Berliner Fernwärme - Theoretisch geht's auch ohne Kohle und Gas

So 15.05.22 | 11:23 Uhr | Von Anna Bordel
Symbolbild: Arbeiter montieren Solarmodule einer neuen Photovoltaik-Anlage auf dem Dach des Olympiastadions. (Quelle: dpa/M. Hanschke)
Bild: dpa/M. Hanschke

Das Land Berlin könnte schon bald wieder das eigene Fernwärmenetz betreiben. Doch dann steht der Umbau in Richtung erneuerbarer Energien an. Möglich wäre es laut einer Studie schon bis 2030, Berlin völlig ohne Kohle und Erdgas zu beheizen. Von Anna Bordel

Sonnenstrahlen sind kostenlos, für Erdöl muss permanent bezahlt werden. So einfach kann man die Vorteile erneuerbarer Energien für die Heizkosten darstellen. Dass der Rückkauf des Fernwärmenetzes vom schwedischen Energiekonzern Vattenfall durch das Land Berlin "eine massive Verantwortung" bedeuten würde, weiß Tilman Heuser, Geschäftsführer des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz) Berlin, natürlich auch. Dennoch sieht er die Rekommunalisierung der Fernwärme als Chance.

Eine der wichtigsten Fragen ist für ihn, wie die Versorgung in Berlin ohne Kohle und Gas gelingen kann. "Deshalb ist es entscheidend, Zugriff auf die Infrastruktur zu haben, um die Veränderung voranzutreiben. Wenn Vattenfall jetzt verkaufen möchte, macht es aus der Sicht Berlins Sinn, sich die Infrastruktur zu sichern", sagt Heuser.

Am besten ohne Kohle und ohne Gas

Anfang Mai hatte Vattenfall mitgeteilt, sich eventuell von seinem Fernwärmenetz und den dazugehörigen Kraftwerken trennen zu wollen. Der Senat prüft nun das Angebot. Zu einer Einigung könne es schon in diesem Jahr kommen, meint Jörg Stroedtner (SPD), energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. "Wenn Vattenfall so eine Mitteilung rausgibt, dann wollen sie auch verkaufen", sagt er. Die bisherigen Rekommunalisierungen des Strom- und Wassernetzes seien immer gut verlaufen, die Preise seien seriös gewesen. Er geht davon aus, dass auch der Rückkauf des Fernwärmenetzes mit Vattenfall ebenso gut verlaufen werde.

Eile ist in diesem Fall auch geboten, denn Berlin hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 die letzten beiden mit Steinkohle betriebenen Kraftwerke Reuter West und Moabit stillzulegen. Derzeit bezieht das Berliner Fernwärmenetz noch 60 Prozent seiner Energie von dort. Jetzt gilt es, dafür Alternativen zu suchen, die nicht nur von Emissionszielen abhängen, sondern auch von der aktuellen politischen Lage in Europa. Seit Beginn des russischen Krieges in der Ukraine ist eine große Sorge um die deutsche Abhängigkeit von russischem Erdgas entstanden.

Alternative Energiequellen

  • Solarthermie

  • Geothermie

  • Fließgewässer und Abwasser

  • Industriewärme

  • Wasserstoff

  • Strom

Der richtige Energiemix macht's

Während eine Machbarkeitsstudie von 2019 von Vattenfall und dem Berliner Senat noch große Teile der Kohleenergie durch Erdgas ersetzen wollte, erscheint das im Licht der aktuellen Lage nicht mehr zeitgemäß.

Für Umweltschützer ist dies ein gutes Zeichen. Auch Erdgas ist ein fossiler Brennstoff. Eine Studie des Fraunhofer Institutes von Herbst 2021, die der BUND Berlin mitbeauftragt hat, legt nahe, dass der Ausstieg aus Kohle und Gas bis 2030 technisch gelingen könnte. Dafür sei es wichtig, weniger Wärme zu benötigen, so Heuser vom Bund. Das sei durch Sanierungsmaßnahmen zu erreichen, aber auch durch ein nachhaltiges Verhalten der Verbraucher:innen. "Solange noch immer alle nicht wissen, wie ein Thermostatventil funktioniert und die Fenster im Winter auf Kipp stehen, wird der Wärmebedarf höher sein, als er sein müsste", so Heuser. Entscheidend ist ihm zufolge aber auch, den richtigen Energiemix herzustellen.

