Umbau der Friedrichstraße zur Fußgängerzone - In kleinen Schritten zur großen Piazza-Vision?

Di 03.05.22 | 13:56 Uhr | Von Simon Wenzel
Radfahrer am 02. Mai 2022 auf der Friedrichstrasse in Berlin. (Quelle:www.imago-images.de/Rainer Keuenhof)
Video: Abendschau | 02.05.2022 | Vanessa Materla | Bild: www.imago-images.de/Rainer Keuenhof

Der Senat hat den Verkehrsversuch in der Friedrichstraße ausgewertet und will im nächsten Schritt auch die Fahrräder aus der künftigen Flaniermeile verbannen. Die Vision ist eine Piazza nach italienischem Vorbild - ist die Friedrichstraße so zu retten? Von Simon Wenzel

Eine "Piazza" schwebt Bettina Jarasch vor. Die Friedrichstraße in Berlin-Mitte soll eine Fußgängerzone nach südeuropäischem Vorbild werden. Ein Ort "wo Menschen draußen sind, sich treffen, sich begegnen, einfach ein Stadtplatz, der Menschen anzieht", sagt die Berliner Umwelt- und Verkehrs-Senatorin der Grünen im Interview mit der Abendschau. Am Montagabend wiederholt sie diesen Wunsch, während einer Videokonferenz mit Anwohnern, Geschäftsleuten und allen, die sich sonst noch um die Friedrichstraße sorgen.

Hier präsentierte die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz ihren Abschlussbericht zum anderthalb Jahre dauernden Verkehrsversuch in der Friedrichstraße. Die wichtigste Erkenntnis war schon vorher durchgesickert: Autofrei allein reicht nicht, die Fahrräder müssen auch noch umgeleitet werden – und zwar in die Charlottenstraße.

So soll die Flaniermeile Friedrichstraße künftig aussehen

Mit dieser Lösung sollen die Probleme des bisherigen Provisoriums gelöst werden. Die Datenanalyse des Senats habe ergeben, dass die Fußgänger auf der bisherigen "Flaniermeile" zwar tatsächlich flanieren – laut Daten des Senats mehr als zuvor - aber nicht überall, sondern nach wie vor auf den Bürgersteigen. In der Mitte rollte der Fahrradverkehr. So will sich der erwünschte Effekt, dass Menschen in der Friedrichstraße schlendern, shoppen, in Cafés sitzen und viel Zeit verbringen, nicht recht einstellen. Außerdem gab auch Jarasch zu, dass die Straße mit den gelben Fahrbahnmarkierungen und Baustellenabsperrungen optisch noch so weit von der erträumten "Piazza" (streng genommen ja auch ein Platz und keine Straße) entfernt sei, wie Berlin von Italien.

Sobald die Charlottenstraße vom Bezirk zur Fahrradstraße umgewandelt sei (was laut der Senatsverwaltung ohnehin im Verkehrskonzept vorgesehen war), können die gelben Fahrbahnmarkierungen in der Friedrichstraße verschwinden. Für den Lieferverkehr bleibt die Charlottenstraße frei, der Durchgangsverkehr soll westlich der Friedrichstraße, über die Glinka- und Mauerstraße verlaufen.

Farblich markierte Karte von der Friedrichstrasse und umliegenden Strassen. Bild: RBBSo sollen die Verkehrsströme in Zukunft gelenkt werden. Autos und Busse sollen überwiegend im Westen durchfahren, die Fahrradstraße bleibt aber frei für Zulieferer und Anlieger.

