Standortauswahlverfahren für neues ICE-Werk - Bürgerinitiative wehrt sich gegen mögliches ICE Werk in Stahnsdorf
Eine Bürgerinitiative in Stahnsdorf befürchtet den Bau eines neuen ICE-Werks und warnt vor der Zerstörung eines wichtigen Naturraumes. Allerdings sei noch gar nicht klar, wo und wann ein mögliches Werk entstehen soll, sagt die Bahn. Von Susanne Hakenjos
Die Bahn will ihre ICE-Flotte aufstocken. Auch für die Hauptstadtregion erwägt das Unternehmen ein Service-Werk, in dem Züge im 24-Stunden-Betrieb technisch gewartet, gereinigt und mit Bord-Material neu bestückt werden. Zwingend vorgeschrieben ist dabei ein Raumordnungsverfahren, bevor gegebenenfalls eine Baugenehmigung erteilt wird.
Die Bürgerinitiative "Lebensraum Stahnsdorf" bezweifelt aber, dass das Verfahren neutral und an Fakten orientiert stattfinden kann. Das interne Standort-Auswahlverfahren laufe intransparent, sagt Alfred Poustka, Gründungsmitglied der Initiative.
Bauvorhaben nur auf Rieselfelder-Flächen
Die Bahn, so Poustka, stelle für das Bauvorhaben gezielt die Weichen und ausschließlich auf die ehemaligen Rieselfelder-Flächen der Berliner Stadtgüter zwischen den Dörfern Güterfelde, Schenkenhorst, Sputendorf und der Siedlung Marggraffshof, die alle zur Gemeinde Stahnsdorf zählen, anstatt mit unterschiedlichen Standort-Optionen in das Prüf-Verfahren zu gehen. "Wir sind empört. Wir wollen einfach ein faires Verfahren", verdeutlicht der Schenkenhorster das Anliegen der Bürgerinitiative. Nach Einsicht in Akten des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung und in den bahninternen Planungsprozess sieht die Initiative das nicht gesichert.
Die Prüfung verschiedener Standort-Optionen sei nicht gleichberechtigt und faktenbasiert erfolgt, kritisiert auch Heike Zimmermann von der Bürgerinitiative nach der Akteneinsicht: "Kriterien wie Siedlungsnähe werden unterschiedlich bewertet, einmal ist ein Abstand von einem Kilometer 'siedlungsnah' – dann wieder sind 500 Meter 'siedlungsfern". Da tut sich ein riesengroßer Widerspruch auf, dass nicht mit gleichen Maßstäben bewertet wurde." Albert Poustka ergänzt: Wir reden hier von einem Abstand zu Sputendorf von 500 Metern."
Das Planungsbüro der Bahn identifiziert auf solche Weise mögliche Konfliktpotenziale etwa mit dem "Schutzgut Mensch".
Nur eine einzige Standort-Option für das Raumordnungsverfahren?
Unterschiedliche mögliche Standorte wurden bahnintern auf Beschaffenheit, Schutzwürdigkeit, Erreichbarkeit und Anbindung untersucht und mit Punkten bewertet. "Bei der Bewertung von Standortkriterien haben die Flächen Großbeeren-Stahnsdorf mit 121 Punkten, Fangschleuse mit 120 Punkten und Danewitz mit 122 Punkte nahezu die gleiche Punktzahl erreicht", stellt die Initiative auf Grundlage ihres Einblicks in die Unterlagen fest.
Auch seien "starke Alternativen" für das Bauvorhaben wie versiegelte bahneigene Flächen am Autobahndreieck A9/A10 schon vorab ausgeschieden.
"Die Bahn will dennoch nach unseren jetzigen Informationen demnächst allein mit drei Variationen für den Standort Großbeeren-Stahnsdorf ins Raumordnungsverfahren gehen", so Albert Poustka, dies gehe aus einem Einblick in Unterlagen des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung hervor. "Da werden Weichen vorab gestellt."
