Nach Meuthens Abgang aus der AfD - Sieg der Radikalen

Sa 29.01.22 | 13:59 Uhr | Von Hanno Christ
Prof. Dr. Joerg Meuthen, im Hintergrund Tino Chrupalla und Alice Weidel (Quelle: dpa/Jens Krick)
Bild: dpa/Jens Krick

Die Wege Jörg Meuthens und der Ost-AfD waren schon lange keine gemeinsamen mehr. Dass der AfD-Bundeschef nun seinen Partei-Austritt verkündete, begründet mit "sektenähnlichen Zügen" in der Partei, dürfte Ost-Verbände wie den in Brandenburg beflügeln. Von Hanno Christ

"Ernsthaft?" Brandenburgs kommissarischer Landesvorsitzender Daniel Freiherr von Lützow gibt sich hörbar überrascht vom Rücktritt seines Parteichefs. Die Nachricht ereilt ihn im Auto auf dem Wege von der Arbeit, Stunden nach den ersten Meldungen – auf eine telefonische rbb-Nachfrage. Offenbar hatte sich der Rückzug des langjährigen AfD-Bundessprechers Jörg Meuthen doch nicht überall wie ein Lauffeuer in der Partei verbreitet.

"Ich begrüße den Rücktritt nicht", sagt von Lützow. Er finde es schade. Meuthen habe auch seine guten Seiten gehabt. "Aber als Führungsperson hat er die Erwartungen nicht erfüllt. Er hat die verschiedenen Strömungen der Partei nicht zusammengebracht." Von einer Radikalisierung und sektenähnlichen Zügen in der AfD – Meuthens offizielle Gründe für den Austritt - will von Lützow nichts wissen. Dabei ist der Brandenburger Landesverband seit Jahren im Visier des Verfassungsschutzes - und macht keine Anstalten zur Mäßigung. Die märkische AfD und ihren ehemaligen Bundessprecher verbindet eine besondere Geschichte. Sie ist ein Kapitel in der Erzählung vom Ab- und Ausstieg eines Parteichefs.

Szenen einer Spaltung

Als die AfD 2014 unter dem damaligen Landesvorsitzenden Alexander Gauland in den Brandenburger Landtag einzieht, ist noch unklar, welchen Weg sie einschlagen wird. In wenigen Jahren aber wandelt sie sich, driftet immer weiter nach rechts. Bernd Lucke, Frauke Petry – die Bundessprecher kommen und gehen. Meuthen wird 2015 an die Spitze gewählt, biedert sich damals dem rechten Lager der Partei an, probt gerne den Schulterschluss mit den Völkischen seiner Partei am Kyffhäuserdenkmal.

Die Flüchtlingskrise befeuert die radikalen Kräfte, allen voran Protagonisten wie den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke oder den Brandenburger Andreas Kalbitz. Kalbitz und Höcke gehören zu den Gallionsfiguren des sogenannten Flügels, einer Gruppierung am äußersten rechten Rand der Partei, die mittlerweile als formal aufgelöst gilt. Schon damals verschwimmen die Grenzen zum Rechtsextremismus, doch die AfD kann bei Wahlen gerade in den Ost-Bundesländern weiter zulegen. An Landesverbänden wie denen von Sachsen, Thüringen und Brandenburg kommt damals kein AfD-Chef vorbei.

Irgendwann versucht es Meuthen trotzdem. Ab wann genau er sich gegen führende Köpfe seiner Partei stellt, ist unklar. Seinen Gesinnungswandel, seine nun erklärten Warnungen vor den rechtsextremen Strömungen will heute keiner recht glauben. Dafür hat er zu lange profitiert von den radikalen Kräften, die seiner Partei stets stabile Wahlergebnisse in Ostdeutschland einfahren. Im Osten zünden andere. Meuthen, der gebildete Professor, gilt Beobachtern nur als Feigenblatt für einen pseudo-bürgerlichen Anstrich der AfD.

Inszenierung als Gemäßigter

Offenkundig wird die Spaltung in der Partei mit dem Rausschmiss von Andreas Kalbitz, damals AfD-Landeschef in Brandenburg. Mit Hilfe einer Mehrheit im Bundesvorstand lässt Meuthen im Mai 2020 Kalbitz' Mitgliedschaft annullieren. Die Begründung: Kalbitz habe bei seinem AfD-Eintritt eine Mitgliedschaft in der rechtsextremistischen, mittlerweile verbotenen Vereinigung Heimattreue Deutsche Jugend verschwiegen. Es ist ein Paukenschlag und eine Kampfansage Meuthens an die Mächtigsten seiner Partei. Kalbitz verliert nach und nach alle Parteiämter, streitet bis heute um seine Rückkehr in die AfD.

So oder so hat Meuthen die bislang erfolgreiche Parteikarriere von Kalbitz zertrümmert und sich die tiefe Abneigung seiner Anhänger gesichert. In der Partei inszeniert sich Meuthen fortan offen als Gemäßigter, warnt vor der weiteren Radikalisierung, vor einer drohenden bundesweiten Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Bislang ist die AfD nur im Osten der Republik stark. Einmal als verfassungsfeindlich gebrandmarkt, wäre die Idee von einer gesamtdeutsch erfolgreichen Partei für Meuthen wohl endgültig Geschichte.