Parallel zur Umwandlung der Charlottenstraße läuft das Teileinziehungsverfahren für die Friedrichstraße, mit dem der Straßenabschnitt für bestimmte Verkehre geschlossen werden soll. Läuft alles nach Plan und gibt es keine Gegenklage, könnten die provisorischen Absperrungen wohl ab dem Spätsommer permanenten Lösungen weichen. Bei seiner Abendveranstaltung am Montag präsentierte der Senat die Vision mit einer Fotomontage, auf der ein Wasserbecken, Bäume und ein Straßencafé zu sehen sind, außerdem gibt es keine Fahrbahn mehr. Diese Photoshop-Piazza sei aber keineswegs in Stein gemeißelt, betonten Jarasch und ihre Kolleg:innen bei der virtuellen Präsentation, man wolle noch einen Ideenwettbewerb ausrufen.

Kritik und Gegeninitiativen von Geschäftsbetreibenden

Zufrieden sind mit dieser nächsten Stufe des Projekts längst nicht alle. Einige Ladenbesitzer:innen hatten sich schon vor der Abendveranstaltung in einer Initiative für eine Rückkehr des Autoverkehrs in die Friedrichstraße ausgesprochen. Sie argumentieren, die autofreie Zone schränke die Erreichbarkeit ihrer Geschäfte ein. Laut der Initiative, die auf den Namen "Rettet die Friedrichstraße" [rettet-die-friedrichstrasse.de] hört, hätten bereits 15 Unternehmen ihre Geschäfte wegen Umsatzeinbußen in der Friedrichstraße dicht gemacht. Die Initiative führt dies auf die Sperrung für den Autoverkehr zurück.

Diese Statistik ist allerdings - genau so wie die Daten des Senats zum Verkehrsversuch - mit Vorsicht zu genießen. Denn während sich der Senat freut, dass im Pandemiesommer zwei (2021) mehr Menschen auf den Bürgersteigen schlenderten, als im Pandemiesommer eins (2020), aber keinen Vergleich zu "normalen" Jahren liefert, beklagt die Initiative ein Lädensterben, was bereits vor dem Verkehrsversuch und vor Corona begonnen hatte.

Die Friedrichstraße: eine gescheiterte Shopping-Meile

Rbb|24 hatte schon im Dezember 2018 darüber berichtet, dass die Friedrichstraße aus der Mode gerät. Damals hatte das Immobilien-Investment und -Beratungsunternehmen Jones Lang LaSalle (JLL) in seiner Studie zu europaweiten "High Streets" festgestellt, dass in der Friedrichstraße die Kundenzahlen zurückgingen und auf dem Straßenabschnitt zwischen Leipziger Straße und Spree bereits 30 Ladenflächen leer standen – trotz Touristenboom und Bevölkerungswachstum in der Hauptstadt.

Die Experten kritisierten: Zu kleine Bürgersteige, kalte Glasfronten, es fehlten Straßencafés, Bänke, Bäume und Freiflächen. Ihre Empfehlung: Verkehrsberuhigung. Dirk Wichner, Leiter Einzelhandelsvermietung Deutschland bei JLL, findet deshalb, dass der Senat mit seinem nun vorgestellten Konzept einer reinen Fußgängerzone zumindest die richtige Richtung einschlägt. Allerdings müssten auch die nächsten Schritte gemacht werden, denn die aktuelle Lösung in Baustellenoptik sei "nichts halbes und nichts ganzes", sagt er rbb|24.

Eine Grafik von der Vision der Friedrichstraße, mit einem Wasserbecken, Bäumen und einem Straßencafe. Bild: SenUMVKDie Friedrichstraße in der "Piazza"-Optik: Mit dieser Grafik präsentierte die Senatsverwaltung ihr Konzept am Montagabend.

Es muss etwas passieren und das nicht erst seit kurzem. Weit über zehn Jahre sei die Friedrichstraße nur noch eine von mehreren Einkaufstraßen in Berlin, ohne Alleinstellungsmerkmal, sagt Wichner. Zu Beginn, in den frühen 2000er Jahren habe es hier noch besondere Marken und das Lafayette als Besonderheit gegeben, ein Angebot das in Zeiten vor dem Online-Handel reichte, um Menschen in die Stein- und Glasschlucht nach Mitte zu locken. Das Areal mit seinen Quartieren, einst von amerikanischen Projektentwicklern und internationalen Architekten erbaut, sei zwar für Büros ideal, für den Einzelhandel aber suboptimal. Durch die Blockbebauung wurde bis an die Grundstücksgrenzen gebaut, für die Fußgänger blieben so nur schmale Bürgersteige ohne Platz für Bäume und Sitzecken. Kein Terrain für "Flaneure".

