Mieten und Neubau in Berlin - Giffeys Wohnungsbündnis zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Das Wohnungsbündnis der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey läuft nicht rund. Neubauziele und verbindliche Mietgrenzen sind durch die Kriegsfolgen gefährdet. Außerdem wird das Bündnis aus den eigenen Koalitionsreihen infrage gestellt. Von Thorsten Gabriel
Irgendwie hatte sich Franziska Giffey das anders vorgestellt. Ein neues Miteinander wollte die SPD-Politikerin schaffen zwischen Staat und Privatwirtschaft nach Jahren der Konfrontation. Gemeinsam neue Wohnungen bauen, gemeinsam die Mieten begrenzen – nicht zuletzt, um zu zeigen, dass eine andere Wohnungspolitik auch möglich ist, ohne Wohnungskonzerne zu enteignen. Doch vier Monate nach der ersten Sitzung des Bündnisses ist auf allen Seiten Ernüchterung eingekehrt und die Regierende Bürgermeisterin zeigt sich dünnhäutig.
Auf der letzten Senats-Pressekonferenz im Mai hält sie den Medien unvermittelt eine Standpauke: "Das ist das Problem, wenn irgendwelche Papiere von irgendwelchen Leuten an Sie weitergegeben werden, die überhaupt noch nicht den Endverhandlungsstand darstellen, dann entstehen solche Artikel", faltet Giffey vor versammelter Presse einen Zeitungskollegen zusammen. "Ich würde Sie echt bitten, das richtigzustellen und auch aus dem Netz zu nehmen."
Erkundigt hatte sich der Kollege lediglich nach Einzelheiten zu einem Vorschlag der Regierungschefin. Die hatte per Zeitungsinterview den Vorschlag in die Runde geworfen, die Mieten in Berlin individuell bei 30 Prozent des jeweiligen Haushaltsnettoeinkommens zu deckeln.
Miete bei 30 Prozent des Einkommens deckeln: Es bleiben viele Fragezeichen
Es ist ein Vorschlag, den viele mit Stirnrunzeln zur Kenntnis nehmen, sowohl in den Verbänden als auch auf der politischen Bühne. Denn zum einen gibt es solche Härtefallregeln bereits seit langem bei den städtischen Gesellschaften. Zum anderen haben die großen privaten Konzerne wie die zu Vonovia gehörende Deutsche Wohnen seit einiger Zeit vergleichbare Klauseln. Die Frage ist nur: Ist das sozial gerecht? Immerhin bleibt einem Krankenpfleger, wenn er 30 Prozent seines Einkommens für die Miete aufbringen muss, deutlich weniger Geld zum Leben als einer Ärztin, die 30 Prozent für ihre Miete ausgibt. Und was ist mit den tausenden Kleinvermietern Berlins, die gar nicht unmittelbar mit am Bündnistisch sitzen und denen man eine solche Vorgabe nicht aufzwingen könnte? Mit Details ist die Idee nicht untersetzt, es bleiben viele Fragezeichen.
Viel mehr irritiert allerdings manche, die beim Bündnis mit dabei sind, dass ausgerechnet Franziska Giffey selbst damit an die Öffentlichkeit ging – wo sie doch zuvor alle Partnerinnen und Partner am Tisch auf Stillschweigen und Vertraulichkeit eingeschworen hatte. Dass sich die Regierende Bürgermeisterin selbst nun einen Mosaikstein aus den Entwürfen herausgriff und vorab präsentierte, dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass zuvor bereits Vorschläge von Grünen und Linken an die Öffentlichkeit gelangt waren.
Da wollte man als SPD auch ein Wörtchen mitreden in der jetzt gar nicht mehr so vertraulichen Debatte. Schon seit einiger Zeit kursieren vertrauliche Papiere aus den Bündnis-Arbeitsgruppen in den Redaktionen. Es sind "Zwischenstände", wie Giffey betont. Das ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass die Dokumente teils noch mit Anmerkungen von verschiedenen Seiten versehen sind. Trotzdem geben sie eine Ahnung davon, wohin die Reise am Ende gehen dürfte.
Krieg in der Ukraine gefährdet Neubau- und Sanierungsziele
Neben viel Prosa über Berlin als wachsende Metropole, gibt es in diesen Entwürfen durchaus handfeste Zahlen und zahlreiche Absichtserklärungen. Die allerdings entsprechen ziemlich exakt dem, was SPD, Grüne und Linke auch schon in ihrem Koalitionsvertrag notiert haben. 100.000 neue Wohnungen sollen bis zum Ende der Wahlperiode entstehen. Der größte Anteil soll dabei von privaten Investoren kommen, nämlich 60.000. Von den landeseigenen Unternehmen werden 35.000 neue Wohnungen erwartet, die Genossenschaften "bemühen sich" mit Landesförderung und auf Landesgrundstücken bis zu 5.000 Wohnungen zu bauen.
Das alles sind Zielzahlen, die schon für sich genommen ambitioniert sind, wie die zurückliegenden Jahre gezeigt haben. In keinem der letzten Jahre wurden 20.000 Wohnungen pro Jahr in Berlin gebaut. Die wären durchschnittlich nötig, um auf 100.000 Wohnungen in fünf Jahren zu kommen. Zusätzlich bricht nun auch noch die Weltlage über Berlin herein: "Die Unterzeichnenden erkennen an, dass die Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Bündnisses besonders herausfordernd sind", heißt es in einem der Entwürfe diplomatisch. "Gravierende Preissteigerungen für Baustoffe und Bauleistungen, ein Anstieg der Finanzierungszinsen sowie der Mangel an Fachkräften" als Folge des Krieges in der Ukraine "gefährdeten" die angestrebten Neubau- und Sanierungsziele. Will heißen: Niemand im Bündnis kann und will sich festnageln lassen auf bestimmte Ziele.