Springer nennt Meuthens Austrittsbegründung ein "Nachtreten"

Im Osten macht Meuthen seit seinen Bemühungen, Kalbitz und dessen Verbündeten Höcke zu isolieren, keinen Boden gut. Im Gegenteil: Auf AfD-Kundgebungen wird öffentlich gegen Meuthen geätzt, Plakate mit der Aufschrift "Nicht mein Vorsitzender" verdeutlichen, dass Parteianhänger mit einem Teil ihrer Spitze nichts anfangen können.

Entgegen der Ansage Meuthens, von gemeinsamen Auftritten mit dem ausgestoßenen Kalbitz abzusehen, taucht dieser aber immer wieder doch auf AfD-Bühnen auf. Und auch in Brandenburg haben sie Meuthen längst die Gefolgschaft gekündigt. Dessen Versuche, Einfluss zu nehmen, werden bei Brandenburger AfD-Funktionären wie Daniel Freiherr von Lützow als rechtlich möglich, aber "moralisch verwerflich" gesehen.

Im vergangenen Bundestagswahlkampf tauchte Meuthen dann auch nur einmal in Brandenburg auf - ohne dass die Partei davon Notiz nimmt. Einen Hinweis auf der sonst so emsig gefüllten Facebook-Seite auf Meuthens einzigen Auftritt in Werder an der Havel sucht man damals vergebens. Die Brandenburger AfD schweigt den eigenen Chef förmlich weg. Die Mark ist in der AfD kein Meuthen-Land.

Wohl auch deshalb rechnet der Parlamentarische Geschäftsführer der Partei im Landtag, Dennis Hohloch, nun mit keinen großen Auswirkungen oder einer Austrittswelle in Brandenburg. "Er hat sechs Jahre die Partei geleitet, aber er hat in letzter Zeit zusehends gezeigt, dass er nicht in der Lage war, die Partei zu führen", so Hohloch. Es wäre konsequent, wenn er auch das EU-Mandat abgeben würde. Der Kandidat für den AfD-Landesvorsitz, der Bundestagsabgeordnete René Springer, urteilt, Meuthens Austritt aus der Partei sei "menschlich enttäuschend". "Seine Verdienste um die Partei hat er mit dieser Entscheidung völlig zunichte gemacht." Die Kritik totalitärer Züge weist Springer als Nachtreten zurück. Das sei unglaubwürdig nach so langer Zeit an der Parteispitze.

Kalbitz twittert Meuthens Rückzug triumphierend

Mit Meuthen geht ein Parteichef, der seine Befürworter wohl vor allem in den West-Bundesländern fand. An die AfD als eine einflussreiche gesamtdeutsche Partei glaubt er offenbar nicht mehr, allenfalls an eine Zukunft als "ostdeutsche Regionalpartei". Beobachter zweifeln, dass der Grund für den Ausstieg nur die Radikalisierung der AfD sei, ihre – wie es Meuthen nennt - "totalitären Anklänge" oder die Ähnlichkeiten mit einer Sekte, die sie im Zuge der Corona-Krise angenommen habe.

Am Ende ging es wohl schlicht um Macht. Trotz Grabenkämpfen und einer offenkundig eisigen Stimmung im Vorstand hat sich Meuthen so lange wie kein anderer Bundessprecher vor ihm an der Spitze gehalten und den Völkischen die Stirn geboten. Meuthen sammelte vielleicht weniger Wählerstimmen, sicherte sich aber erforderliche Mehrheiten in den entscheidenden Parteigremien, eine Strategie, die nun ein Ende gefunden hat.

Für die nächsten Vorstandswahlen hatte Meuthen bereits auf eine Kandidatur verzichtet. Der derzeitige Vorstand hatte immer seltener seiner Seite gestanden. Die Nominierung des CDU-Mannes Max Otte als Kandidat für die Bundespräsidentenwahl etwa wollte Meuthen verhindern, scheiterte aber. "Beim nächsten Parteitag", vermutet Brandenburgs Interims-Landesvorsitzender von Lützow, wäre Meuthen ohnehin nicht mehr gewählt worden.

Nun will der 60-Jährige wenigstens sein Mandat als EU-Parlamentarier behalten. Gegen ihn wird allerdings wegen einer illegalen Parteispenden-Affäre ermittelt, mit der Aufhebung seiner Immunität als EU-Parlamentarier wird gerechnet. Meuthen dementiert Zusammenhänge. Die zeitliche Nähe aber wirft Fragen auf. Ungeachtet der tatsächlichen Motivation für Meuthens Abschied und seinem fragwürdigen Beitrag zur Rechtsdrift der AfD verschwindet mit ihm einer der wenigen namhaften Gegenspieler der Völkischen. Wer Meuthen nun in diesem Parteiamt folgt, ist noch unklar. Die Radikalen dürften sich einmal mehr bestätigt fühlen. Kurz nach Meuthens Ankündigung hinzuschmeißen, twitterte ex-AfD-ler Andreas Kalbitz: "Ein kleiner Schritt für Jörg Meuthen und ein großer Sprung für die AfD."

Sendung: Inforadio, 29.01.2022, 10:34 Uhr

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Beitrag von Hanno Christ

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