Razzien bei Telegram-Chat-Aktivisten - Bestürzte Reaktionen nach Ermittlungserfolg gegen rechte Gruppe

Fr 15.04.22 | 12:25 Uhr
Symbolbild. (Quelle: Fotostand / K. Schmitt)
Audio: Brandenburg aktuell | 14.04.2022 | Thomas Bittner | Bild: Fotostand / K. Schmitt

Extremistische Mitglieder einer bundesweiten Telegram-Chatgruppe sollen Sprengstoffanschläge und die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach geplant haben. Der Hauptverdächtige aus Brandenburg wird der Reichsbürgerszene zugeordnet.

Ermittler sind in mehreren Bundesländern gegen Mitglieder einer Chatgruppe vorgegangen, die Sprengstoffanschläge und Entführungen "bekannter Personen des öffentlichen Lebens" - wie die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) - geplant haben sollen. Das teilte die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz am Donnerstag [gstko.justiz.rlp.de] in Mainz mit.

Demnach gab es am Mittwoch Durchsuchungen in 21 Objekten in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Brandenburg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Gegen vier zunächst vorläufig festgenommenen Beschuldigte ist inzwischen auch Haftbefehl erlassen worden. Das Amtsgericht Koblenz habe Untersuchungshaft angeordnet, teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Koblenz mit. Demnach machten die Beschuldigten keine Angaben. Sie sollen nun in verschiedene Untersuchungshaftanstalten in Rheinland-Pfalz kommen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) reagierte bestürzt, sprach von einer neuen Qualität der Bedrohung. Der Hinweis auf die Pläne der rechtsextremistischen Gruppe sei vom rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz gekommen, hieß es.

Gruppe ist der Corona-Protest- sowie Reichsbürger-Szene zuzuordnen

Beschuldigt werden demnach Deutsche im Alter zwischen 41 und 55, vorgeworfen werden ihnen die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und Verstöße gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz. Zuzuordnen seien die Personen der Corona-Protestszene und der Reichsbürgerbewegung. Alle zeigten ein krudes Weltbild zwischen Rechtsextremismus, Ablehnung der Corona-Politik und "Prepper"-Ideologie. Für mehrere zehntausend Euro hätten dieseversucht, Waffen, Minen und Schutzausrüstung zu kaufen. Diese Kombination sei das Besondere an dieser Gruppe, sagte der Präsident des rheinland-pfälzischen LKA, Johannes Kunz.

Die Hauptverdächtigen sollen ein 55-Jähriger aus dem rheinland-pfälzischen Neustadt/Weinstraße und ein 54-Jähriger aus dem brandenburgischen Falkensee (Havelland) sein. Der 55-Jährige wurde demnach bei der Vorbereitung einer Waffenübergabe festgenommen. Insgesamt vier Beschuldigte seien festgenommen worden. Gegen sie wurde Haftbefehl erlassen.

AK-47-Sturmgewehr bei Hauptverdächtigem aus Falkensee gefunden

Der 54-Jährige soll Mitglied der "Vereinten Patrioten" sein und wird der Reichsbürgerszene zugeordnet, wie die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz rbb|24 Recherche auf Nachfrage bestätigte. Er sei nicht vorbestraft. Bei der Durchsuchung seines Wohnhauses fanden die Ermittler unter anderem eine SS-Uniform sowie ein AK-47-Sturmgewehr.

Einem Staatsanwalt zufolge soll der Verdächtige die Organisation der Gruppe in besonderer Weise vorangetrieben haben - nicht nur im Netz, sondern auch durch persönliche Treffen. Außerdem soll er zur Geldbeschaffung beigetragen haben. Ziel der Gruppe sei es gewesen, nach einem durch sie herbeigeführten Systemsturz eine "verfassunggebende Versammlung" in Berlin mit 761 Mitgliedern einzuberufen, die Deutschland eine neue Ordnung geben sollte.

"Sie wollten die Regierungsgewalt in Deutschland übernehmen"

Insgesamt wurden bei den 21 Durchsuchungen in mehreren Bundesländern 22 Schusswaffen, darunter ein Kalaschnikow-Sturmgewehr, sowie Munition, Bargeld, Goldbarren, Silbermünzen und Devisen sichergestellt. Dazu kommen noch Handys, Datenträger, gefälschte Impfausweise und gefälschte Testzertifikate. Im Einsatz waren rund 270 Beamtinnen und Beamte, darunter auch Spezialeinheiten.