"Mietenstopp" ist vom Tisch
Ähnlich sieht es auch beim Thema Mieten aus. Noch beim Auftakt des Bündnisses hatte sich Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) zuversichtlich gezeigt, mit den privaten Wohnungsunternehmen einen "Mietenstopp" für die nächsten Jahre verabreden zu können, allenfalls mit Erhöhungen um ein Prozent jährlich. Auch Vonovia-Vorstandschef Rolf Buch erklärte nach dem ersten Treffen, sich ein solches Moratorium vorstellen zu können. Davon ist mittlerweile keine Rede mehr. Als unlängst aus Grünen-Kreisen die Idee noch einmal aufgebracht wurde, hieß es vom Senator nur, hier habe "die veränderte Wirklichkeit voll zugeschlagen und uns diesen Weg versperrt". Angesichts von mehr als sieben Prozent Inflation sei kein Mietmoratorium mit einem Prozent zu vereinbaren.
Auch Vonovia-Chef Buch erklärte jetzt in einem Interview mit dem Handelsblatt, dass die Mieten in seinem Konzern wohl inflationsbedingt angehoben werden müssten. Liege die Inflation dauerhaft über 4 Prozent, müssten auch die Mieten entsprechend steigen. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wohnungsbranche wurde darauf irritiert reagiert. Auch Vertreter von Vermieterverbänden wiesen darauf hin, dass die Inflation kein gesetzlich vorgesehener Grund sei, Mieten anzuheben.
Kooperation mit Konzernen hier, Enteignungsdiskussion dort
Für die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey kommen die Äußerungen Buchs zur Unzeit. Sie sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Vonovia und anderen privaten Konzernen nicht über den Weg trauen. Vor allem für die mitregierende Linke sind die angekündigten Mieterhöhungen bei Vonovia ein Beleg dafür, dass man den freiwilligen Zusagen privater Konzerne besser nicht trauen sollte. "Vonovia bestärkt damit wiederholt die Zweifel an der Wirksamkeit von freiwilligen Selbstverpflichtungen", sagt der Linken-Abgeordnete Niklas Schenker.
Die Linke hält das gesamte Konstrukt "Wohnungsbündnis" für den falschen Weg. Sie setzt stattdessen auf die parallel tagende Expert:innenkommission, die klären soll, ob und wie die Wohnungsbestände privater Unternehmen vergesellschaftet werden könnten. Wobei es aus Sicht der Linken dabei nicht mehr um das "Ob" geht, sondern nur noch um das "Wie". "An der Vergesellschaftung der großen privaten Wohnungsunternehmen führt kein Weg vorbei", sagt Schenker.
Formal hält die Regierende Bürgermeisterin beide Themenstränge voneinander getrennt: Kooperation mit der Wohnungswirtschaft hier, Klärung der Enteignungsfrage dort. Die Kooperation ist Wunsch, die Enteignungsdebatte Pflicht. Am Votum von mehr als einer Million Berliner:innen beim Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" im vergangenen September kann man eben nicht einfach vorbeigehen. Trotzdem ist das Enteignungsthema zumindest niedrigschwellig auch ein willkommenes Druckmittel am Bündnistisch: Leute, ich will euch zwar nicht enteignen, aber bitte enttäuscht mich nicht und liefert, lautet in etwa der Subtext Giffeys am Verhandlungstisch in Richtung der Wohnungswirtschaft. Wie wenig sich die Branche davon allerdings beeindrucken lässt, zeigt nicht zuletzt die Haltung des Vonovia-Chefs.
Auch der Senat bleibt vage bei seinen Zusagen
Umgekehrt blickt allerdings auch die Wohnungswirtschaft mit Skepsis auf den Senat. Zur Frage, wie die Berliner Verwaltung den Wohnungsbau besser unterstützen kann, finden sich in den Entwurfstexten überwiegend nur Absichtserklärungen, die man schon im Koalitionsvertrag lesen konnte. Die "Senatskommission Wohnungsbau", die vor kurzem ihre Arbeit aufgenommen hat, soll bei Konflikten zwischen Fachverwaltungen Lösungen finden. Die Digitalisierung der Ämter soll "vorangetrieben" werden. Die Bezirke sollen "durch eine entsprechende Ausstattung" in die Lage versetzt werden, mehr Bebauungsplanverfahren und Baugenehmigungen in kürzerer Zeit zu bearbeiten. Dazu kommen noch Floskelsätze wie der Hinweis, dass Beteiligungsverfahren "zielorientiert strukturiert" werden sollen.
Bis zum März 2027 soll das Bündnis Bestand haben. Jährliche Berichte sollen die Zusammenarbeit dokumentieren. Aber schon jetzt steht fest: Was auch immer am 15. Juni am Runden Tisch beschlossen und fünf Tage später feierlich unterzeichnet werden wird: Es bleiben Verabredungen unter Vorbehalt.
Sendung: Radioeins, 07.06.2022, 17:40 Uhr