Die Initiative, die im Juni 2022 gegründet wurde und fast 750 Mitglieder zählt, warnt vor der Zerstörung eines wichtigen Naturraumes sowie vor Lärm und weiteren negativen Auswirkungen einer so großen Industrieanalage für rund 3.000 Anwohner in den umliegenden Dörfern. Immerhin benötigt ein solches Großprojekt eine Fläche von 160 Hektar, so groß wie 224 Fußballfelder. Das Areal der ehemaligen Rieselfelder mit dem Land Berlin als Eigentümer sei allein unter finanziellen Kriterien für die Bahn die günstigste Umsetzungsoption, so der Vorwurf der BI. In einem Raumordnungsverfahren müssten aber verschiedene Optionen transparent und nachvollziehbar verglichen und geprüft werden - auf Auswirkungen für Anwohner, Natur, Verkehr und Wirtschaft.
Stahnsdorf hat bereits eine Rechtanwaltskanzlei engagiert
Nach der Akteneinsicht hat die Bürgerinitiative große Zweifel, ob im Raumordnungsverfahren eine gleichberechtige Alternativprüfung stattfinden wird. Notwendig seien aber transparente Planungsprozesse, bei denen Auswahl-Kriterien öffentlich nachvollziehbar werden, betont Heike Zimmermann von der BI. Die Initiative fordert daher das Infrastrukturministerium auf, die Bahn auf mehrere unterschiedliche Prüf-Optionen zu verpflichten. Prioritär seien vorhandene, bereits versiegelte Bahnflächen öffentlich zu prüfen.
Raumordnungsverfahren noch nicht gestartet
Das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung (MIL) erklärte, der Landesplanung lägen die abschließenden Unterlagen für die Durchführung einer Antragskonferenz als ersten Schritt zu einem Raumordnungsverfahren (ROV) noch nicht vor. Das einreichende Unternehmen, die DB, habe trotz mehrfacher Nachfrage auch noch keinen Zeitplan kommuniziert. Damit stehe auch noch nicht fest, welche Varianten im ROV betrachtet werden. "Die Gemeinsame Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg (GL) als zuständige Raumordnungsbehörde behält sich zudem vor, auf eigene Veranlassung weitere Standortalternativen in das ROV aufzunehmen, sofern diese ernsthaft als umsetzbare Variante in Betracht kommen", erklärte eine Sprecherin des Ministeriums.
Bei einer von der Initiative als "starke Alternative" bezeichnete Option am Autobahndreieck A9/A10 liege die Fläche jedoch vollständig im Landschaftsschutzgebiet, was eine bauliche Inanspruchnahme ausschließe. Zu Details aus bahninternen Planungsunterlagen, wie der Punktebewertung verschiedener Optionen könne sich das Ministerium nicht äußern. "Die angesprochenen Planungsunterlagen sind weder Planungen, Prüfungen noch Bewertungen des MIL oder der GL", betonte das Ministerium.
Laut Bahn noch keine Standort-Entscheidung
Die Deutsche Bahn wiederum möchte sich zu den dargelegten Kritikpunkten offenbar nicht im Detail äußern. Den vom rbb vorgelegten Fragenkatalog beantwort ein Bahnsprecher lediglich mit dem Statement: "Zwei Werkeneubauprojekte wurden in Bayern und Nordrhein-Westfalen bereits gestartet. Bislang gibt es in den aktuellen Planungen noch keine Entscheidung, wo und wann ein eventuelles drittes neues Werk entstehen wird. Wir bitten um Verständnis, dass wir den noch laufenden internen Prozessen nicht vorgreifen können."
Sollte die Bahn alternativlos ausschließlich mit Varianten auf den Freiraum-Flächen bei Großbeeren-Stahnsdorf in ein Raumordnungsverfahren gehen, würde die Gemeinde Stahnsdorf, die das Vorhaben ablehnt, vor vollendete Tatsachen gestellt, kritisiert nicht nur die BI. "Die Rieselfelder sind nicht nur ein Baudenkmal, sondern auch ein schützenswertes Biotop, in das man kein monströses Bauvorhaben plant", so Stahnsdorfs Bürgermeister Albers in Hinblick auf die Überlegungen der Deutschen Bahn.
Die Gemeinde stellte am 6. September 2022 einen Antrag beim Landkreis Potsdam-Mittelmark auf Unter-Schutz-Stellung der in früheren Zeiten von der Stadt Berlin zur Verrieselung ihrer Abwässer genutzten Rieselfelder als sogenannter "Geschützter Landschaftsraum" Dieser ist bislang noch nicht beschieden.
Sendung: Antenne Brandenburg, 30.11.2022, 7:30 Uhr