Ein Vorbild könnte München sein

Aber selbst wenn man aufgrund dieser Erkenntnisse der Piazza-Vision des Senats folgen möchte, stellt sich die Frage, ob eine Fußgängerzone auf dem immer noch recht kurzen Abschnitt zwischen Leipziger und Französischer Straße (circa 600 Meter) reicht, um einen stadtweiten Anziehungspunkt in Berlin zu schaffen. Geht es nach Einzelhandels-Experte Wichner, denkt der Senat hiermit noch "viel, viel zu klein." Schließlich habe Berlin im Gegensatz zu anderen Großstädten in Deutschland und Europa "keine wirklich schöne Fußgängerzone". Das könnte die Nische sein, mit der dem Gebiet rund um die Friedrichstraße neues Leben eingehaucht werden soll.

Wichner schlägt deshalb vor, das Gebiet auszuweiten, eine Fußgängerzone von der Markgrafenstraße im Osten bis zur Glinkastraße im Westen und von der Leipziger Straße im Süden bis zum Bahnhof Friedrichstraße im Norden (unterbrochen vom Querverkehr Unter den Linden). Als mögliches Vorbild für die Friedrichstraße nennt Wichner die Sendlinger Straße in München, schon seit Jahren eine Fußgängerzone, die die Stadt in den letzten Jahren weiter ausgebaut hatte und die gemeinsam mit der Kaufingerstraße/Neuhauser Straße eine der höchst frequentiertesten Einkaufsmeilen Deutschlands darstellt - das geht aus einer Erhebung von 2018 hervor. Beim Vorbild in Bayern handelt es sich allerdings auch um ein Fußgängerzonen-Kreuz mit fast zwei Kilometern Gesamtlänge und einem großen Platz, dem Marienplatz.

Menschen ,Personen in der Sendlinger Strasse in Muenchen. (Quelle: dpa/Frank Hoermann)Mögliches Vorbild für Berlin: Die Sendlinger Straße in München

Wichners Visionen würde sich vielleicht auch Bettina Jarasch anhören. Die Senatorin ermutigte zumindest bei ihrer Rede auf der virtuellen Abendveranstaltung, die "Piazza" in Mitte weiter zu denken, allerdings geht es ihr eher um die Friedrichstraße – diese sei ja schließlich auch eine "historisch extrem wichtige Straße". Gegenüber dem rbb sagte Jarasch auf Nachfrage, sie sei bereit, das aktuelle Areal größer zu denken: "Alles was wir jetzt tun, wird so gemacht sein, dass wir größere Pläne nicht verhindern. Man kann das als einen Anfang begreifen, denn ich möchte, dass man endlich mal was sieht von einer schönen Veränderung."

Eine Rückkehr des Autoverkehrs scheint ausgeschlossen

Beim angekündigten Ideenwettbewerb solle es auch die Möglichkeit geben, Konzepte für das gesamte Gebiet einzureichen. Nur eines will der Senat nicht mehr: Ein zurück auf Los. Eine Rückkehr des Autoverkehrs scheint mit Jarasch nicht vorstellbar. Ob die Fußgängerzone von überschaubarer Länge aber eine Straße rettet, deren Erscheinungsbild seit Jahren aus der Zeit gefallen war, bleibt abzuwarten. Es ist ein reichlich später Versuch der Korrektur.

 

Sendung: Abendschau, 02.05.2022, 19.30 Uhr

Beitrag von Simon Wenzel

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