhängige Stelle beim Senat eingerichtet würde, um solche Anträge zu prüfen.
Dass von den wenigen Anträgen bei den landeseigenen Unternehmen einige auch nicht bewilligt werden, hängt nach Ansicht Schmidbergers auch damit zusammen, dass die Regelung im Detail doch nicht ganz so einfach ist, wie es auf den ersten Blick scheint. So gelten für Haushalte mit Wohnberechtigungsschein nicht nur bestimmte Einkommensgrenzen, sondern es ist auch festgelegt, welche Wohnungsgrößen "angemessen" sind. Lebt eine Mieterin oder ein Mieter in einer zu großen Wohnung, kann die Miete zwar trotzdem reduziert werden, allerdings nur heruntergerechnet auf die angemessene Wohnungsgröße.
FDP: Regelung kann auch Vermieter in Not bringen
Der Mietenexperte der FDP, Björn Jotzo, hält die Härtefallregelung dagegen grundsätzlich für problematisch, weil sie auch Auswirkungen auf neue Mietverträge haben könnte. "Die große Gefahr bei einer solchen Regelung ist, dass an Menschen, die geringe Einkommen haben, überhaupt nicht mehr vermietet wird", sagt er. "Wenn ich eine solche Regelung habe, die besagt, ich kann bei bestimmten Gruppen nur eine bestimmte Miete nehmen, dann wird an diese Gruppen natürlich nachrangig vermietet."
Jotzo fürchtet außerdem, Kleinvermieter würden mit der Regel überfordert, weil sie die vollen Mieteinnahmen häufig zur Altersvorsorge benötigten. "Diese Menschen brauchen dringend das Einkommen aus der Miete, um beispielsweise ihr Alter zu finanzieren. Solche Menschen müssen wir auch schützen. Es geht nicht nur darum, dass wir hier uns anschauen: Wie sieht es auf Mieterseite aus?"
Immobilienverband BFW begrüßt 30-Prozent-Regel
Diese Sorge hat die grüne Katrin Schmidberger nicht. "Mir haben sehr viele private Kleineigentümer auch während der Zeit des Mietendeckels erklärt, dass für sie das Einfrieren der Miete kein Problem ist und dass sie viele Mieterinnen und Mieter kennen und auf deren Situation bereits eingehen."
Ganz ähnlich sieht es auch die Geschäftsführerin des Verband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), Susanne Klabe. Auch bei den mittelständischen Wohnungsunternehmen gebe es oft enge Bindungen zwischen Vermietern und Mietern. "Man kennt sich häufig und weiß um die Nöte, so dass eine Härtefallregelung, wie die 30-Prozent-Regelung in der Mehrheit unserer Mitgliedsunternehmen bereits umgesetzt wird."
Fest steht: Durch die Verabredung im Wohnungsbündnis gilt die 30-Prozent-Regel nun für ein paar hunderttausend Haushalte mehr. Trotzdem sind von ihr keine Wunder zu erwarten. Die aber hat auch niemand versprochen oder erwartet. Die Regel ist ein kleiner Baustein von vielen im Berliner Wohnungsbündnis.
Sendung: rbb24 Inforadio, 01.07.2022, 06:30 Uhr