Man habe es mit einer Mischung "bestehend aus Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern, aber auch Reichsbürgern, die wir eigentlich in dieser Form bisher nicht festgestellt hatten" zu tun, hieß es. Es habe in einzelnen Fällen auch Kontakte in die rechte Szene gegeben. "Sie wollten die Regierungsgewalt in Deutschland übernehmen", erklärte der Koblenzer Generalstaatsanwalt Jürgen Brauer.

Er erklärte, dass solche Ermittlungsverfahren immer das Problem auftauche, ob man es lediglich mit "Spinnern" zu tun habe, die sich im Internet profilieren und vor ihren Mitstreitern "großmäulig" angeben wollten, sagte der Koblenzer Generalstaatsanwalt weiter. "In diesem Fall war es aber anders, nämlich in dem Moment, als es darum ging, die Waffen zu beschaffen. Da war für uns eben klar: Wir haben es nicht nur mitSpinnern zu tun, sondern mit gefährlichen Straftätern, die ihre Pläne auch umsetzen wollen und wahrscheinlich auch können."

Report Mainz: Lauterbach sollte entführt werden

Konkret soll die Chatgruppe "Vereinte Patrioten" vorgehabt haben, Einrichtungen der Stromversorgung zu zerstören, um so einen bundesweiten Stromausfall auszulösen. "Damit sollten nach der Vorstellung der Beschuldigten bürgerkriegsähnliche Zustände verursacht und schließlich das demokratische System in Deutschland gestürzt werden", hieß es in der Mitteilung von Generalstaatsanwaltschaft und Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz. In einem weiteren Schritt sei dann die Übernahme der Regierung angestrebt worden

Informationen des ARD-Politikmagazins Report Mainz [swr.de] zufolge plante die Gruppe in einer Aktion namens "Klabautermann", Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen und seine Personenschützer "auszuschalten".

Bundesinnenministerin spricht von einem "Abgrund"

Bundesinnenministerin Faeser sagte, die Ermittlungen offenbarten einen "Abgrund" und zeigten eine "schwerwiegende terroristische Bedrohung". Bewaffnete "Reichsbürger" und radikalisierte Corona-Leugner verbinde ein "grenzenloser Hass auf die Demokratie, auf unseren Staat und auf Menschen, die für unser Gemeinwesen einstehen", sagte Faeser. Die Umsturzfantasien und die Entführungspläne zeigten eine neue Qualität der Bedrohung. "Dieser Bedrohung stellen wir uns mit aller rechtsstaatlichen Konsequenz entgegen." Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verurteilte die Pläne der rechtsextremistischen Gruppe ebenfalls. "Wer Anschlags- und Entführungspläne verfolgt, legt Axt an unsere freiheitliche Demokratie", sagte Buschmann der "Rheinischen Post".

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte auf Twitter seine Solidarität für Lauterbach. "Wir werden die Feinde unserer Demokratie mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen", betonte der SPD-Politiker. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) sprach von Rechtsterrorismus. Der Ermittlungserfolg sei von Rheinland-Pfalz ausgegangen, der Verfassungsschutz des Bundeslands habe die entscheidenden Hinweise gegeben.

SPD-Chefin Saskia Esken sprach von alarmierenden Erkenntnissen und plädierte für ein hartes Vorgehen der Sicherheitsbehörden. "Die Radikalisierung der sogenannten Querdenker oder auch der Reichsbürgerszene nimmt erschreckende Ausmaße an und ist zutiefst besorgniserregend", sagte Esken dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Lauterbach zeigte sich"bestürzt" angesichts der Berichte über einen möglichen Entführungsplan gegen ihn. Er bedankte sich am Rande eines Klinik-Besuchs in Schleswig-Holstein bei den ermittelnden Behörden und dem Bundeskriminalamt "für den guten Schutz und die Überwachung. Davon habe ich offensichtlich profitiert und dafür bin ich sehr dankbar", sagte er. Zum Stand der Ermittlungen könne er nichts sagen. Der Vorgang zeige, dass sich die Corona-Proteste nicht nur radikalisiert hätten, sondern dass es mittlerweile auch darum gehe, den Staat und die Demokratie zu destabilisieren.

Der SPD-Politiker hatte in der Vergangenheit wiederholt von Drohungen gegen ihn berichtet. Im vergangenen Herbst hatte Lauterbach bei Twitter geschrieben: "Seit Tagen wird im Netz erneut dazu aufgerufen, mich zu erschlagen. Es ist absolut inakzeptabel, dass so etwas nicht sofort gelöscht werden muss."

Sendung: rbb|24 inforadio, 14.04.2022, 11 Uhr

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