Abwasser ganzjährig gute Wärmequelle

Knapp 65 Prozent der Energie könnten laut Fraunhoferstudie 2030 aus "Umwelt und Abwärme" kommen. Anders als es die Studie von Vattenfall und des Senats plant, die 66 Prozent aus Erdgas beziehen möchte. Energie aus "Umwelt und Abwärme" bedeutet demnach, dass durch unterschiedliche Technologien die Wärme, die in der Umgebung ohnehin schon vorhanden ist, für das Fernwärmenetz genutzt werden soll. Zum Beispiel Sonnenlicht, Wärme in unteren Bodenschichten, Wärme der Berliner Fließgewässer, aber auch des Abwassers genauso wie Wärme der Industrie oder in Rechenzentren. Durch sogenannte Wärmepumpen kann die Wärme dieser Quellen für das Fernwärmenetz nutzbar gemacht werden.

Zum Beispiel ließen sich laut der Studie an Berliner Fließgewässern Wärmepumpen installieren. Die Temperatur in Gewässern ist weniger schwankend als die Luft, weshalb sich Fließgewässer an sich gut als Wärmequelle eignen. Aus der Havel lassen sich der Studie zufolge knapp 674.000 Megawattstunden Energie im Jahr gewinnen. Davon ließen sich etwa 193.000 Zwei-Personenhaushalte versorgen. Einziges Problem ist, dass im Winter die Gewässer zu kalt sind, um ihnen Wärme zu entziehen. Daher eignen sich Gewässer vor allem im Frühling oder Herbst. Dusch- Spül und Badeabwasser seien hingegen das ganze Jahr über als Wärmequelle verfügbar. Erste Beispiele dafür, dass das funktionieren kann, gibt es schon: Die Berliner Wasserbetriebe nutzen beispielweise eigenen Angaben zufolge schon das Abwasser des Schwimmbades Sachsendamm oder des Ikea Lichtenberg als Wärmequelle.

Technische Umsetzung wesentlich

Auch die Sonneneinstrahlung ist im Sommer am höchsten, die Wärme kann aber in Speichern für den Winter aufbewahrt werden. Solarthermie und Speicher benötigen allerdings eine Menge Platz, der in Berlin nicht überall verfügbar ist. Solarthermie-Anlagen könnten laut Fraunhoferstudie deshalb zum Beispiel gut auf Ackerflächen entstehen. Solarthermie ist für die Energiegewinnung besonders wichtig, meint Stroedter. Mit Windenergie sei in Berlin schließlich nichts zu machen.

Eine wesentliche Frage sei bei allen Arten der alternativen Energiequellen, ob diese auch technisch umsetzbar seien, meint Heuser vom BUND. Zum Beispiel müsse im Fall der Geothermie geklärt werden, ob man Schaden an tiefem Grundwasser ausrichten würde. "Geothermie bedeutet, man geht in die Tiefe. Dadurch wird das tiefe Grundwasser berührt. Das muss sehr genau untersucht werden, damit dort nicht unbeabsichtigte Schäden entstehen. Das hängt wiederum sehr stark von der Beschaffung des Untergrunds ab", so Heuser.

Die Winter können kalt werden

Eine weitere Sorge sei die Sicherstellung der besonders kalten Wintertage. "Es kann ja doch sehr kalte Winter geben. und da muss das System ja auch noch funktionieren". Es müsse geklärt werden, wie kurzfristig höhere Wärme erzeugt werden könne. Eine Überlegung sei zum Beispiel, dass man dafür Wasserstoff nutze. Das Gas-Heizkraftwerk Mitte habe zum Beispiel noch einen Zusatzspeicher für besonders kalte Tage.

"Für den Bürger wird das keinen großen Unterschied machen, ob Vattenfall oder Berlin das Fernwärmenetz betreibt", sagt Heuser. Wenn man die heutigen Energiepreise als Messlatte nimmt, dann dürften alternative Energien nicht unbedingt teurer werden als das heutige Preislevel, vor allem wenn man noch am Verbrauch spart, so Heuser. Für die Umwelt eventuell schon. Sollte sich Berlin zum Rückkauf entscheiden und Erdgas weniger in die Planung einbeziehen als bisher geplant, könnte der CO2-Ausstoß laut der Fraunhofer-Studie um mehr als die Hälfte sinken.

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.05.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Anna Bordel

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